24.04.2008
Cinema Moralia – Folge 13

Mit deutschem Biß

Drakula in Pakistan
Wer kennt schon pakistanisches Kino?
Und dann das!
(Foto: Rapid Eye Movies)

Vampirismen: Nationale Werte, Tom Cruise, und Dracula auch in Pakistan

Von Rüdiger Suchsland

Heute mal am Anfang ein paar aktuelle Termin­hin­weise: Am 26. April im Münchener Kardinal Wendel Haus gibt es bei der die Katho­li­schen Akademie in Bayern einen Tag der Begegnung mit Dominik Graf. Ein einfüh­render Vortrag, zwei Diskus­si­ons­runden mit Graf selbst und die Vorfüh­rungen seines Essay­films München – Geheim­nisse einer Stadt (2000) und seines jüngsten Werks Das Gelübde (2007) werden Anlaß genug sein, das eigen­wil­lige Œuvre Grafs unter die Lupe nehmen.

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Noch einmal möchten wir auf die bevor­ste­henden Kurz­film­tage Ober­hausen aufmerksam machen: Bis zum 1. Mai 2008 kann man unter www.muvipreis.de die 12 Kandi­daten des dies­jäh­rigen MuVi-Preis' besich­tigen, und für diesen Publi­kums­preis abstimmen.

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Und noch ein aktueller Tip: Im Film­mu­seum läuft am Donnerstag um 19 Uhr in der »Open Scene« Göttliche Einmi­schung von Elia Suleiman, dem »paläs­ti­nen­si­schen Buster Keaton«. Ein groß­ar­tiger Film, muss man einfach so sagen. Wer ihn sieht, versteht warum.

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Wer kennt schon Paki­sta­ni­sches Kino? Schon allein das: Gerade hat der Vampir sein erstes Opfer gebissen – und dann das: Der spanische Schlager »Granada« in einer paki­sta­ni­schen Version erklingt als Titelsong aus dem Off. Später sind sogar noch »La Cucaracha« und Melodien aus »Carmen« zu hören. Warum man seiner­zeit ausge­rechnet spanische Klänge zur Filmmusik von Dracula In Pakistan auser­koren hat, weiß der Himmel. Der Effekt aber ist so bizarr wie faszi­nie­rend. Und er charak­te­ri­siert recht gut diese einmalige Fusion aus indisch-orien­ta­li­schen Kino­spra­chen und europäi­scher Moderne, Auto­ver­fol­gungs­jagden und Gesangs­ein­lagen, die jetzt erstmals bei Rapid Eye gut restau­riert einem deutschen Publikum zugäng­lich gemacht wird.

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Der Film von »Lollywood«-Routinier Khwaja Sarfraz, war im Entste­hungs­jahr 1967 der erste paki­sta­ni­sche Vampir­film, und blieb bis heute der einzige Film des Landes, der zwar die rigide Zensur passierte, dann aber mit dem Prädikat »for adults only« versehen wurde – angeblich kam es zu einem Deal mit der Produk­ti­ons­firma, die versprach, nie wieder so etwas Scho­ckie­rendes zu produ­zieren.
Zwei Details sind besonders inter­es­sant: Die erste Szene des Films löst den Ursprungs­my­thos des Vampirs aus dem hier eher unpas­senden christ­li­chen Kontext, und erklärt ihn durch den geschei­terten Versuch eines Wissen­schaft­lers, der das »Elixier des Lebens« sucht – Dracula ist ein Dr.Fran­ken­stein, der zum Monster mutiert. Über­ra­schend gut verbinden sich im Laufe des Films dann paki­sta­ni­sche Fami­li­en­tra­di­tionen mit dem Erbe des vikto­ria­ni­schen Europa, in dem die moderne Vampir­my­tho­logie wurzelt.
Vor allem aber belegt »Dracula in Pakistan« die weltweite Wirkung der »Dracula«-Filme, die die briti­schen Hammer-Studios seit 1958 mit Chris­to­pher Lee in der Titel­rolle produ­ziert hatten. Auch in Mexiko und Japan entstanden Dracula-Versionen. Diese braucht nun den quali­ta­tiven Vergleich nicht zu scheuen. Über weite Strecken ohne Dialoge insze­niert, erinnert sie stel­len­weise an die Klarheit und Expres­si­vität eines deutschen Stumm­films.

