21.05.2011
64. Filmfestspiele Cannes 2011

The Trouble with Lars

Lars von Trier
»The special one«: Lars von Trier

Im Zweifel für den Teufel: Lars, Hitler und der Spiegel – Notizen aus Cannes, 3. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Jehova! Jehova!« – wir kennen diese Figur aus Das Leben des Brian. Einer ruft das gerade dort, wo er es nicht rufen sollte. Dann wird er gestei­nigt. Und was ruft man heute, wenn man die Menge provo­zieren möchte?

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»Ich habe entdeckt, dass ich ein Nazi bin. Das bereitet mir ein gewisses Vergnügen. Ich verstehe Hitler, auch wenn er einige falsche Entschei­dungen getroffen hat. Ich sympa­thi­siere sogar ein bisschen mit ihm.« Außen­seiter unter sich – fassungs­lose Stille, und peinlich berührtes Gelächter war die erste spontane Reaktion auf diese Äuße­rungen, gestern Mittag während der Pres­se­kon­fe­renz zu Lars von Triers neuem Film Melan­cholia im Wett­be­werb beim Film­fes­tival von Cannes. An diesem Donnerstag dann kam die Antwort: Das »Bord of Directors« – »ein Club von zehn alten Sarkozy-Anhängern«, so Josef Schnelle zwischen Tür und Angel – beim Festival bei dem Von Trier regel­mäßig zu Gast ist, schon viele Preise gewonnen hat, unter anderem vor elf Jahren die Goldene Palme für Dancer in the Dark erklärt den dänischen Skandal-Regisseur zur persona non grata. Da half auch jene Pres­se­er­klärung Von Trier wenige Stunden zuvor nichts mehr, in der der Über-Regisseur versi­cherte, es tue ihm leid, sollte er jemanden beleidigt haben.

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»Persona non grata«, das ist ja eigent­lich ein Begriff aus der Diplo­matie, nicht aus der Kunst. Insofern kann man auch nicht richtig glücklich sein, mit der Art, wie das Film­fes­tival von Cannes nun mit Lars von Trier umge­sprungen ist, sondern es als eine peinliche Über­re­ak­tion des Festivals empfinden, Trier zur persona non grata zu erklären. Ande­rer­seits legt nun gerade Lars von Trier gerne Wert darauf, dass man ihn ernst nimmt, und wenn man es dann tut…

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Jeden­falls hat er mal wieder richtig für Ärger gesorgt. Wie eigent­lich immer auf seinen Pres­se­kon­fe­renzen. Hätte Alfred Hitchcock schon Lars von Trier gekannt, hätte er seinen Film wohl eher The Trouble with Lars genannt. Mit jedem Film, also mit jedem Cannes-Auftritt sorgt Lars von Trier für Ärger. Aber so schlimm wie diesmal, war es noch nie.

Wenn man ein wenig von Lars von Trier weiß, womöglich sogar schon einmal einen seiner öffent­li­chen Auftritte erlebt, oder mit ihm gespro­chen hat, kann man sich über seine Äuße­rungen nicht besonders aufregen. Von Trier ist immer ein Provo­ka­teur, gele­gent­lich ein Zyniker, und oft genug schießt er mit seinen Äuße­rungen einfach über das Ziel hinaus. Offen­kundig steckt hinter solchen Ausras­tern auch ein gewisser, nur halb kontrol­lierter Selbst­zer­störungs­trieb des Regis­seurs, der in der Vergan­gen­heit offen zu seiner Depres­sion gestanden hat. Und warum soll einer auch, bloß weil er gute Filme macht, intel­li­gent sein, oder besonders sympa­thisch. »Er ist einfach ein Arschloch« meinte eine Kollegin, die die Pres­se­kon­fe­renz verfolgt hatte und berich­tete, die Hitler-Äußerung sei keines­wegs die schlimmste gewesen.

Man weiß zudem, dass der Däne sich sehr leicht provo­zieren lässt, und dass es in der Schar der Bericht­erstatter gerade in Cannes genug Leute gibt, die es genau darauf anlegen, die Schwäche auszu­nutzen, und einen Von-Trier-Ausraster herbei­zu­führen. Es gibt auch genug, die Von Trier einfach nur hassen, oder ihn nicht verstehen, und sich dann auf solche Art abre­agieren.

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Und für andere ist es ein gefun­denes Fressen. Etwa der Spiegel hat die Film­be­richt­erstat­tung fast aufge­geben und wartet eher auf solche Momente. Und zu den depri­mie­rendsten Erfah­rungen dieser Woche gehört die Spiegel-Hörigkeit der Redak­tionen, bis zu den aller­besten von ihnen. Denn am Telefon am Tag zuvor und im Angesicht der dpa-Meldung war man noch ganz gelassen gewesen. Erst als der Spiegel unter der Über­schrift »Eklat in Cannes« »berich­tete«, war das Thema auf einmal wichtig. Selber schuld, wenn ihr Euch von der Konkur­renz die Themen diktieren lasst, denkt man da.

