33. Filmfest München 2016
Entgleisung, bitte! |
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Es braucht ein Miteinander gegen die Effizienz: WinWin | ||
(Foto: Daniel Hoesl) |
Von Dennis Vetter
Ein Deutschlandstart sei nicht in Aussicht, meint Regisseur Daniel Hoesl, wenn ich ihn frage, ob wir miteinander ein Interview machen zur Veröffentlichung seines neuen Films WinWin. Nachdem das Phänomen »Hipness« und die Obsession mit Stil in den letzten Jahren ein kaum versiegendes Thema medialer Aufmerksamkeit war und während sich die Übersetzung von Erscheinungen der Welt in zentralistische Wertlogiken munter fortsetzt, ist es absurd, diesem Film keine Beachtung zu schenken. Denn er fügt diese beiden Bausteine in auffälliger Weise zu einem irritierenden Kurzschluss zusammen. Mit einem lakonischen Blick betrachtet der Film das gerne als naiv verkaufte Vergnügen an Stil, Manierismus und Oberfläche als absurdes Spiel mit realpolitischen und kapitalistischen Wertlogiken.
Das 'Spiel mit dem Stil' formuliert sich hier in einer Art postapokalyptischer Gegenwart, die mit nur kleinen Veränderungen der Inszenierungsweise realistisch anmuten würde. Die Situationen sind Umsetzungen kapitalistischer Superlative und Adaptionen von Konsequenzen, geboren aus der Logik ökonomischer Macht und ihrer Verkörperung durch die Managerkultur. Stil wird in seiner Adaption durch einen Machtapparat zu einer Formung von Körper und Welt nach manifesten Idealen. Im Fall von WinWin gilt nur ein Ideal: Kapitalismus. Und das manifestiert sich hier in Wort und Tat, in Raum und Geste, Blick und Mimik, Rhythmus und Dramaturgie. Dass die erlernten Rollenbilder eines internationalen Verwertungssystems all diese Bereiche in vielen Fällen auf kurze oder lange Sicht beeinflussen, ist nicht weit hergeholt.
Was geschieht eigentlich? Ein Gruppe von sonderbaren Gestalten, gehüllt in das Gewand stilbewusster Unternehmer, taucht auf. Wie Heilsbringer werden diese angeblich reichen und offensichtlich klugen Menschen von einem Unternehmen eingeladen und durch die Industriehallen geführt. Es wird irgendwann geplant, hier und da gekauft und übernommen, stets verbunden mit Versprechen von Weiterentwicklung, Effizienz und der Verheißung von Einfluss. Für das ganze Land scheint es von Bedeutung zu sein, dass diese Investoren mit ihrem internationalen Appeal allein schon präsent sind. Man möchte mit ihnen gesehen werden. Es scheint weniger wichtig, dabei genauer hinzuschauen und zwischen den Worthülsen einmal nach Taten zu fragen. Viele Firmen wittern den Braten, dass es hier wohl etwas zu holen geben könnte. Man sucht also das Gespräch. Und der Film zeigt das. Viele Gespräche finden statt, in schönen Büros, die auf manche vermutlich steril wirken. Auf einige ganz bestimmt elitär.
Existenzen werden bald zum Gegenstand eines fortlaufenden Amüsements, das nicht einmal selbstgefällig ist: Es hat etwas Trockenes und Unbeeindrucktes, wenn hier Menschen ihre Herzens-Unternehmen und Lebensprojekte, ihr Handwerk und ihre Berufung zu Schleuderpreisen verscherbeln, das Geschick über ihr Leben nach der Insolvenz einem fremdartigen Komitee in die Hände geben. Wenn das Aufkaufen von Firmen zu langweilig wird, fälscht man hier und da ein wenig Kunst oder gibt sich mit der Politik ab. Da macht man sich dann gerne Komplimente für die Wahl der Kleidung oder für die ausgefallene Tasche. Johanna Orsini Rosenberg, die schon in Hoesls vorherigem Film Soldate Jeanette auf besondere Art aristokratisch wirkte, stellt mit vergnüglicher Absurdität eine Wiener Politikerin nach, deren Name offensichtlich nichts zur Sache tut.
