21.02.2010
60. Berlinale 2010

Der Berlinale-Selbst­ver­such, oder: Festival der einsamen Männer­herzen

How I Ended This Summer
Einsame Männer in How I Ended This Summer
(Foto: fugu Filmverleih)

60. Berlinale 2010: Thomas Willmann über einen Selbstversuch und einsame Männer im Wettbewerb

Von Thomas Willmann

Okay, ich geb’s zu, es war ein bisschen feige. So, als würde man über Kohlen laufen, die nicht ange­zündet sind. Aber jeden­falls: Ich hatte den Entschluss gefasst, diesmal so viele Wett­be­werbs­filme zu schauen wie ich aushalte. Eine wirkliche Mut- und Durch­hal­te­probe war das aber gar nicht. Ja, in manch vergan­genem Jahr hätte das geradezu über­mensch­li­ches Cine­as­tentum erfordert. Da herrschte unter jenen, die beruflich zu diesem Kino-Kraftakt verpflichtet waren, oft ein Heulen und Zähne­klap­pern, da konnte man diesen Kollegen zusehen, wie sie von Tag zu Tag aschener und hoff­nungs­loser der Suizid­ge­fahr ein Stück näher rückten und hoffte inständig, dass ihre Redak­tionen für eine Post-Festival Trau­ma­the­rapie aufkommen würden.

Doch in diesem mira­kulösen 60. Jahrgang trieb mich nicht feuil­le­to­nis­ti­scher Heldenmut oder kultur­kri­ti­scher Maso­chismus zu meiner Entschei­dung. Sondern die über­ra­schende Tatsache, dass der Wett­be­werb diesmal tatsäch­lich als inter­es­san­teste Reihe anmutete.
Ein bisschen sekun­dieren dabei freilich die übrigen Reihen durch stra­te­gisch oppor­tunes Schwächeln: Das Forum scheint mir – einige große Entde­ckungen unbe­nommen – auf seiner Suche nach dem Anspruchs­vollen, Abge­le­genen mitt­ler­weile ein bisschen zu oft das bloß Anstren­gende aufzu­spüren. Filme, in denen krankhaft über­stei­gerter Kunst­willen in Tatein­heit mit patho­lo­gisch unter­ent­wi­ckelten Gestal­tungs­ver­mögen anzu­treffen ist. (Filme wie Eine Flexible Frau, dem ich nach tapfer-pflicht­schuldig erdul­deten 20 Minuten in gege­in­sei­tigem Einver­nehmen die Weiter­schau­be­reit­schaft kündigen musste.)
Das Panorama hingegen sollte langsam so ehrlich sein, sich in »Fokus Schwu­len­film« umzu­be­nennen. Da hat man inzwi­schen leider zu regel­mäßig das Gefühl, dass etliche Filme nicht aus quali­ta­tiven sondern bloß aus thema­ti­schen Gründen ausge­wählt wurden. Es wäre ja prin­zi­piell gegen eine dezi­dierte (aber hoffent­lich filmisch über­zeu­gen­dere) Gay Cinema-Reihe auf der Berlinale gar nichts einzu­wenden – wenn die nicht zu Lasten des Rund­blicks auf das Weltkino ginge. Inzwi­schen hat diese Funktion ein Stück weit die Sektion Gene­ra­tion 14plus aufge­fangen. Nominell ist die für Jugend­filme gedacht, doch in den letzten Jahren hat sich hier wieder und wieder das größte, begeis­terndste Kino versteckt. Hier liefen beispiels­weise Tarsem Singhs The Fall oder der phäno­me­nale austra­li­sche Anima­ti­ons­film Mary & Max.

Vor allem aber hat sich die Berlinale zum 60. eine Retro­spek­tive auf die eigene Film-Geschichte geschenkt, die zwar an sich sehr schön war – die aber den, wie man’s nimmt, Vor- oder Nachteil hatte, dass man als geübter Cineast so ziemlich alle dort gezeigten Meis­ter­werke zumeist sogar schon mehrfach gesehen hat. Wo also in vergan­genen Jahren oft galt »Retro first!«, da blieb diesmal viel Luft für alles andere.

Und so also das Gefühl: Die Gele­gen­heit ist günstig wie nie – diesmal muss es sein, diesmal versuche ich mich im Selbst­ver­such an einer möglichst kompletten Wett­be­werbs­diät. Wobei ich mir die erste Auszeit vom Vorsatz gleich ganz zu Beginn nehmen musste, weil Metro­polis mit Live-Orchester dann doch wichtiger war als Howl und der neue Polanski, dessen regulärer Kinostart ohnehin unmit­telbar bevor­stand.

