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besprechung
Die Welt ist doch schön!

Frühe neusachliche Photographie retrospektive albert renger-patzsch

eine ausstellung im haus der kunst

Still liegt die Landschaft da, im Winterwind. Die Stadt im Hintergrund ahnt nichts von der Schönheit, die sich in der Menschenleere allein vollzieht. In den Senken liegt noch der letzte Schnee, die laue Sonne bereitet den Acker auf den sich ankündigenden Frühling vor. In der Rinde des kahlen Baumes im Vordergrund spiegelt sich das Licht. Exakt in der Mitte der Photographie teilt sein Stamm den Blick und rahmt ihn zugleich, wie ein Fensterstock, und seine Krone ist das Gewölbe, das den Himmel stützt.
Dieses Bild, das zudem auf der Eintrittskarte zur Retrospektive von Albert Renger-Patzsch im Haus der Kunst abgedruckt wurde, ist völlig untypisch für den Photographen.
1897 in Würzburg geboren, absolvierte er ein Chemiestudium und übernahm die Leitung der Bildstelle des Folkwang-Archivs in Essen. 1925 veröffentlichte er seinen ersten Bildband „Das Chorgestühl von Cappenberg“ und macht sich als Photograph selbständig. Zwei Jahre darauf fand seine erste größere Einzelausstellung statt, ein halbes Jahrzehnt später wird er Dozent an der Essener Folkwangschule. 1934 legte er aus politischen Gründen seinen Lehrauftrag nieder und photographiert von da an nur noch für die Industrie, für Verlage und Architekten. 1944 die Katastrophe: sein Archiv wird bei einem Luftangriff zerstört. 1966 starb Renger-Patzsch.
Er gilt als Hauptmeister der Neusachlichen Photographie, als Purist des Dinglichen. Zwar bekannt als technischer Virtuose, beschränkte er sich doch ausdrücklich auf die technikimmanenten Mittel der Kamera und half mit Beleuchtung nur dort nach, wo es für die Erfassung des Objektes unabdingbar war. Kunst sei das keine, so der Meister, denn Photographie sei nun einmal am besten und daher ausschließlich für das exakte Abbild geeignet.
1928 erschien sein berühmtestes Buch dennoch mit dem pathetischen Titel „Die Welt ist schön“, doch darauf konnte er keinen Einfluß nehmen. Viele der darin enthaltenen Abbildungen sind nun in der gegenwärtigen Ausstellung vertreten. Es stellte eine Art Inventar der sichtbaren Welt dar: Tiere, Pflanzen, Technik usw. sind seine Kategorien, aber nicht etwa als Gegensatzpaare. Im Gegenteil: die gleichmacherische Wirkung der nahezu standardisierten Aufnahmebedingungen lassen Schlange und sich schlängelnde Hügelkette auf vergleichbarer Bildebene erscheinen. Zeit ist eleminiert, zukünftige Spielarten werden immer nurmehr als Variation dieser Initiationsbannung sein können - so erscheint das Werk jedenfalls auf den ersten Blick.
Doch die vermeintliche Objektivität der Kamera bleibt eine Mähr, wenn sich Renger-Patzsch sie auch noch so erfolgreich selbst vorgespiegelt hat. Nahezu unmerklich nämlich hat er seine Sicht der Welt in das Bildgeviert transportiert. Abgesehen davon, daß die Schwarzweißphotographie per se unwillkürlich eine ästhetische Chiffrierung bedeutet, vertritt z.B. auch der Ausschnitt einen charakteristischen Blick - und der ist höchst subjektiv. Die Überschneidung der Objekte durch den Bildrand weist ihnen ornamentale Qualität zu. Vor allem die Betonung von Reihung und Spiegelung in technischen oder metallenen Versatzstücken macht deutlich, daß es die abstrahierende Wirkung war, die die Welt zum Motiv nobilitierte. Die rigorose Ablehnung von dramatischen Lichteffekten schafft wiederum eine dämmrige Ruhe, kein Laut ist zu hören.
„Die Dinge selbst sprechen lassen“, „das Wesen der Dinge“ erfaßen, ja - aber auch die Dinge auswählen und die Dinge in ein Bild umschmelzen; das geht nicht ohne unmittelbaren Einfluß der Persönlichkeit des Photographierenden. Nur so konnte ein solches Photo wie auf der Postkarte entstehen.

milena greif





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