04.04.2013
Cinema Moralia – Folge 57

Trailer lügen nicht...

Spring Breakers
James Franco in Spring Breakers
(Foto: Wild Bunch Germany GmbH / Central Film Verleih GmbH)

Lust, Frust und Unlust – was die Filmakademie mit dem Münchner Oberlandesgericht verbindet, und Transparenz – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 57. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Seit zwei Wochen läuft Spring Breakers in den Kinos, der neue Film von Harmony Korine. Ohne zu über­treiben kann man sagen, dass mit diesem Film zumindest im Kino ein echter Früh­lings­an­fang geglückt ist.
In der neuesten Ausgabe der »Cahiers du Cinéma« ist der Titel und ein Dossier mit vier Beiträgen dem Film gewidmet: Wer’s uns also nicht glauben will, kann es dort nachlesen: »Korine.Révo­lu­tion.Pop«
Oder wer sich sinnlich über­zeugen lassen will, kann diesen Trailer angucken: http://movies.yahoo.com/video/spring-breakers-redband-trailer-183020623.html

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Aber Spring Breakers ist ja längst nicht nur ein sehr, sehr guter und in jeder Hinsicht sehr, sehr wichtiger Film, er stellt an das Kino auch eine ganz simple Frage: Warum gibt es eigent­lich nicht mehr solche Filme? Warum haben schon vor Jahren Werke wie Mulhol­land Drive, Happiness, Lost in Trans­la­tion, um mal nur drei wichtige, drei ameri­ka­ni­sche zu nennen, kaum Folgen gehabt? Genauso wenig die Video­clips oder Youtube oder überhaupt das Internet? Von irgend­wel­chen idio­ti­schen Games-Verfil­mungen oder der gras­sie­renden Spiel-»Drama­turgie« mal abgesehen? Warum muss Kino immer so entsetz­lich plot­lastig, so brav drama­tur­gisch sein?

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Die Frage, die Spring Breakers ans deutsche Kino stellt, ist natürlich die: Warum macht hier keiner sowas? Kostet gar nicht viel, im Vergleich jeden­falls. Kann dies aber wahr­schein­lich nicht mit dem Fernsehen machen. Warum wird also einer­seits das Film-Geld mit beiden Händen direkt in den Ofen geschmissen, in dem es dann verbrannt wird, und werden ande­rer­seits immer weniger Projekte reali­siert, die mal auch nur ein klein wenig von jenem lang­wei­ligen Main­stream-Pfad abweichen, den wir alle kennen?

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Was dann übrig bleibt, das sehen wir in der Nomi­nie­rungs­liste der Deutschen Film­aka­demie. In den letzten Jahren haben wir hier ja öfters über den Filmpreis, die Nomi­nie­rung dazu und die ausrich­tende Film­aka­demie geschrieben. Dazu gab es Feedback, viel Gutes, auch deutliche Kritik seitens der Akademie. In Teilen war sie auch berech­tigt, weil an dieser Stelle zum Beispiel im letzten Jahr, einiges Falsche zum Auswahl­ver­fahren stand. Ich will jetzt gar nicht damit kontern, dass das ja auch ein wenig daran gelegen haben mag, dass das Verfahren fast jedes Jahr geändert – »verbes­sert« sagen die Verant­wort­li­chen – wurde, und das ein Verfahren, dessen nach meinem Eindruck noch nicht mal komplette, Darstel­lung auf der akade­mie­ei­genen Website sage und schreibe siebzehn klein beschrie­bene PDF-Seiten in Anspruch nimmt, deren Lektüre allein eine gute Stunde braucht, ihr Vers­tändnis je nach Tagesform und geistigen Kapa­zi­täten noch eine ganze Weile länger – dass also solch ein Verfahren viel­leicht wohl­erwogen ist, aber doch nicht so trans­pa­rent und wider­spruchs- und problem­frei, wie es sein sollte. Und darum miss­ver­steht man da auch mal etwas, oder ist einfach nicht auf dem neuesten Stand.
Den Satz wird man jetzt wieder kriti­sieren, darum sei klar hinzu­ge­fügt: Ich will mich nicht rausreden. Ich bin einfach zu blöd gewesen, um alle Fein­heiten des Verfahren zu kapieren. Aber immerhin bin ich damit in guter Gesell­schaft – unter anderem mit gefühlt mindes­tens einem Drittel der Akade­mie­mit­glieder.
Trotzdem: Bis zur Preis­ver­lei­hung habe ich die Absicht und den Ehrgeiz, das Verfahren noch so genau zu studieren, dass ich es zumindest verstehe. Mal sehen.

