02.09.2008
65. Filmfestspiele von Venedig 2008

Merkel und Kim Jong-il gegen Godzilla

PESCUIT SPORTIV
PESCUIT SPORTIV
(Foto: Xenix (Schweiz))

Kabuki und Nô und Monsterfilme: Was Politsatire auch sein kann, zeigt ein Meisterwerk herrlicher Geschmacklosigkeit. Außerdem eine Art »Dogma«-Film aus Rumänien und immer Ärger mit dem »Spiegel«

Von Rüdiger Suchsland

Merkel hat graue Haare. Beim G-8-Gipfel in Tokio liest die deutsche Bundes­kanz­lerin Angelika Merkel ausge­rechnet dem Gastgeber die Leviten und zeigt sich als uner­bitt­liche Moral­pre­di­gerin: »Damit gibt man der Welt ein schlechtes Beispiel«, mahnt sie wieder die Untä­tig­keit in der Klima­po­litik. Ihr japa­ni­scher Kollege hat Magen­pro­bleme, er pfurzt und muss mitten in seiner Rede aufs Klo. Purtin sagt: »We welcome global warming.« Der Franzose Sarkolzy versucht mit der Dolmet­scherin ins Bett zu steigen, US-Präsident Burger hat keine Manieren, und der Italiener redet nur von Pizza. Doch dann wird die harmo­ni­sche Gipfel­at­mo­sphäre gestört. Ein Godzilla-artiger Mons­ter­ra­bauke schlägt bei Sapporo ein, purzelt gegen Hoch­häuser und Strom­masten – die Welt scheint bedroht. Und die G-8-Staats­männer nehmen den Kampf mit dem Monster auf.

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Polit­sa­tire à la Japan: Monster X Strikes Back: Attack the G8 Summit! heißt dieser kuriose Film des Japaners Minoru Kawasaki, der mit ziemlich beißendem Humor und überaus gleich und gerecht verteilten Geschmack­lo­sig­keiten bei seiner Premiere am Donnerstag bei den Film­fest­spielen von Venedig für Lach­salven sorgte. Keine Nation, am wenigsten die eigene, bleibt vom Spott des Filme­ma­chers verschont.

Gegen das Monster wenden dann die Italiener alte römische Kampf­tech­niken an, die Amis passen­der­weise eine Operation »Brainwash«, die Russen kaum über­ra­schend Polonium-Gift, die Deutschen klarer­weise Gas... – keine Geschmack­lo­sig­keit wird ausge­lassen. Ausge­rechnet der Ex-Premier Japans Oizumi/Koizumi schlägt den Einsatz von Atom­waffen vor – doch entpuppt er sich dann als ein maskierter Kim Jong-il – man muss den Film gesehen haben, um zu begreifen, wie gut dieser gesam­melte Unsinn funk­tio­niert – und um zu bedauern, dass Derar­tiges nicht auch in Europa gemacht wird.

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Ein großer Reiz des mit viel Liebe und Einfalls­reichtum insze­nierten Films liegt auch in seinen bewusst auf »Old School« getrimmten Effekten: Keine Digi­tal­t­ricks erzeugen das Film-Monster, sondern die klas­si­sche »Rubber Suit«-Technik der 50er-Jahre-Godzilla-Filme: Ein Mann im Gummi­anzug. »Ich denke«, lässt sich der Regisseur im Katalog vernehmen, »Mons­ter­filme sind eine von Japans tradi­tio­nellsten Formen der Unter­hal­tung, genau wie Kabuki und Nô-Stücke.« Wie ernst er es meint, belegt ein weiterer Satz: »Die Wahrheit kann in sehr lächer­li­chen Dingen gefunden werden.«

Eine Sekte im Wald und ein acht­ar­miger indischer Gott, gespielt von Japans Comicstar »Beat« Takeshi Kitano, besiegt dann schließ­lich das große Krümel­monster. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann tagen sie noch heute...

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Kaum kommen die Film­fest­spiele von Venedig so richtig in Gang, gibt es vor dem ersten Festi­val­wo­chen­ende schon Krach. In einem Festival-Vorbe­richt in der letzten Print­aus­gabe des »Spiegel« war die Auswahl des Film­pro­gramms kriti­siert worden. Das Festival zeige zu viele italie­ni­sche Filme, nämlich vier im Wett­be­werb, insgesamt elf.
Die Vorwürfe zeigten Wirkung: Gestern flatterte eine Pres­se­mit­tei­lung des Kultur­mi­nis­te­riums in Pres­se­fach der Jour­na­listen. Die war nur auf Italie­nisch formu­liert, was zunächst einmal dazu führen dürfte, dass zwei Drittel der Akkre­di­tierten sie nicht verstehen können. Wer es doch kann, fand darin viel Geschimpfe im bekannt vulgären Grundton des Berlus­coni-Regimes und die nicht über­ra­schende Zurück­wei­sung aller Vorwürfe. Der Hinweis auf die Stärke des italie­ni­schen Kinos das »vor einer neuen Blüte« stehe, und besonders die der neuen italie­ni­schen Kultur­po­litik durfte nicht fehlen, und zwischen den Zeilen war die Aussage klar: Was bilden sich diese Deutschen eigent­lich ein, sie, die wir doch vor gerade mal 2000 Jahren aus der Barbarei geführt haben, wollen uns Kultur­po­litik lehren…