Und einen bedenk­li­chen Neben­ef­fekt meiner Aktion muss ich freilich einge­stehen: Der Kreis der poten­ti­ellen Gewinner eines goldenen Bären war dieses Jahr kleiner denn je – denn tradi­tio­nell kann immer nur ein Film gewinnen, den ich nicht gesehen habe. Und das ließ neben Howl und The Ghost Writer nur noch Der Räuber, Bal, Na putu, Jud Süss – Film ohne Gewissen, Rompe­ca­bezas und En familie übrig. Schade eigent­lich, dass ich mein untrüg­li­ches Insider-Wissen nicht im nächsten Wettbüro in bare Münze umgesetzt habe. Denn offen­sicht­lich handelt es sich hier inzwi­schen um ein Natur­ge­setz: Der Goldene Bär für Bal beweist, dass die Regel »Der Willmann darf den Gewinner nicht gesehen haben« sogar die Vorschrift »Der Kritik­er­fa­vorit ist nie der Jury­fa­vorit« außer Kraft setzt!

»If you've got a message...«

Das Inter­es­san­teste an einem solchen Selbst­ver­such sind selbst­ver­s­tänd­lich jene Filme, um die man unter normalen Umständen einen mehr oder minder großen Bogen gemacht hätte. Um dann heraus­zu­finden: Positive Über­ra­schung oder Strafe für den Leicht­sinn? Also quasi eine expe­ri­men­telle Über­prü­fung der eigenen Vorur­teile. Und um’s vorweg­zu­nehmen: Die Vorur­teile schlugen sich ganz wacker – aber keines­wegs unfehlbar.

Die in meinen Augen größte Zumutung im Wett­be­werb jeden­falls war auch genau jener eine Film, den ich mir ohne die über­ge­ord­nete Versuchs­an­ord­nung am aller­we­nigsten ange­schaut hätte: Ein deutscher Erst­lings­film in der morgend­li­chen 9 Uhr-Schiene, eine ZDF-Fern­seh­spiel-Kopro­duk­tion, ein Episo­den­film über junge Muslime in Berlin – Shahada. Der erwies sich als fast uner­träg­lich konzep­tü­ber­laden: Eines jener Kunst­werke, bei denen erstmal die »Botschaft« ausge­heckt wurde, die es trans­por­tieren soll, um ihr dann alles andere unter­zu­ordnen. Der Film will was über die Welt sagen, aber er kann dann kaum einen Hauch von wahrer Welt mehr zulassen in seinem Thesen­ge­bäude. Und damit nicht genug: Mit dem dicken Schöpflöffel wird dann noch ganz tief in den Symbol­topf getunkt und über alles schwerer Bedeu­tungs­rahm gegossen, von den religiös aufge­la­denen Kapi­tel­ü­ber­schriften bis zum apoka­lyp­ti­schen Bluthagel. Das Ganze ist ziemlich exakt Crash (der von Haggis, nicht von Cronen­berg) mit Islam statt Rassismus als »Thema« und Berlin statt L.A. als Kulisse. (Und – falls es Leser geben sollte, die Oscars für Quali­täts­siegel halten – das ist alles andere als ein Kompli­ment.)

Es wäre aber verfehlt, arg zornig über den Film herzu­ziehen – den Ärger haben sich eher die Berlinale-Verant­wort­li­chen verdient. Denn die haben Shahada wirklich keinen Gefallen getan, indem sie ihn in den Wett­be­werb steckten. Das war – sorry! – ein rechter Bären­dienst. Klar, da hatte der Haupt­sponsor ZDF garan­tiert ein Wörtchen mitzu­reden, und die Haupt­stadt will auch lokale Talente pushen. Aber man sollte grade mit solch jungen Talenten etwas verant­wor­tungs­voller, behut­samer umgehen. Denn man kann Debü­tanten auch schaden, wenn man sie zu früh in die zu große Arena schickt. Wenn die Programm­ver­ant­wort­li­chen nicht ganz taub und blind sind, dann muss ihnen offen­sicht­lich gewesen sein, dass Burhan Qurbanis Hochschul-Abschluss­film noch nicht reif ist für die inter­na­tio­nale Liga und er bei der versam­melten Kritik auf wenig Gegen­liebe stoßen würde. In einem anderen Rahmen wären viele seiner Schwächen durchaus lässlich gewesen – Qurbani ist ja nicht der erste Jung­filmer, der beim Debut einfach zu viel will, der sein Werk unter einem Anspruch erstickt, den er gestal­te­risch nicht einlösen kann. Ein bisschen mehr Erfahrung, Gelas­sen­heit, und er hätte viel­leicht gemerkt, dass mindes­tens eine der drei paral­lelen Geschichten schlicht zuviel ist, er hätte viel­leicht den Figuren mehr eigenen Willen gelassen, hätte die forcierten Zufalls-Bezie­hungs­bande des Personals gelockert. Aber wer mit Roman Polanski, Zhang Yimou, Michael Winter­bottom in den Wett­be­werb geschickt wird, muss sich auch auf diesem Niveau messen lassen. Und da konnte Shahada nur verlieren, da hat das Festival einen Jung­re­gis­seur ins offene Messer laufen lassen.

