20.02.2017
67. Berlinale 2017

Liebe Linda Söffker...

Rüdiger Suchsland
Rüdiger Suchsland ist ein Spokesman. Hier spricht er Linda Söffker, Leiterin der Berlinale-Sektion Perspektive Deutsches Kino, direkt an, als Stellvertreterin der Berlinale
(Foto: VdFk)

Selbstkritik eines bürgerlichen Mundes: Die Berlinaleblase und warum ich über die Berlinale schreibe, wie ich schreibe – Berlinale-Tagebuch, Folge 13

Von Rüdiger Suchsland

»I am just a reporter. I report, what I see.«
Graham Greene, »The Quiet American«

Es ist gut, dass ich nicht auf Facebook bin, sonst würde ich auch sowas schreiben, so schnell und ohne Begrün­dung: »Rüdiger, tut mir leid, ich kann dich nicht mehr ernst nehmen. Ich muss das so sagen, und du musst das so schreiben. So sind wir alle Gefangene unserer eigenen Beschrän­kung. Und des Alters...« also schrieb Linda Söffker auf einen meiner letzten Berlinale-Blogs.
Wäre ich auf Facebook, würde ich wohl kurz und auch in diesem Facebook-Stil der Begrün­dungs­lo­sig­keit antworten. Aber ich bin ja nicht bei Facebook. Darum mal ein anderer Versuch zu zivi­li­sierter Kommu­ni­ka­tion...

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Liebe Linda,

es ist ja vor allem Dein Problem, wenn Du mich, wie Du schreibst, nicht mehr ernst­nehmen kannst. Ich umgekehrt kann Dich sehr wohl ernst­nehmen, und ich nehme Dich ernst. Wobei das, worum es gehen sollte, wohl noch besser mit dem Wort »Respekt« bezeichnet ist.

Die Berlinale aller­dings, die kann ich nicht mehr respek­tieren, und das nicht erst seit diesem Jahr – und da bin ich ja nicht der Einzige. Und dass viele die Berlinale in ihrem jetzigen Zustand nicht mehr respek­tieren, ist viel schlimmer, als wenn man sie hassen und als Gegner begreifen würde. Die Berlinale aber ist zur Zeit einfach nicht satis­fak­ti­ons­fähig.

Wenn Du wüsstest (viel­leicht weißt Du es ja auch, möchtest es aber öffent­lich vers­tänd­li­cher­weise nicht sagen), wie scheiße die Berlinale alle Kollegen in meinem Freundes- und Bekann­ten­kreis hier wirklich finden, was da so »unter uns« gesagt wird, völlig unter der Gürtel­linie, wie sehr die ganzen Tage gelästert wird, wie viel gekotzt wird, unter Film­kri­ti­ker­kol­legen aber auch unter Filme­ma­chern, unter Berlinale-Preis­trä­gern und Gästen, Kura­to­ren­kol­legen von Dir, wie viel sogar von Mitar­bei­tern – ehema­ligen aber vor allem derzei­tigen der Berlinale! Unter der Hand natürlich.
Du weißt das, glaube ich, aber eigent­lich auch ganz genau... An Deiner Stelle würde ich dazu dann auch klug schweigen, und versuchen, mir keine Blöße zu geben. Aber im Gegensatz zu Dir bin ich hier nicht »part of the system«, ich habe auch nicht den leisesten Glauben, je auf der Berlinale zu arbeiten – ich hoffe nur, dass den 21 Berli­nalen, die ich jetzt hinter mir habe, mindes­tens 21 weitere folgen, und dass die besser sind.

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Ich kenne so viele Leute, die nur noch auf die Berlinale gehen, weil sie müssen, die einfach nur genervt und gelang­weilt sind von Eurem Programm. Ich kenne Kritiker, die sich ihre Akkre­di­tie­rung nicht abholen, weil sie einfach von der Vorstel­lung abge­schreckt sind, sich den ganzen nichts­sa­genden Schmarrn antun zu müssen. Ich kenne »Profis«, die auf ihre Profi­ak­kre­di­tie­rung in diesem Jahr verzichten, weil »es nichts bringt«, und/oder weil sie »im letzten Jahr nur doofe Filme gesehen haben« usf. Mit dem Winter­wetter hat das nichts zu tun. Sondern mit zuviel Filmen und zuviel schlechten. Mit einem völligen Verzicht aufs Kura­tieren.

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Natürlich kannst Du mich als Queru­lanten betrachten und abtun, das ist einfach und bequem. Die, die das hier lesen, wissen aber, dass ich nur das schreibe, was viele denken, was auf der Berlinale die meisten reden. Es ist kein Überdruss mehr, keine Lange­weile, kein Genervt­sein, es ist blanke Abneigung gegenüber einem Festival, dass wunderbar sein könnte.