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Übrigens wurden damals auch die Vampir­zähne für die Darsteller aus Deutsch­land einge­führt. Mehr solche Anekdoten und den Kontext des Films erzählen die beiden lohnenden Doku­men­ta­tionen im Bonus­ma­te­rial: Die erste lässt die Macher des Films zu Wort kommen, die zweite, eine Channel-4-Produk­tion von 2001, ist eine infor­ma­tive Tour-de-Force durch die indisch-paki­sta­ni­sche B-Movie-Tradition: Die indische Variante der Hammer-Studios war die Ramsay Family aus Bombay. Sie waren perfekt darin, westliche Filme und popkul­tu­relle Mythen zu plündern – so gibt es neben zahl­rei­chen indischen Zombies und Wolf­men­schen auch einen Bombay-Film namens Superman Und Spider­woman – und sie zugleich zu india­ni­sieren: Sie sind ange­rei­chert mit Lokal­ty­pi­schem wie Songs, Schlangen und Tigern.

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Kein Vampir­film findet sich unter den Nomi­nierten zum Deutschen Filmpreis. Schade eigent­lich im Land von Murnau. Was PR bedeutet, und wo da noch Jour­na­lismus statt­findet, beleuchtet am besten, was danach geschah: Als die Nomi­nie­rungen am 28. März bekannt gegeben worden waren, erreicht uns eine Pres­se­mit­tei­lung von der »Film­för­de­rung Hamburg Schleswig-Holstein«: »Deutscher Filmpreis 2008 – Sieben Nomi­nie­rungen für geför­derte Filme aus Hamburg Schleswig-Holstein«.
Dann kommt eine Mail vom »Medi­en­board Berlin-Bran­den­burg«: »Deutscher Filmpreis: 29 Nomi­nie­rungen für 15 Medi­en­board geför­derte Filme. Glück­wunsch für starkes Kino aus Berlin-Bran­den­burg!« Dazu der hübsche Hinweis: »Die nomi­nierten Filme aus der Haupt­stadt­re­gion spiegeln das starke künst­le­ri­sche und wirt­schaft­liche Potenzial des Film­stand­ortes Berlin-Bran­den­burg wieder« … »Herz­li­chen Glück­wunsch an alle Nomi­nierten«, gratu­liert Medi­en­board-Geschäfts­füh­rerin Kirsten Niehuus. »Wir freuen uns über die starke Präsenz ›unserer‹ Filme­ma­cher. Kreativ, künst­le­risch anspruchs­voll und dabei im Kino erfolg­reich, reprä­sen­tieren sie die Film­me­tro­pole Berlin, die in ihrer Viel­fäl­tig­keit und Leben­dig­keit national und inter­na­tional große Beachtung findet. Für die Verlei­hung drücken wir allen nomi­nierten Schau­spie­lern, Produ­zenten, Regis­seuren und Film­schaf­fenden die Daumen!«
Dann die Film­stif­tung NRW: »Auf der anderen Seite« Favorit beim Deutschen Filmpreis 2008 – Zehn Nomi­nie­rungen für Filme mit NRW-Betei­li­gung. Fast zeit­gleich hatten wir aber gelesen: »Kirsch­blüten – Hanami beim DEUTSCHEN FILMPREIS 2008 Favorit.« Die Pres­se­agentur schreibt das offenbar quasi in eigener Sache: »Wir freuen uns mit dem MAJESTIC FILMVERLEIH, Molly von Fürs­ten­berg und Harald Kügler, Regis­seurin Doris Dörrie und dem gesamten Filmteam von Kirsch­blüten – Hanami über die große Ehre durch die Fach­kol­legen in der Deutschen Film­aka­demie, die diesen ergrei­fenden und beein­dru­ckenden Film zu einem der Favoriten beim DEUTSCHEN FILMPREIS auser­koren haben… Nähere Infor­ma­tionen entnehmen Sie bitte der beigefügten Pres­se­mel­dung.«

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Bei den Film­fest­spielen in Cannes müssen sie echte Probleme haben. Letzte Woche verschob man die Pres­se­kon­fe­renz zur Ankün­di­gung des Programms auf Mittwoch dieser Woche. Aber an diesem Mittwoch gab man wieder nur Bruchs­tücke des Programms bekannt: Eröffnet wird mit Steven Spielberg neuem Indiana Jones-Spektakel. Um die Goldene Palme konku­rieren schon mal neue Filme von Clint Eastwood (Chan­ge­ling, ein Mystery-Thriller, in dem Angelina Jolie nach ihrem gekid­nappten Sohn sucht), Steven Soder­berghs vier­stün­diger Che (mit Benicio Del Toro in der Rolle des Frei­heits­kämp­fers Ernesto »Che« Guevara), Arnaud Desplechin mit Un conte de Noël, Philippe Garrels La Frontière de l’aube und der neue Film der Gebrüder Dardenne, außerdem Atom Egoyan mit Adoration, der Israeli Ari Folman mit Waltz With Bashir und die Argen­ti­nier Lucrecia Martel (La Femme Sans Tete) und Pablo Trapero (Leonera). Die übrigen Wett­be­werbs­teil­nehmer stehen noch nicht fest, laut Festi­val­leiter Gilles Jacob und Gene­ral­di­rektor Thierry Fremaux soll sich das erst »in den kommenden Tagen« ändern.