Der Islam war übrigens eins der großen Themen auf der dies­jäh­rigen Berlinale – und eigent­lich der über­zeu­gendste Beitrag dazu war My Name Is Khan, der neueste Ausflug des Bollywood-Überstars Shah Rukh Khan ins Message-Melodram. Der Film zeigte, wie man das mit dem Überladen richtig macht: Ist die erste Hälfte noch ziemlich Hollywood-domes­ti­ziert und enttäu­schend einheit­lich und gradlinig erzählt, und verzichtet der Film als Anbie­de­rung an den west­li­chen Markt sogar auf richtige Musical-Nummern, so schlägt in der zweiten Hälfte dann doch sein indisches Herz durch und die Neben­hand­lungen, die tränen­drü­sen­wrin­gende Tragik, die trös­tenden Albern­heiten, die kitschigen Über­trei­bungen, all das darf wuchern und überreif werden. Und es gibt einen Moment in einer US-Südstaa­ten­kirche, da stimmt Khan – ein Rain Man-ähnlicher Asperger-Patient – mit einer Gemeinde dicker Afro­ame­ri­kaner gemeinsam We Shall Overcome an. Und da hält man’s entweder nicht mehr aus und geht raus, oder man streckt die Waffen und lässt sich über­wäl­tigen – getreu dem Motto dass ein Klischee furchtbar ist, tausend Klischees auf einmal aber irgend­wann wieder großartig sind und es auch sowas gibt wie eine Tran­szen­denz des Kitsches. So wie die »Botschaft« des Films – ein »An ihren Taten sollt ihr sie erkennen«-artiges »Gute Menschen tun Gutes, böse Menschen Böses,« die Religion ist egal – ja zugleich eine Stick­kissen-Platitüde ist und eine tiefe Wahrheit. Und wenn dann am Ende sogar noch ein Obama-Double auftritt, dann darf man nicht nur staunen, wieviel die Kairo-Rede doch offenbar in der gemäßigten musli­mi­schen Welt bewegt hat. Sondern man kann auch mal wieder fest­stellen: Wenn das Unter­hal­tungs­kino schon politisch und moralisch werden will, dann bitte nur mit soviel Schmackes und Scham­lo­sig­keit, wie Bollywood es sich noch traut.

Männer mit Arm ab sind arm dran

Aber wo wir’s grad von Filmen mit einer Botschaft haben: Es war dann doch gut, dass ich mir Cater­pillar ange­schaut habe. Sonst hätte ich womöglich noch eine Dummheit begangen. Ganz knapp war ich davor, für Kaiser, Ehre und Vaterland in den Krieg zu ziehen, weil ich dachte, das ist bestimmt eine Fetzen­gaudi und helden­haft noch dazu. Aber da kam das neue Werk von Koji Wakamatsu noch grade recht­zeitig.

Wakamatsu wurde bereits bei der letzten Berlinale eine kleine Werkschau gewidmet, und man kann ihn als eine Art Altmeister des japa­ni­schen Films bezeichnen – nur, ehrlich gesagt, ohne den »Meister«-Teil. Cater­pillar handelt von einem Nippon-Soldaten des Zweiten Welt­kriegs, der das auch geglaubt hat mit der Fetzen­gaudi. Was sich auch quasi bewahr­heitet hat, nur eindeutig ohne den »Gaudi«-Teil. Der Mann kehrt in sein Heimat­dorf, zu seiner Frau zurück, Arme und Beine aber hat er auf dem Schlacht­feld gelassen. Drum die »Raupe« des Titels.