Gerade die deutsche Presse hat bei derar­tigen Groß­ereig­nissen ihren implan­tierten Nazi-Detektor aktiviert, und fahndet nach mögli­cher­weise anrüchigen Äuße­rungen. Statt nun aber in die kompli­zier­tere Semiotik einzu­tau­chen, und dieje­nigen aufzu­spüren, die gewandt, eingän­gigen Main­streams oder glatten Kunst­ge­werbes Gedan­kengut trans­por­tieren, dass bei genauerem Hinsehen tatsäch­lich überaus frag­wür­dige Züge aufweist, kommt dann einer wie Lars von Trier vermeint­lich gerade recht: Er tappt tatsäch­lich (oder scheinbar?) in jeden aufge­stellten Fettnapf, und man tut der Mehrheit der germa­ni­schen Kollegen nicht unrecht, wenn man fest­stellt: Es gibt auch manche, die jetzt dankbar sind, endlich den dies­jäh­rigen Festi­val­nazi entdeckt zu haben.

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Auch sonst gab Lars von Trier dem Affen Zucker: »Ich bin kein Antisemit, aber Israel mag ich auch nicht.« »Lange dachte ich, ich wäre jüdisch und war glücklich«, »Ich werde als nächstes mit Kirsten Dunst einen Porno drehen. Sie wollte das.« Wie gesagt: Wer Lars von Trier und seine Sentenzen auf Pres­se­kon­fe­renzen ernst nimmt, ist selber schuld.

Viel­leicht sollte man sich einfach besser mit seinen Filmen beschäf­tigen. Melan­cholia ist fraglos großes Kino und großer Wille: Sterne und Gala­xi­en­nebel im Weltall, ein kosmo­lo­gi­scher Blick unter dem auf einmal der Mensch ganz klein wird. Eine Geschwis­ter­ge­schichte: Justine und Claire, zwei erwach­sene ungleiche Schwes­tern, gespielt von Kirsten Dunst und Charlotte Gains­bourg. Zeit und Raum sind nicht näher bezeichnet. Man begleitet Justine zunächst auf ihrer präch­tigen Hoch­zeits­feier, die von Claire und deren reichem Gatten und über­quel­lendem Luxus und in alten Ritualen ausge­richtet wird. Diese erste halbe Stunde wirkt ein wenig wie Von Triers Version von Vinter­bergs Das Fest und Hanekes Das weisse Band – das Portrait einer bürger­li­chen Gesell­schaft, hinter deren präch­tiger Fassade sich ein Abgrund an Amoral und Verzweif­lung auftut. Man erfährt, dass Justine depressiv ist, und ihre Ehe wird die Hoch­zeits­nacht nicht über­stehen. Schwerer wiegt, dass ein meteo­ren­haft sich auffüh­render Planet an den nächsten Tagen knapp an der Erde vorbei­rasen soll. Justine aber ahnt Schlim­meres – und am Ende des Films tritt tatsäch­lich der Welt­un­ter­gang ein! Trier insze­niert das mit abstrakter Reduktion, Zeitlupen und viel opern­haftem Pathos – zur Musik von Wagners »Tristan«.

Melan­cholia ist fraglos kühl und ironisch. Lars von Trier glaubt nicht an Gott, aber ans Ende der Welt, und teilt uns diese Gewiss­heit mit einem gewissen sarkas­ti­schen Vergnügen mit. Wo andere die Heilig­keit des Lebens feiern, entfaltet Trier einen apoka­lyp­ti­schen Abgesang. Aber der visi­onären Kraft seiner Bilder, ihrer Eleganz und dem erzäh­le­ri­schen Mut werden sich auch Triers Kritiker nicht ganz entziehen können.

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Im wunder­baren Toco­tronic-Song »Im Zweifel für den Zweifel«, den wir in den letzten Tagen nicht ganz zufällig wieder ein paarmal gehört haben, den man als ästhe­ti­sches Manifest verstehen kann, weil er auch viele kluge Ratschläge zur Film­wahr­neh­mung enthält, heißt eine Zeile: Im Zweifel für den Teufel. Das trifft Lars von Trier ganz gut. Er ist ein Teufel, ein höchst unan­ge­nehmer Typ, er redet unglaub­li­chen Mist, aber man sollte ihn im Zweifel doch auch dafür vertei­digen…

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Andere sehen alles sowieso gelas­sener: Ganz anders die Franzosen. Gestern war das alles Le Monde keine Zeile wert, heute geht es nur in einem kleinen Nebentext zu Melan­cholia um die Gefahren des »Miss­brauchs von Wagner.« »Von Trier ist wie Real-Trainer Mourinho« meinte die spanische Kollegin Violeta Kovacsics, aller­dings ein erklärter FC-Barcelona-Fan. So ist es wohl. Er ist »the special one«.