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Berlinale 2005 24.02.2005
 
 

Rückblicke

WEGE ZUM RUHM
 
 
 
 

AMERIKANISCHE GEWALT UND FRANZÖSISCHE LEICHIGKEIT
Ein subjektiver Durchmarsch durch die Reihen der 55. Berlinale 2005

Das Wochenende gehört den Ausstellungen. Während die Berlinale sich daran erfreut, in übervolle Säle hinein zu drängen, ein dreitagebärtiger Keanu Reeves seine lieben Fans fast unbeachtet vor dem Berlinale Palast im Wintereinbruch stehen lässt, besucht man lieber den nahen Martin-Gropius-Bau. In der umfassenden Kubrick-Ausstellung erfährt man etwa, dass sein erster großer Hollywoodfilm "Wege zum Ruhm" 1957 in München gedreht wurde. Im Schloss Schleißheim und in den Bavaria Filmstudios. Das Schlachtfeld im Frankreich des ersten Weltkrieges wurde gar in den Westen nach Puchheim verlegt, nahe der Heimat des Autors. Das waren noch Zeiten, als die heimischen Äcker für Kirk Douglas umgegraben wurden...

Auch nebenan im Gropius-Bau herrscht Krieg. Dort zeigt die Retrospektive von Robert Capa wie man Tod und Zerstörung in einzelne Bilder packt, deren Statik aber von der Wucht der Motive permanent zum Einsturz gebracht wird. Capa wagte sich immer wieder in das gefährlichste Zentrum des Krieges, um mit seiner Kamera die sichtbaren und unsichtbaren Grausamkeiten zu dokumentieren. So war er etwa als einziger Fotograf bei der erste Welle bei der Landung an der Normandie dabei, schoss die wohl über hundert wichtigsten Bilder seines Lebens. Dass dann ein Laborarbeiter nicht ganz bei der Sache war, und bis auf 11 Bilder, die Filme bis zur Unbrauchbarkeit falsch belichtete, gehört zu den großen Schicksalen der Fotografie.


Vielleicht das große Fatal für die Cinematographie stellte Michael Ciminos HEAVENS GATE dar, der am Montag die eigene Filmwoche eröffnet. 1980 für 44 Millionen Dollar statt der geplanten 7,5 Millionen gedreht, wurde er zum berühmtesten Flop der Filmgeschichte und kurz darauf auch für das Studio United Artists zum desaströsen Verhängnis. In Berlin ist der Film als Europapremiere in einer restaurierten 225-Minuten-Fassung zu sehen. Die Geschichte des Westerns geht über Amerika im Jahre 1892, wo eine Siedler-Gemeinde europäischer Immigranten von Kopfgeldjägern bedroht wird, weil auf einer Todesliste 125 Namen dieser Immigranten auftauchen. Von einer Liebe zum Detail zu sprechen, ist wäre pure Untertreibung. Cimino hatte gerade einen Regie-Oscar für THE DEER HUNTER erhalten, und ergötzt sich in HEAVENS GATE nun in aller Ruhe an den gar nicht so zahlreichen Szenen. Allein wenn der Siedler-Marshall Kris Kristofferson am Bahnhof des benachbarten Dorfes ankommt, sich besoffen aus der ersten Klasse quält, am Bahnsteig den bekannten Bahnwärter begrüßt, im Waffenladen ein paar üble Gesellen argwöhnisch beäugt, anschließend draußen zwei Amerikaner verprügelt, weil die sich an gerade angekommen Osteuropäern vergehen, dann liegt in diesen bestimmt zwanzig Minuten so viel Lust des filmischen Erzählens, wie man sie selten zu sehen bekommt. Dass nicht nur Kristofferson die französische Bordellbesitzerin Isabelle Huppert liebt, sondern auch der Kopfgeldjäger Christopher Walken, sorgt für emotionale Dramatik. Neben den furios ins endlose mäandernden Genreszenen beim Baden am Fluss oder beim Roller-Skating in der Gemeinde Halle, ist vor allem das Blutbad beim halbstündigen Kampf-Finale ungeheuerliche Filmkost. Beim Gespräch danach gibt Produzent Stephen Bach zu, einige Dialoge gerade zum ersten Mal gehört zu haben. Die Stimmen waren in der Originalfassung wohl oft nicht aus dem Hintergrundslärm heraus zu verstehen. Außerdem meint Bach, er habe damals Cimino deshalb ungestört sein Ding machen lassen, weil er nicht nur mit Woody Allens MANHATTEN, Scorseses RAGING BULL oder dem neuen Pink Panther mit Peter Sellers genug Blockbuster auf seinem Tisch gehabt hätte. Nur die sechsstündige Rohfassung von HEAVENS GATE, bei der allein das Gefecht am Ende zwei Stunden gedauert hätte, sei ihm damals doch zu viel gewesen. John Kirk, der den Film nun farblich und tontechnisch überarbeitet hat, berichtet enttäuscht von den USA, wo die neue Fassung Ende 2004 gerade mal ein Woche in einem kleinen New Yorker Kino gezeigt wurde. Die New York Times wusste nichts besseres zu tun, als einfach ihre vernichtende Rezension aus dem Jahr 1980 noch einmal abzudrucken. Noch immer scheint Amerika nichts mit der gewalttätigen Zelebrierung seiner Historie anfangen zu können.


