17.02.2016
66. Berlinale 2016

Die Vielfalt unter dem Wüsten­sand

In the Last Days of the City
In the Last Days of the City
(Foto: Wolf Kino GmbH / Arsenal – Institut für Film und Videokunst e.V.)

Filme aus dem Nahen Osten auf der Berlinale – Berlinale-Tagebuch, 11. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»The friend of each people is his intellect, its enemy is its ignorance.«
Reza (768-818), der achte Imam

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Ein junger Mann streicht durch die Metropole Kairo, vorbei an kleinen Läden, an Autostaus, an fahrenden Händlern. Im Hinter­grund sieht man den Nil, die Parks, die uns unbe­kannte Pracht der Metropole. Immer wieder sitzt er im Café. Er heißt Khalid und sucht eine neue Wohnung, denn aus seiner lieb gewor­denen alten muss er heraus. So lernen wir ihn kennen, einen Filme­ma­cher, der an seinem ersten Film arbeitet, und die Geschichte seiner Familie rekon­stru­iert. Der Vater ist tot, die eine Schwester starb einst bei einem Auto­un­fall in Libyen, die andere Schwester trifft er gele­gent­lich, die Mutter liegt schwer krank im Kran­ken­haus. Ein Stab­wechsel der Gene­ra­tionen. Eine Reise zwischen Erin­ne­rung an Ägyptens große Geschichte und unsi­cherer Zukunft: Denn Khalids Freundin, eine moderne eman­zi­pierte Frau hat ihn verlassen, weil sie die repres­sive Stimmung im Land nicht mehr erträgt. Es ist 2010, kurz vor dem arabi­schen Frühling, der auch Ägyptens modernen Pharao Mubarak stürzte. Im Hinter­grund berichten die Fern­seh­nach­richten von Unruhen und künden das Kommende an.

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Mit Khalid und seinem Makler lernen wir diesen langen Winter vor der Revo­lu­tion kennen. Wir entdecken auch Ägyptens Haupt­stadt Kairo als leben­diger Orga­nismus, zugleich als Landkarte der Sehn­süchte und Träume, als Traum­fa­brik.
Khalid hat drei enge Freunde. Sie trennen sich, und während Khalid bleibt, geht der eine nach Berlin, der zweite nach Beirut, der dritte nach Baghdad.
So markiert In the Last Days of the City von Tamer El Said, dieser ägyp­ti­sche Beitrag und große Film im Berlinale-Forum auch unter der Hand, eine Region, die viele Filme in den Fokus rückt.

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Arabien, Naher oder Mittlerer Osten, isla­mi­sche Länder – alle diese Begriffe sind vage, keiner befrie­digt so ganz, wenn man diese Region charak­te­ri­sieren will, die von der Atlan­tik­küste Marokkos bis zum Indischen Ozean reicht, von den schnee­be­deckten Bergen Kurdi­stans bis zum Horn von Afrika.
Viele Werke aus dieser Region laufen auf der Berlinale – offenbar braucht man den Anstoß durch Nach­rich­ten­bilder von Krieg, Terror, reli­giösem Fana­tismus, um sich für eine Region zu inter­es­sieren, die doch eine Wiege der Welt­kultur ist.

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Zu diesen Filmen gehört der erste Spielfilm überhaupt, der aus Saudi-Arabien stammt: Barakah Meets Barakah von Mahmoud Sabbagh ist über­ra­schend: Eine Romantic Comedy, die im ersten Moment wie orien­ta­li­sches Bauern­theater anmutet, dann aber doch nicht nur gut unterhält, sondern auch erstaun­liche Viel­schich­tig­keit und Tiefgang entfaltet.
Denn zum einen ist dies ein Date-Movie über die erblühende Liebe zwischen einem Regie­rungs­be­amten und einem Internet-Star, bei dem die Frage »kriegen sie sich? Kriegen sie sich nicht?« durchaus Raum einnimmt. Dabei erleben wir aber wie viele Frauen hier unver­schleiert herum­laufen, wie schwierig es aber ist, sich als Unver­hei­ra­tete überhaupt zu treffen. Wir erleben die harten Regeln der reli­giösen Polizei, die kaum minder tyran­ni­schen Fami­li­en­tra­di­tionen.
Zum anderen ist dies ein Spiel mit der Zensur, denn der Regisseur macht aus will­kür­lich einge­setzten Bilder-Pixeln einen großen Lachspaß.
Schließ­lich ist der Film inter­es­sant, weil man einmal ein paar Innen­an­sichten aus dem Alltag Saudi-Arabien zu sehen bekommt, die jenseits der üblichen Mekka-Pilger-Nach­rich­ten­bilder ein modernes, viel­schich­tiges Land zeigen – weit entfernt zwischen dem eines Öl-Schla­raf­fen­lands, aber auch kein Nordkorea im Wüsten­sand.

In jedem Fall ein Staat unter heftigem Reform­druck, der jederzeit implo­dieren kann – wovor man nach diesem Film auch keine Angst mehr haben muss.

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Ein ganz anderer Film ist Houses Without Doors aus Syrien. Avo Kaprea­lian hat in seiner Heimat­stadt Aleppo gedreht, nach Beginn der immer noch andau­ernden Bela­ge­rungs­kämpfe. Aber sein Film ist kein Doku­men­tar­film, sondern eine essay­is­ti­sche Mischung aus philo­so­phi­scher Reflexion über arabische, osma­ni­sche und arme­ni­sche Geschichte, und Spiel­szenen, und Doku­men­ta­ri­schem. Eine anspruchs­volle Etüde über den Krieg an sich, und was er mit seinem Land gemacht hat.
Der Regisseur ist ein Archivar, der das Archiv des Imaginären mit dem des Realen verbindet. In Arabien werden gerade die Archive neu gemischt – und auch unser Gedächtnis wird durch die Begegnung mit dem Arabi­schen verändert. Die Berlinale hat daran einen guten Anteil, ihre Filme aus Arabien können unsere Debatte nur befruchten.