Was sich hier abspielt, in den Bildern und Räumen dieser Modellwelt, das hat keinen Ursprung und kein Ziel, sondern es geht hier um die Währungen. Wie man wirkt, das richtige Lächeln in Verbindung mit dem nötigen Maß an Abgeklärtheit, das wird zur Substanz. Auf das richtige Pferd zu setzen, das ist immer auch eine Frage von Charme. Und überhaupt erscheint hier das Setzen auf etwas als Platzhalter für Vertrauen. Man wägt ab in diesem Film und erhofft sich immer etwas davon, dass man etwas tut. Die Spekulationslogik des Finanzmarkts wird dabei zur sozialen Spekulation, zum Lebensentwurf. Vielleicht, das erforscht der Film, liegt in diesem Spekulieren ohne Rücksicht auf jede Konsequenz auch ein anarchistischer Charme – wenn man die nötige Abgeklärtheit mitbringt. Diese 'Menschen' sind Schablonen, umherreisende Heuschrecken, zum Ende hin geradezu geisterhaft, in jedem Fall schleierhaft und irgendwie unheimlich. Das 'Unheimliche', was Freud in den Städten zu finden glaubte, das scheint hier hinter den Augen verborgen, unter dem teuren Anzug, im Arrangement eines spärlich portionierten Gerichts. Die Drohung der kapitalistischen Herrschaft, die ist attraktiv verpackt als Angebot, das man nicht abschlagen kann, als fatale Verheißung, stilsicher vorgetragen und in ihrer Konsequenz nicht selten beängstigend, undurchschaubar in ihrer Tragweite und chaotisch in ihrer Absage an alle Werte außer dem Antlitz der Wertigkeit selbst.
Zwei Frauen lehnten sich in Soldate Jeanette gegen das System des Kapitals auf wurden Komplizinnen, um sich vom Gewicht ihres sozialen Ballasts frei zu machen. Bei WinWin gibt es diese Hoffnung auf Freiheit nicht mehr, nicht ohne die Grenzen der Realität selbst zu übertreten. Ein verdammt zynischer Kopfschuss ist das, der hier interveniert. Man befindet sich miteinander in einer Kaste der Entscheidenden, unter Komplizen. Und man möchte diese Komplizenschaft nicht mehr aufgeben, selbst wenn irgendwann alle Komplizen zu Widersachern geworden sind. Es fühlt sich fast an, als wäre in diesen entlegenen Etagen und exotischen Meeting-Spaces eine Hoffnung auf eine greifbare Welt nie dagewesen.
Was bei dieser Win-Win-Situation, in dieser überstilisierten Welt, auf der Strecke bleibt, das ist eine Quelle, aus der sich Stil als Qualität und Potenzial erst speisen kann: Das Jetzt, das Hier, das Präsente. Die Fähigkeit, einen Moment nicht erfolgreich, sondern spezifisch zu leben und in einer sonderbaren Lebenspraxis eine individuelle Eleganz als Kraft zu formulieren. Dass Hoesl einen feinen Geschmack hat, das zeigt sich übrigens schon allein darin, dass er ein Meister der Geschmacklosigkeit ist. Sein Film ist unerträglich, aber sieht dabei sexy aus und gefällt sich. Man nimmt die Schläge, die er austeilt, mit Handkuss. »European Film Conspiracy« hieß die Produktionsgruppe, mit der Hoesl anfänglich arbeitete. Für Verschwörungen mit mutigen Verleihern und Kinos ist er also ganz bestimmt offen. Es braucht ein Miteinander gegen die Effizienz, ein sperriges, unpraktisches Miteinander, von Zeit zu Zeit eine kollektive Entgleisung. Was Charakter hat, das schlägt sich viel zu oft alleine durch.
»Style means no shield at all.
Style means no front at all.
Style means ultimate naturalness.
Style means one man alone with billions of men about.«
– Charles Bukowski