Hätte der Film nicht die Ästhetik des Freizeit-Video­pro­jekts eines talen­tierten Amateur­thea­ters, wäre durchaus der Aspekt inter­es­sant gewesen, wie die Frau des Soldaten – gleichsam eine Glied­maßen-Witwe – nun damit umgeht, wie ihr eins so domi­nanter Gatte ihr hilflos ausge­lie­fert ist und wie das Verhältnis ihrer Körper (auch sexuell) ganz neu verhan­delt wird. Aber der Film hat ja eine viel wich­ti­gere Botschaft. Denn man stelle sich vor: Der Zweite Weltkrieg war gar keine Gaudi! Da sind fei ganz, ganz viele Menschen umge­kommen. Und die Soldaten waren auch nicht alle Helden, sondern manche haben ganz böse Dinge getan. Und das mit dem Heldentum, das hätte man dem Kaiser gar nicht so blind glauben dürfen!

Welch Glück, dass es furcht­lose Filme­ma­cher wie Wakamatsu gibt, die das jetzt 2010 – wann wäre es je dring­li­cher gewesen! – scho­nungslos aufdecken. Und die sich da zur Sicher­heit auch gar nicht zu sehr verküns­teln; die da nicht die Gefahr eingehen, dass das Publikum die zu seiner Belehrung konstru­ierte Geschichte viel­leicht doch miss­ver­steht. Nein, mehrere Minuten von über Doku­men­tar­auf­nahmen aus dem Zweiten Weltkrieg einge­blen­dete Schrift­ta­feln müssen es sein am Ende! Wo dann explizit steht, wieviele Menschen umkamen im Zweiten Weltkrieg. Wo man dann schon mal schluckt und sagt: Pardauz, das wusste ich nicht! Tote, im Zweiten Weltkrieg – das muss man sich mal vorstellen! Und wo man dann sehen UND lesen kann, dass Atom­bomben abge­worfen wurden. Über Hiroshima. Und Nagasaki. Mit noch mehr Toten. Atom­bomben! Hätten Sie das gewusst? Eben. Gut, dass das jetzt endlich mal ans Licht kam. Das durfte nicht länger verschwiegen werden.

Wenn Cater­pillar dann aber doch mit einem silbernen Meister Petz nach Hause gegangen ist, dann lag das vermut­lich weder daran, dass die Jury die Darstel­ler­leis­tung von Shinobu Terajima wirklich derart über­ra­gend fand, noch daran, dass sie die Profes­sio­na­lität der Schau­spie­lerin in einem eher amateur­haften Umfeld belohnen wollte. Nein, es muss schlicht der Mangel an Alter­na­tiven gewesen sein: Denn der dies­jäh­rige Wett­be­werb war fast eine reine Männer­ver­an­stal­tung.

Ja, es gab auch starke Frau­en­fi­guren – diese aber fast ausschließ­lich in den außer Konkur­renz ange­tre­tenen Filmen. Ansonsten war es tiefst verblüf­fend, wie alleine all die Männer durch die Welten dieses Wett­be­werbs­jahr­gangs stapften. Para­dig­ma­tisch mag man dafür den irani­schen Beitrag Shekarchi / The Hunter und den russi­schen Kak ya provel etim letom / How I Ended This Summer nehmen: Im einen verliert der Prot­ago­nist sehr früh im Film Frau und Kind und streicht dann als einsamer (Menschen-)Jäger durch die Stadt­hügel in und Wälder um Teheran. Im anderen sitzen zwei Männer, ohnehin vom Rest der Mensch­heit isoliert, in einer arkti­schen Wetter­sta­tion, aber nicht einmal die Ferne der Familie des Älteren scheint zu genügen: Auch hier rafft bald ein Unglück Weib und Nachkomme dahin. Was hier aller­dings unsichtbar bleibt – und es ist genau die aus einer seltsamen Furcht nicht an den Schick­sals­ge­schla­genen weiterü­ber­mit­telte Botschaft, welche eine beinahe tödliche Eska­la­tion in Gang setzt.