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Tatsäch­lich ist nationale Erbsen­zäh­lerei bei einem Film­fes­tival reichlich über­flüssig, es sollte jedermann nur inter­es­sieren, dass die Filme gut sind, nicht, woher sie kommen. Und es unter­scheidet Film­fes­ti­vals auch von Fußball­welt­meis­ter­schaften, dass Film-Jour­na­listen nicht als patrio­ti­sche Jubel­perser mit »unserem Team« bangen müssen, und wünschen, dass es auch mindes­tens das Finale erreicht. Insofern hat der »Spiegel« genauso unrecht wie der italie­ni­sche Kultur­mi­nister.

Aber in der wirk­li­chen Welt zählen nationale Kriterien natürlich auch in der Kunst. Und im Kern seiner Argu­men­ta­tion, dass nämlich das Vene­zianer Film­fes­tival das kultur­po­li­ti­sche Ziel verfolge, das rampo­nierte Image von Italien aufzu­werten, hat »Spiegel«-Autor Wolfgang Höbel völlig recht.

Venedig-Festi­val­di­rektor Marco Mueller hat daher auch bereits vergan­gene Woche in einem Zeitungs­in­ter­view erklärt, es sei an der Zeit, dass endlich einmal ein italie­ni­scher Film gewinne. Nun mag es sein, dass Mueller vor allem um seine Vertrags­ver­län­ge­rung besorgt ist. Aber man muss sich nur einmal vorstellen, dass Berlinale-Chef Dieter Kosslick so etwas im Vorfeld seines Festivals erklärte, am Ende gar im »Spiegel«.

Jetzt streitet Mueller öffent­lich gegen den »Spiegel«, fühlt sich aber offenbar doch irgendwie schuldig, denn im Interview mit »Il Sole« rechnete er jetzt die italie­ni­sche Betei­li­gung auf acht Filme herunter (indem er Kopro­duk­tionen ignoriert).

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Am Ende könnten Muellers Kommen­tare und die jetzige Debatte eher kontra­pro­duktiv für die italie­ni­schen Preis­chancen sein. Denn wie könnte die Jury unter Präsident Wim Wenders jetzt noch einen Italiener küren, ohne sich dem Verdacht auszu­setzen, sie habe sich dem Druck des Festi­val­lei­ters gebeugt? Gibt es doch einen Preis, wird man sagen: Wenders hat sich beein­flussen lassen.

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Ein Kollege, der nicht genannt werden möchte, kommen­tierte dazu: »Vorhin hab ich Donata Wenders die ganze Zeit im Hotel des Bains beob­achtet. Die läuft da auf und ab und macht Geschäfte. Wahr­schein­lich heißt es dann: Ihr müsst schon mindes­tens drei Fotobände heraus­geben, dann bekommt ihr auch den Preis.« Böse, böse.

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Ein Sommertag. Voll­kom­mener Frieden. Hitze, Grillen zirpen, Vögel zwit­schern, ein See plät­schert. Zunächst hat der Film vor zwanzig Minuten begonnen mit einem Paar, das aufbricht, einer Autofahrt durch ein sommer­li­ches Bukarest, dabei wird fort­wäh­rend debat­tiert, es gibt Streit, der allmäh­lich eskaliert. Es stellt sich heraus, dass die zwei Micha und Micaela heißen; sie sind nicht mitein­ander verhei­ratet, aber Micaela hat einen Mann, und heute wollen sie zusammen raus­fahren, einen Ausflug machen zum See. Während der Fahrt reden sie über vorge­täuschte Orgasmen, über Nutten, und darüber, ob er nicht zu einer gehen könnte. Auch über ihren Ehemann, gegenüber dem sie behauptet hat, sie sei heute bei ihrer Mutter. Um Lebens­lügen und heimliche Hoff­nungen dreht sich also unter­gründig gleich alles in diesem Film, in dem man auf den ersten Blick ein geradezu protes­tan­ti­sches Wahr­heits­pa­thos, etwas Ibsen­haftes entdecken könnte.