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Das Entschei­dende hat damit aber gar nichts zu tun. Im Grunde muss man gar nicht über die Akademie reden, und nicht über Verfah­rens­fragen, sondern es genügt einfach, sich die Liste der Nomi­nie­rungen für den nächsten Filmpreis durch­zu­lesen, um zu wissen, was am Verfahren faul, und was im deutschen Kino zur Zeit los ist. Das Entschei­dende ist am Ende, ob das Ergebnis überzeugt. Und das tut es nicht, auch wenn man den Betei­ligten gern zubilligt, dass sie es in diesem Jahr der schlechten Filme wirklich nicht leicht haben.
Und so erinnert alles ein wenig an die Situation des Ober­lan­des­ge­richt München vor dem begin­nenden NSU-Verfahren: Formal und im Einzelnen ist alles korrekt. Aber insgesamt stimmt doch ziemlich wenig.

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Denn egal, was am Verfahren immer wieder verbes­sert wird, man weiß eben doch schon vorher, wer nominiert wird. Am 15. November haben wir hier schon geschrieben, dass Cloud Atlas bestimmt in allen tech­ni­schen Kate­go­rien nominiert werden wird. Und wenn dann mal ein Film so über­ra­schend durch­startet wie Oh Boy!, dann wird er eben auch bald­mög­lichst einge­meindet, und alle hängen sich dran, und die Macher sollen jetzt möglichst viele Filme machen, die aber dann so sein müssen wie alle.
Neun Nomi­nie­rungen für Cloud Atlas? Wirklich? Und eine Schau­spiel­preis­no­mi­nie­rung für Sabin Tambrea als Ludwig II. Wirklich?? Und eine fürs beste Szenen­bild für Die Abenteuer des Huck Finn und Die Vermes­sung der Welt. Wirklich???
Und natürlich ist es falsch, egal was die Richt­li­ni­en­deh­nungs­in­ter­pre­ta­tion hergibt, Cloud Atlas überhaupt zu nomi­nieren. Das ist kein deutscher Film. »Lola kann kein Deutsch mehr« kommen­tierte Hanns-Georg Rodek in der Welt, und schrieb treffend: »Selbst wenn man ... ein Auge zudrückt, zeigt Cloud Atlas, dass die Richt­li­nien der Akademie sowohl der Realität des Film­ge­schäfts nicht mehr ange­messen sind als auch ihren Auftrag verraten: einen deutschen Kultur­preis zu vergeben. Sie gehören dringend geändert.«
Und zum deutschen Kino? Schon über den Inhalt der ominösen »Kiste« hörte man im Vorfeld Sätze: »So schlecht war’s noch nie.« Natürlich nicht von allen, aber doch von vielen.

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Wenn man im Übrigen immer gern die Trans­pa­renz des aktuellen Verfah­rens betont – und das wollen wir mal im Zweifel so stehen lassen –, dann hätte ich nur die Empfeh­lung, doch auch in anderen Bereichen ähnlich trans­pa­rent zu sein: Zum Beispiel könnte die Akademie die Wahl­be­tei­li­gung veröf­fent­li­chen, und mitteilen, wie die Stimmen im Einzelnen verteilt sind.

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Noch ein Hinweis zur Frage der Trans­pa­renz: Allen, die darin das Allheil­mittel gegen Demo­kratie-Verdruss, Lobby­ismus und Korrup­tion zu finden glauben, sollten sich mal die kleine, preis­werte Streit­schrift »Trans­pa­renz­ge­sell­schaft« (Matthes & Seitz Berlin 2012) durch­lesen. Dauert auch gar nicht lang. Darin warnt der korea­ni­sche, an der Univer­sität der Künste Berlin lehrende Philosoph Byung-Chul Han vor dem Fetisch der Trans­pa­renz, der sich zu einem »Trans­pa­renz­terror« entwi­ckele. Radikal zu Ende gedacht sei in einer von Trans­pa­renz durch­drun­genen Gesell­schaft gar kein Vertrauen mehr möglich. »Die Trans­pa­renz­ge­sell­schaft ist eine Gesell­schaft des Miss­trauens, die aufgrund des schwin­denden Vertrauens auf Kontrolle setzt.«

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Dies mal fürs erste, »artechock« will ins Bett, darum gilt jetzt gerade mehr denn je:

(To be continued)

Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beob­ach­tungen, Kurz­kri­tiken, Klatsch und Film­po­litik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kino­ge­hers.