Beides sind sehr metho­di­sche, strenge Filme: Rafi Pitts Werk hat mich stark an Bresson erinnert, an Un condamné à mort s'est échappé etwa – doch was ihn latent nervig machte waren die offen­sicht­lich alle­go­ri­schen Untertöne. Der Film beginnt gleich mit einer Foto­grafie aus den ‘80er Jahren von Basidj oder Revo­lu­ti­ons­garden (leider fehlt eine explizite Angabe) auf Motor­rä­dern vor einer auf den Boden gemalten US-Flagge. Und es ist schon klar, dass die Ausein­an­der­set­zung des Prot­ago­nisten mit der Polizei etwas über die Staats­macht im jetzigen Iran sagen soll. Bloß: Das Publikum, das genug Ahnung hat, um die an der Zensur vorbei­ge­schmug­gelte Botschaft zu entschlüs­seln, wird den Film wohl entweder doch eh nicht zu Gesicht bekommen, oder es weiß ohnehin schon alles vorher, was Pitts zu sagen hat. Und für alle anderen ist die Sache zu enig­ma­tisch – aber eben durch die spürbare Bedeu­tungs­be­frach­tung als Geschichte an sich nicht mehr stimmig genug.

Da war How I Ended This Summer schon ein anderes Kaliber – der erinnerte mich in seinen besten Momenten an Gus van Sants »Männer verlieren sich in Land­schaft«-Meis­ter­werk Gerry. Und er ist gewiss auch ein Film, der nochmal gewinnen wird, wenn er mit seiner erbar­mungs­losen Strenge und Ruhe einem als einziger Film an einem Tag begegnet und nicht inmitten eines Festivals voller langsamer, ruhiger Filme.

Das waren aber nur zwei Beispielen von in fast belie­biger Menge aufzähl­baren Wett­be­werbs-Filmen über Männer, die ganz allein oder ausschließ­lich unter anderen Männern durch die Lande streifen. Männer, deren Frauen abwesend oder tot sind oder die nie welche hatten. Männer, deren kata­stro­phale Mütter sie ohnehin schon von Anfang an verkorkst und für eine gesunde Beziehung zum anderen Geschlecht unfähig gemacht haben. Verblüf­fend war dabei vor allem auch, wie selten in diesen Filmen überhaupt noch die Liebe gesucht wurde. Wie sehr sich viele dieser Männer­fi­guren mit ihrer Einsam­keit arran­giert zu haben schienen, oder sogar zufrieden mit ihr. Und wie regel­mäßig die dennoch unter­nom­menen Versuche einer Kontakt­auf­nahme dann mit miss­han­delten oder, öfter noch, toten Frauen endeten. Und wo die Leiber zuein­ander fanden, da war auch das meist unan­ge­nehm oder freudlos: Wohl noch nie gab es so viele absicht­lich unero­ti­sche, peinvoll-peinliche Sexszenen in einem Wett­be­werbs­jahr­gang wie in diesem.

Ich weiß nicht, was das über den Zustand der Welt, des derzei­tigen Kinos oder der Berlinale sagt. Und es ist einem während des Festivals gar nicht so extrem aufge­fallen wie nun im Rückblick, weil es eben dazwi­schen immer wieder Filme außer Konkur­renz gab, in denen Frauen sehr präsent waren: Ein Please Give mit Catherine Keener, Rebecca Hall und Amanda Peet, ein The Kids Are All Right mit Julianne Moore und Anette Benning als lesbi­sches Mütter­paar wiegen freilich schnell einen ganzen Kinotag voll einsamer Männer auf. Wobei auch da inter­es­sant war, dass hier umgekehrt die Männer eher zu Rand­fi­guren wurden, die Frauen die wesent­li­chen Dinge unter sich ausmachten.

Und all das eben nicht im Sinne einer großen Thema­ti­sie­rung der angeb­li­chen funda­men­talen Gräben zwischen den Geschlech­tern. (Die in Wahrheit ja immer nur Gräben zwischen Indi­vi­duen sind – nicht Mann passt schlecht zu Frau, sondern der Mensch passt schlecht zum anderen Menschen.) Sehr viele dieser Filme zeigten diese seltsame Geschlech­ter­tren­nung, diese fehlende Aussicht auf Frucht­bar­keit, nicht mehr als leben­digen Konflikt, sondern als funda­men­tale Ausgangs­si­tua­tion.

Viel­leicht erlebten wir hier die Asche des alten Klischees von der Paar­stif­tung als alles gut machende Utopie am Ende fast jeder Geschichte. Viel­leicht ist dieses Modell inzwi­schen wirklich ziemlich ver- und ausge­brannt. Aber ande­rer­seits gibt Asche ja auch einen frucht­baren Boden. Und da, wo die Filme dieser Berlinale wahre Liebe zuließen in ihrer Welt, da war es dann als zartes Pflänz­chen Hoffnung, als wunder­barer, fragiler Möglich­keit statt vorbe­stimmter Gewiss­heit. Und das hatte den Vorteil, dass man diese Art von Kino-Liebe auch tatsäch­lich glauben konnte.