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Der Stil dieses erstaun­lich souver­änen, fesselnden Regie-Debüts Pescuit sportiv vom 1971 geborenen Rumänen Adrian Sitaru ist von Anfang an durch die Hand­ka­mera dominiert: Total hektisch, unter Druck wirkt alles schon in der ersten Sekunde, wie in einem dänischen »Dogma«-Film, und auch wenn man es nicht glaubt, hat der eigent­liche Film, hat die Eska­la­tion dieser Paar-Situation noch gar nicht begonnen.

Zu ihrem Auslöser wird eine dritte Person, eine Fremde: Erst merkt man es gar nicht, dann hört man einen lauten Schlag, und plötzlich, etwa zeit­gleich mit den beiden Insassen, begreift auch der Zuschauer: Auf der Land­straße, die die beiden jetzt entlang­fahren, haben sie einen Menschen touchiert, ein Girl aus dem Nichts, das plötzlich am Wegesrand stand. Wie tot liegt sie auf dem Boden, das Paar streitet weiter, jetzt darüber, was zu tun ist, sie plädiert fürs Igno­rieren und Weiter­fahren, »a bloody prosti­tute« sei das doch wahr­schein­lich nur; und er, typisch Mann, weiß nicht, was er machen soll, schickt sich also an, ihr zu gehorchen. Es liegt wohl nur an dem Auto, das gerade entge­gen­kommt, dass sie das Mädchen, ohne sichtbare Verlet­zungen, aber immer noch bewusstlos, in den Wagen laden, mit ihr in ein Waldstück fahren, wo man sie leicht unbe­ob­achtet wegwerfen kann, liegen­lassen wie ein paar Müllsäcke. Doch als das gerade geschehen soll, kommt das Girl zu sich, weiß von nichts, sie lügen natürlich, behaupten, sie hätten sie gefunden, wollten ihr helfen, und dann nehmen sie sie mit, fahren zu Dritt an den See.

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Sie heißt Ana, spricht Dialekt, wirkt total frisch, echt und direkt neben den beiden, ein authen­ti­sches Kind aus den niederen Ständen neben einem über­kom­pli­zierten Bürger­pär­chen. Sie ist in dieser Konstel­la­tion ein Jung­brunnen, aber auch ein kleiner Teufel. Denn Ana bleibt rätsel­haft, und schnell hat sie alles durch­ein­ander gebracht.
Am Strand bereitet man ein Picknick vor, man hat Musik dabei, Harry Belafonte singt »Mathilda«, Ana macht schnell auf Freundin, obwohl man sich kaum kennt, und man fragt sich: Warum hat sie sich so schnell erholt? Warum benimmt sie sich so? Ana ist etwas zu neugierig, ein kleiner Dämon, der Grenzen über­schreitet, schnüf­felt, sich einmischt, Dinge durch­ein­ander bringt: »Es ist offen­sich­tich, dass was zwischen Euch nicht in Ordnung ist, … dass Du einen Lover hast…«, sagt sie zu Micaela. Aber Ana ist auch wie eine Fee, die selbstlos Glück stiften will: »Du solltest zu Micaela gehen, und ihr sagen, dass Du sie liebst. Verstehst Du? Ihr seid so ein super-wunder­bares Paar.«
Im gleichen Moment ist sie aber auch verfüh­re­risch: »Du hattest wohl eine Weile keinen Sex. Ich sehe, dass Du meiner Brüste anguckst.« Sie nimmt seine Hand und führt sie an ihren Busen. »Du musst wissen, was Du willst.« Als Micha erzählt, er habe gerade gekündigt, »um meiner Freiheit willen«, lacht sie nur höhnisch: »Freiheit! Wer ist wirklich frei? Arbeitest Du für Geld?« – »Klar geht es auch darum.« – »Nun, ich arbeite für Geld, und dann muss ich auch das tun, was die Leute wollen, die mich bezahlen!«

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Und so geht es weiter in diesem Reigen zu dritt: Gespräche über Freiheit und Arbeit, über die Früchte des Kapi­ta­lismus. Bis zum Ende hat der Film den Vorteil der Über­ra­schung. Er zeigt eine unall­täg­liche Situation, spitzt sie permanent zu, hält den Zuschauer bei der Stange, und spielt mit Annahmen. Ein Film über Miss­trauen. Über Freiheit und Glück. Eine philo­so­phi­sche Konstel­la­tion, ein »Dejeuner sur l’herbe«. Am Schluss scheint Offenheit zu domi­nieren, doch dann sieht man noch einen CACHE-Blick aus dem Wald... Sind sie die ganze Zeit beob­achtet worden? War alles arran­giert? Von wem? Unsi­cher­heit...

Rüdiger Suchsland