24.06.2016
33. Filmfest München 2016

Entglei­sung, bitte!

winwin
Es braucht ein Miteinander gegen die Effizienz: WinWin
(Foto: Daniel Hoesl)

Daniel Hoesls WinWin

Von Dennis Vetter

Ein Deutsch­land­start sei nicht in Aussicht, meint Regisseur Daniel Hoesl, wenn ich ihn frage, ob wir mitein­ander ein Interview machen zur Veröf­fent­li­chung seines neuen Films WinWin. Nachdem das Phänomen »Hipness« und die Obsession mit Stil in den letzten Jahren ein kaum versie­gendes Thema medialer Aufmerk­sam­keit war und während sich die Über­set­zung von Erschei­nungen der Welt in zentra­lis­ti­sche Wert­lo­giken munter fortsetzt, ist es absurd, diesem Film keine Beachtung zu schenken. Denn er fügt diese beiden Bausteine in auffäl­liger Weise zu einem irri­tie­renden Kurz­schluss zusammen. Mit einem lako­ni­schen Blick betrachtet der Film das gerne als naiv verkaufte Vergnügen an Stil, Manie­rismus und Ober­fläche als absurdes Spiel mit real­po­li­ti­schen und kapi­ta­lis­ti­schen Wert­lo­giken.

Das 'Spiel mit dem Stil' formu­liert sich hier in einer Art post­apo­ka­lyp­ti­scher Gegenwart, die mit nur kleinen Verän­de­rungen der Insze­nie­rungs­weise realis­tisch anmuten würde. Die Situa­tionen sind Umset­zungen kapi­ta­lis­ti­scher Super­la­tive und Adap­tionen von Konse­quenzen, geboren aus der Logik ökono­mi­scher Macht und ihrer Verkör­pe­rung durch die Mana­ger­kultur. Stil wird in seiner Adaption durch einen Macht­ap­parat zu einer Formung von Körper und Welt nach mani­festen Idealen. Im Fall von WinWin gilt nur ein Ideal: Kapi­ta­lismus. Und das mani­fes­tiert sich hier in Wort und Tat, in Raum und Geste, Blick und Mimik, Rhythmus und Drama­turgie. Dass die erlernten Rollen­bilder eines inter­na­tio­nalen Verwer­tungs­sys­tems all diese Bereiche in vielen Fällen auf kurze oder lange Sicht beein­flussen, ist nicht weit hergeholt.

Was geschieht eigent­lich? Ein Gruppe von sonder­baren Gestalten, gehüllt in das Gewand stil­be­wusster Unter­nehmer, taucht auf. Wie Heils­bringer werden diese angeblich reichen und offen­sicht­lich klugen Menschen von einem Unter­nehmen einge­laden und durch die Indus­trie­hallen geführt. Es wird irgend­wann geplant, hier und da gekauft und über­nommen, stets verbunden mit Verspre­chen von Weiter­ent­wick­lung, Effizienz und der Verheißung von Einfluss. Für das ganze Land scheint es von Bedeutung zu sein, dass diese Inves­toren mit ihrem inter­na­tio­nalen Appeal allein schon präsent sind. Man möchte mit ihnen gesehen werden. Es scheint weniger wichtig, dabei genauer hinzu­schauen und zwischen den Worthülsen einmal nach Taten zu fragen. Viele Firmen wittern den Braten, dass es hier wohl etwas zu holen geben könnte. Man sucht also das Gespräch. Und der Film zeigt das. Viele Gespräche finden statt, in schönen Büros, die auf manche vermut­lich steril wirken. Auf einige ganz bestimmt elitär.

Exis­tenzen werden bald zum Gegen­stand eines fort­lau­fenden Amüse­ments, das nicht einmal selbst­ge­fällig ist: Es hat etwas Trockenes und Unbe­ein­drucktes, wenn hier Menschen ihre Herzens-Unter­nehmen und Lebens­pro­jekte, ihr Handwerk und ihre Berufung zu Schleu­der­preisen verscher­beln, das Geschick über ihr Leben nach der Insolvenz einem fremd­ar­tigen Komitee in die Hände geben. Wenn das Aufkaufen von Firmen zu lang­weilig wird, fälscht man hier und da ein wenig Kunst oder gibt sich mit der Politik ab. Da macht man sich dann gerne Kompli­mente für die Wahl der Kleidung oder für die ausge­fal­lene Tasche. Johanna Orsini Rosenberg, die schon in Hoesls vorhe­rigem Film Soldate Jeanette auf besondere Art aris­to­kra­tisch wirkte, stellt mit vergnüg­li­cher Absur­dität eine Wiener Poli­ti­kerin nach, deren Name offen­sicht­lich nichts zur Sache tut.