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Mit dabei in Cannes auch wieder mal Wim Wenders. In Palermo Shooting spielen Milla Jovovich und Dennis Hopper. Am Abend, beim Cham­pi­ons­le­ague-Gucken im »FC Magnet Mitte« mit Regisseur Mehdi eine Unter­hal­tung darüber, dass Wenders viel­leicht objektiv gesehen der bessere Regisseur ist als Oskar Roehler, dessen neuen Film man im Wett­be­werb ablehnte, man aber auf einen Roehler-Film sehr gespannt ist, auf Wenders schon lange nicht mehr. »Roehler ist ein Getrie­bener«, finde ich – »ist er viel weniger, als er glauben machen möchte«, meint Mehdi. Und lästert dann über Manches­ters Ronaldo, »den Tom Cruise des Fußballs«, der Sekunden später einen Elfmeter vergeigt.

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Apropos: Nicht ohne klamm­heim­liche Freude hören wir davon, dass sich die doch ganz schnu­cke­lige Kathy Holmes jetzt angeblich endlich vom größten Fehler ihres Lebens, von Grimas­sen­könig Tom Cruise, trennen wird. »Deutsch­lands Hoffnung« (Florian Henckel von Donners­marck). Der Psycho­ana­ly­tiker Doktor Daniel Schreiber klärt uns in Spiegel-Online über die Hinter­gründe auf: »Seine sympa­thi­sche Macho-Insze­nie­rung ist als etwas ange­strengte Vorform der Metro­se­xua­lität zu sehen. Fehlende Virilität und patri­ar­chalen Macht­ver­lust machte er durch mitreißend opti­mis­ti­sches Selbst­ver­trauen, perl­weißes Lächeln, Fitness-Physis und wehende Haare wieder wett, mitunter auch durch große Maschinen wie Rennautos, Motor­räder oder Flugzeuge. Für kurze Zeit sah es sogar so aus, als würde er sich als ernst zu nehmender Schau­spieler etablieren.«

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Über die deutsche Kultur – und anders­lau­tenden Gerüchten und deutschen Film­preisen zum Trotz hat auch das Kino damit was zu tun – machen sich ja viele Sorgen. Glück­li­cher­weise auch das Goethe-Institut. Das, was man so für deutsche Kultur und – Vorsicht jetzt! – »unsere natio­nalen Werte« hält, sollen die Goethe-Institute im Ausland vermit­teln. Aber was expor­tieren wir eigent­lich, wenn wir deutsche Kultur expor­tieren? Kunst? Demo­kratie? Konflikt­prä­ven­tion? An letzteres erinnert ja gerade auch die Arbeit des Goethe­insti­tuts gele­gent­lich. Als Ressort des Außen­mi­nis­te­riums ist das Goethe-Institut schließ­lich ein prekärer Zwitter zwischen Kultur und Politik. Über all das hat an sich jetzt bei einer Veran­stal­tung über »Das Goethe-Institut und seine Arbeit im Ausland« Gedanken gemacht.
Und was erfuhr man da, zu unserer Erleich­te­rung? Deutsch­land ist cool! Deutsch­land hat zumindest in den USA, »viel­leicht auch nur in New York«, ein ganz neues Image, so Stephan Wackwitz, Direktor des Kultur­pro­gramms am Goethe Institut New York. »Nämlich ein kulturell konno­tiertes Image. Ein ausge­spro­chen positives, modernes, cooles Image.« Na Gott sei Dank. Bevor man nun aber zu eupho­risch wird, noch die Mittei­lung, dass auch in Frank­reich Deutsch­land so populär ist, wie nie. Warum? Der Auftritt der Teenie-Band Tokio Hotel in Paris führte zu einem Sturm der fran­zö­si­schen Jugend auf deutsche Sprach­kurse. Heute steht nicht mehr nur das Dritte Reich oder »Made in Germany« für Deutsch­land, sondern auch Tokio Hotel.

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Und wo wir schon bei deutscher Kultur sind: Ganz doll freuen wir uns natürlich schon auf die dies­jäh­rige Verlei­hung des deutschen Filmpreis.

(To be continued)

Rüdiger Suchsland

Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beob­ach­tungen Kurz­kri­tiken, Klatsch und Film­po­litik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kino­ge­hers.