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Regel­mäßige Leser wie Du wissen auch, dass ich von anderen Festivals schwärmen kann, von Filmen sowieso. Dass ich pathe­tisch werden kann, viel­leicht sogar über Gebühr.
Und was ich der Berlinale am meisten Übel nehme ist, dass sie mich zwei Wochen lang zu einem solchen Miese­peter und Recht­haber und Kotz­bro­cken macht, dass sie meine schlech­testen Eigen­schaften heraus­kit­zelt. Ich nehme der Berlinale übel, dass sie mich zum Dauer­schimpfen zwingt.
Mich kotzt es aber selber an, dass man dieses Tagebuch als Berlinale-Bashing verstehen kann, und sei es nur ironisch. Mein Ziel mit diesem Blog ist nämlich kein Bashing. Es ist Offenheit, und Anregung zur offenen Debatte. Das Ziel ist, das zu schreiben, was aus verschie­denen Gründen margi­na­li­siert ist. Ich schreibe hier, was ich sehe, was ich erlebe, was mir andere erzählen.
Es geht dabei einfach um gut begrün­dete berech­tigte Kritik, die nicht nur von mir geübt wird. Ich bin kein Mecker­fritze. Auch wenn Schimpfen gar nicht so selten gut tut und befrei­ende Wirkungen hat.

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Man kann jetzt sagen, dann sollte ich doch über die Filme schreiben, die ich gesehen habe, aber warum übers Festival? Einfache Antwort: Weil die Filme in den letzten Jahren immer seltener gut genug sind, dass man Lust hat, darüber zu schreiben, und sei es auch nur, sie zu verreißen.
Es gibt gute Filme, die rezen­siere ich auch während der Berlinale bei den Radio­sen­dern und Zeitungen, für die ich arbeite. Aber was ist das für eine Fest­stel­lung? Ihr habt 403 Filme. 403!! Also mehr als alles, was in Cannes und Venedig läuft, zusammen.
Was soll es also heißen, dass es hier gute Filme gibt? Selbst wenn dies 40 Filme sein sollten, wären das mal gerade zehn Prozent, Ich habe keine 40 guten Filme gesehen in diesem Jahr und ich kenne niemanden, der erzählt, dass er das hat. Aber ich bin sicher, es gibt 40 oder sogar 60 gute Filme in diesem ganzen Berli­na­le­haufen. Aber das heißt eben auch, dass es 360 Filme gibt, die nicht gut sind. Die besten­falls gehobener Durch­schnitt sind. Ihr zeigt die Filme, die für Venedig/Toronto/San Sebastian nicht fertig sind, und von Cannes nicht genommen werden, und die nicht lieber nach Rotterdam gehen.
Ihr seid ein A-Festival. Also sollten 80 Prozent Eurer Filme gut sein, es wert sein, gesehen zu werden, Nicht lang­weilen, nicht nerven. Das ist leider nicht der Fall.

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Es geht bei der Kritik an der Berlinale von mir und anderen aber gar nicht um einzelne Filme, sondern um die Umstände unter denen sie gezeigt und gesehen werden. Es geht um die Wahr­neh­mungs­be­din­gungen. Diese Bedin­gungen, unter denen wir auf der Berlinale Filme sehen, unter denen sie von Euch präsen­tiert werden, sind lieblos und vulgär, sie sind alles andere als cinephil, sie sind mindes­tens im Effekt zynisch und sie schaden den Filmen.

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Dazu nur ein Beispiel: 403 Filme habt ihr. Eine Auswei­tung des Programms um 209 Prozent. Eine Film­in­fla­tion. Inflation heißt ja nun »Entwer­tung« und es findet bei Euch auf der Berlinale eine enorme Entwer­tung statt: Zual­ler­erst eine Entwer­tung der Filme: Man kann sie nicht sehen, sie werden nicht präzise auf ein Publikum hinku­ra­tiert, und mitein­ander sorg­fältig in einen Programm­fluss program­miert, sondern einfach ausgekü­belt.
Mittelbar ist das auch eine Entwer­tung der Berlinale selbst. Denn Cannes und Venedig zeigen in der »Offi­zi­ellen Selektion« kaum 80 Filme – wenn ihr dreimal so viel Filme zeigt, dann ist der Bär auf dem Plakat halt nur ein Drittel davon wert.
Auch darum würde fast jeder Filme­ma­cher seinen Film lieber in Cannes und Venedig laufen haben, als in Berlin.

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Das versuche ich zu beschreiben. Als Mängel­liste, wie in einem Schwarz­buch. Denn der Zustand der Berlinale ist ein kultur­po­li­ti­scher Skandal! Darum versuche ich nüchterne Fakten zu präsen­tieren, wie die Münchner Studie zur Diver­sität auf der Berlinale. Darum beschreibe ich Gerüchte, wie neulich die über mögliche Nach­folger des derzei­tigen Festi­val­lei­ters.
Das sauge ich mir nicht aus den Fingern. Aber wenn es für Dich beru­hi­gender ist, musst Du mir nicht glauben, dass ich die Wahrheit sage. Mir genügt, dass ich die kenne, mit denen ich gespro­chen habe. Ich nenne die Namen hier nicht, weil ich aus eigener Erfahrung weiß, dass es schwarze Listen gibt, dass Eure Pres­se­ab­tei­lung mit Zucker­brot und Peitsche, vor allem mit Peitsche versucht, auf Jour­na­listen und ihre Bericht­erstat­tung Einfluss zu nehmen. Reden wir doch nicht darum herum!
Aus der Deckung kommen nur die, die sich ganz sicher fühlen oder Außen­seiter wie der aus Korea stammende Berliner Philosoph Byung-Chul Han: In seinem sehr lesens­werten, krassen Text in der Welt steht natürlich auch mancher Quatsch, jeden­falls nach meiner Ansicht, aber auch in diesem Fall müsstet ihr Euch doch fragen, warum ihr bei dem Typ diese Aggres­sionen weckt, dass er schreibt: »Das Berliner Film­fes­tival ist zu einem kafka­esken Schloss geworden.« Und noch vieles mehr.