Was sich hier abspielt, in den Bildern und Räumen dieser Modell­welt, das hat keinen Ursprung und kein Ziel, sondern es geht hier um die Währungen. Wie man wirkt, das richtige Lächeln in Verbin­dung mit dem nötigen Maß an Abge­klärt­heit, das wird zur Substanz. Auf das richtige Pferd zu setzen, das ist immer auch eine Frage von Charme. Und überhaupt erscheint hier das Setzen auf etwas als Platz­halter für Vertrauen. Man wägt ab in diesem Film und erhofft sich immer etwas davon, dass man etwas tut. Die Speku­la­ti­ons­logik des Finanz­markts wird dabei zur sozialen Speku­la­tion, zum Lebens­ent­wurf. Viel­leicht, das erforscht der Film, liegt in diesem Speku­lieren ohne Rücksicht auf jede Konse­quenz auch ein anar­chis­ti­scher Charme – wenn man die nötige Abge­klärt­heit mitbringt. Diese 'Menschen' sind Scha­blonen, umher­rei­sende Heuschre­cken, zum Ende hin geradezu geis­ter­haft, in jedem Fall schlei­er­haft und irgendwie unheim­lich. Das 'Unheim­liche', was Freud in den Städten zu finden glaubte, das scheint hier hinter den Augen verborgen, unter dem teuren Anzug, im Arran­ge­ment eines spärlich portio­nierten Gerichts. Die Drohung der kapi­ta­lis­ti­schen Herr­schaft, die ist attraktiv verpackt als Angebot, das man nicht abschlagen kann, als fatale Verheißung, stil­si­cher vorge­tragen und in ihrer Konse­quenz nicht selten beängs­ti­gend, undurch­schaubar in ihrer Tragweite und chaotisch in ihrer Absage an alle Werte außer dem Antlitz der Wertig­keit selbst.

Zwei Frauen lehnten sich in Soldate Jeanette gegen das System des Kapitals auf wurden Kompli­zinnen, um sich vom Gewicht ihres sozialen Ballasts frei zu machen. Bei WinWin gibt es diese Hoffnung auf Freiheit nicht mehr, nicht ohne die Grenzen der Realität selbst zu über­treten. Ein verdammt zynischer Kopf­schuss ist das, der hier inter­ve­niert. Man befindet sich mitein­ander in einer Kaste der Entschei­denden, unter Komplizen. Und man möchte diese Kompli­zen­schaft nicht mehr aufgeben, selbst wenn irgend­wann alle Komplizen zu Wider­sa­chern geworden sind. Es fühlt sich fast an, als wäre in diesen entle­genen Etagen und exoti­schen Meeting-Spaces eine Hoffnung auf eine greifbare Welt nie dagewesen.

Was bei dieser Win-Win-Situation, in dieser über­sti­li­sierten Welt, auf der Strecke bleibt, das ist eine Quelle, aus der sich Stil als Qualität und Potenzial erst speisen kann: Das Jetzt, das Hier, das Präsente. Die Fähigkeit, einen Moment nicht erfolg­reich, sondern spezi­fisch zu leben und in einer sonder­baren Lebens­praxis eine indi­vi­du­elle Eleganz als Kraft zu formu­lieren. Dass Hoesl einen feinen Geschmack hat, das zeigt sich übrigens schon allein darin, dass er ein Meister der Geschmack­lo­sig­keit ist. Sein Film ist uner­träg­lich, aber sieht dabei sexy aus und gefällt sich. Man nimmt die Schläge, die er austeilt, mit Handkuss. »European Film Conspi­racy« hieß die Produk­ti­ons­gruppe, mit der Hoesl anfäng­lich arbeitete. Für Verschwörungen mit mutigen Verlei­hern und Kinos ist er also ganz bestimmt offen. Es braucht ein Mitein­ander gegen die Effizienz, ein sperriges, unprak­ti­sches Mitein­ander, von Zeit zu Zeit eine kollek­tive Entglei­sung. Was Charakter hat, das schlägt sich viel zu oft alleine durch.

»Style means no shield at all.
Style means no front at all.
Style means ultimate natu­ral­ness.
Style means one man alone with billions of men about.«
– Charles Bukowski