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Wir müssen mehr über Festivals nach­denken, Festivals sind wichtig. Wir müssen darüber nach­denken, wozu sie da sind, was sie leisten sollen, und was sie viel­leicht auch nicht leisten können. Ein Festival kann es nicht allen recht­ma­chen.

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Die Berlinale ist ein wunder­bares Festival. Poten­tiell. Poten­tiell könnte sie Venedig locker einholen. Poten­tiell wären Locarno und San Sebastian keine Konkur­renz.
Aber Euer Wett­be­werb ist bieder und inhal­tis­tisch. Der Film, der jetzt gewonnen hat, ist ein guter netter Film. Ich hab ihn gemocht. Aber er ist nicht mal im Traum ein Film, dem man sich im Wett­be­werb von Cannes oder Venedig auch nur vorstellen könnte.

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Ich weiß auch, dass ich mir Blößen gebe. Vermeid­bare und unver­meid­liche Blößen. Dass nicht jeder Kommentar sitzt. Dass ein paar, die davon wissen, viel­leicht tatsäch­lich glauben, ich würde mich hier nur dafür rächen, dass mein neuer Film, Hitlers Hollywood über das NS-Kino, der am Donnerstag in den deutschen Kinos startet, vom Panorama der Berlinale nicht einge­laden wurde. Wer das behaupten will, zeigt damit natürlich vor allem erstmal, wie er selber denkt. Solche Art der Rache habe ich nicht nötig. Zumal ich die Berlinale schon in früheren Jahren schlecht fand. Zumal ich tatsäch­lich die Doku­men­tar­filme in allen Reihen in diesem Jahr das Stärkste am ganzen Festival fand.
Man muss das aber anspre­chen, auch das gehört zur Offenheit. Um aller­dings auch die ganze Sache zu erzählen: Einrei­chen wollte mein Welt­ver­trieb. Dazu gehört auch, dass der im Forum gar nicht einge­reicht hat, mit der Begrün­dung, »dass das Forum dem Film nichts bringt«. Ich habe übrigens, dafür gibt es Zeugen, gleich gesagt: Die nehmen mich nicht. Mir war bei der Einrei­chung auch deshalb nicht wohl, weil ich mir dachte: Wie kann ich dann je noch über die Berlinale schreiben? Hier übrigens fand ich die Berlinale wieder mal töricht. Es wäre für Euch nämlich eine wunder­bare Chance gewesen, großzügig zu sein, einen, der Euch seit Jahren in nicht völlig unbe­deu­tenden Medien kriti­siert, einfach einzu­laden.
Das wäre übrigens nicht nur großzügig gewesen, sondern auch ein cleverer Schachzug. Wie hätte ich dann denn noch jemals im Ernst über die Berlinale schreiben können? Egal was ich geschrieben hätte – man hätte mir entweder vorge­worfen, keine Manieren zu haben oder mich einseifen zu lassen.
Daher bin ich eher erleich­tert darüber, dass ihr weder besonders großzügig seid, noch clever.

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Das ist die egozen­tri­sche Sicht. Ihr bei der Berlinale bewegt Euch umgekehrt aber auch in einer einzigen Filter­blase: selbst-zentriert, selbst-gefällig, selbst-gerecht – so tritt der Laden auf und wird wahr­ge­nommen. Diese Berlinale-Blase, die müssen wir aufste­chen. Und das werden wir. Irgend­wann wird sie platzen. That will be ugly.

Es spricht für Dich, dass Du dann schreibst »Ich muss das so sagen...« und erwähnst, dass ja »wir alle Gefangene unserer eigenen Beschrän­kung« sind. (Mit dem Alter hat das btw nichts zu tun, und so weit sind wir ja auch nicht ausein­ander.)
Mir ist da der Gedanke gekommen, ob es nicht auch beim Berlinale-Betrieb so etwas wie ein Stockholm-Syndrom gibt – die Iden­ti­fi­ka­tion mit dem eigenen Gefan­genen-Wärter? Da müssen manche bei Euch – Du nicht! – aufpassen.

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Wie dem auch sei, liebe Linda, wünsche ich Dir jetzt gute Erholung. Heute früh, am Montag, wachen wir auf, und die Berlinale ist vorbei. Ein Jahr lang können wir dann ganz ohne Berlinale leben, und bestimmt ange­neh­mere Gespräche über bessere Filme und bessere Festivals führen. Schöne Aussichten!

Herzlich,
Rüdiger