Kubricks WEGE ZUM RUHM beendet den Tag der eigensinnigen amerikanischen Filmexperimente über Krieg und Gewalt. Hier will ein französischer General 1916 an der Westfront die Eroberung der uneinnehmbaren deutschen Stellungen erzwingen, richtet dann die Artillerie auf die eigene Truppe, und lässt später drei willkürlich ausgewählte Soldaten wegen Feigheit hinrichten. Kirk Douglas als Colonel und Anwalt der Soldaten kommt in einem irrwitzigen Prozess nicht gegen die Vorgesetzten an. Es geht um den von Sinnlosigkeit und persönlicher Vorteilnahme gekennzeichneten Krieg. Christiane Susanne Harlan hat am Ende als einzige Frau einen kurzen Gesangsauftritt. Schon Wochen zuvor war aber schon Stanley Kubrick ganz unverkleidet in einen Münchner Faschingsball geplatzt, um seine Christiane zu besuchen, die er aus dem Fernsehen kannte. All das erzählt die strahlende Christiane Kubrick auf der Bühne im CinemaxX. Damals wurde sie zur Frau des Regisseurs.

Am Dienstag weiter mit der Retrospektive. Alain Resnais bringt den modernen Kinozuschauer mit seinem MURIEL OU LE TEMPS D'UN RETOUR (1962/63) völlig aus der Fassung. Die Familien- und Liebesgeschichte, die zentral in einem mit Antiquitäten voll gestopften Apartment spielt, reißt Resnais noch extremer als in LETZTES JAHR IN MARIENBAD mit stakatohaften Detailaufnahmen, Rückblenden oder Parallelmontagen auf. Das künstliche Filmgebilde, das dem Phänomen Zeit mit großer Symbolkraft und viel Subjektivität auf den Leib rückt, lässt einen erstaunt zurück. Dagegen gewinnt direkt im Anschluss daran natürlich Jacques Tatis MON ONCLE sofort jedes Herz. Eine Weltpremiere ist die wiederaufgefundene englische Fassung des Films, die Tati als eine Version für die Academy Awards drehen ließ, die anschließend aber verloren ging. Der in Komik und Groteske so liebenswert vorgetragene Kampf Monsieur Hulot gegen die Moderne - in Form des futuristischen Haus seiner Schwester und der Fabrik seines Schwagers - bekommt so eine ganz neue Wendung: die unterkühlte Moderne spricht englisch, natürlich britisch, das warmherzige Alte verständigt sich französisch. Auf großer Leinwand ist MON ONCLE aber vor allem eine von Tatischer Präzision angetriebene, begeisternd humorvolle Fabel über die Liebe zum Leben.
Am Abend der dritte französische Film, und wieder eine Film für das Leben. CRUSTACÉS ET COQUILLAGES von Oliver Ducastel und Jacques Martineau läuft im Panorama, hätte aber auch dem allzu ernsthaften Wettbewerb gut getan. Eine berauschende Komödie über die Liebe zum gleichen und zum anderen Geschlecht. Über Vorurteile und deren Innerstes. In einem Ferienhaus. Über alle Generationen. Mit einer verführerischen Valeria Bruni-Tedeschi an der Spitze des lustvollen Treibens. Getanzt und Gesungen wird natürlich auch, aber im Gegensatz etwa zu 8 FRAUEN von Ozon, mit dem ja auch Bruni-Tedeschi zuletzt wieder großes Kopf-Kino drehte, kommt hier alles direkt aus dem Bauch. Oder von noch etwas weiter drunter.

Mittwoch dann Asien. Ein ganz außerordentlicher Film ist "KAKUSHI KEN - ONI NO TSUME" von Yoji Yamada. Die Ära der Samurai ist zu Ende. Sie sollen in Reih und Glied für den Krieg marschieren. Wer meutert, wird eingesperrt. Munezo kann schon mit dem todbringenden Job des Samurai nicht mehr viel anfangen, der Militärdienst ist ihm ganz fern. Zuhause hat er die ehemalige Bedienstete Kie wieder angestellt, nachdem sie sich bei der Familie ihres Mannes fast zu Tode schuften musste. Heimlich liebt Munezo Kie, aber die Standesunterschiede verbieten die Heirat. Als sein ehemaliger Freund Yaichiro, der Hochverrat begangen hat, aus seinem Kerker flieht, soll Munezo, der als stärkster Kämpfer des Clan gilt, den flüchtigen Yaichiro im Zweikampf stellen. Yamada nimmt den speziellen Ausschnitt aus dem Ende der Samurai-Geschichte und filmt ihn in schönster Mizoguchi-Manier. Kein Dialog, der jemals in der bekannten Schnitt-Gegenschnitt-Folge mit jeweils der gleichen Einstellung der beiden Partner gedreht wäre. Die Kamera dreht sich stets in den Räumen - und auch außerhalb - um das Geschehen, fasst in immer neuen Perspektiven immer neue Interpretationen. Dabei entstehen zahlreiche herrlich poetische Bilder. Wenn die Frau von Yaichiro nacht bei Munezo um Yaichiros Leben bittet, dann folgen allein hier sieben verschiedene Einstellungen: vom Raum, von der verzweifelt ihren Körper anbietenden und dem souveränen Samurai, vom Gang dahinter; erst dann wiederholt sich eine Einstellung. Und wenn am Ende Munezo und Kei auf einem Hügel vor einem Wald sitzen, und er ihr seine schönen Pläne kaum zu erzählen traut, dann dreht sich die Kamera ganz langsam um beide herum - bis am Ende nur noch der weite Himmel hinter ihnen erstrahlt.

Ein Schweizer Autorenfilm mal zwischendurch. DIE VOGELPREDIGT ODER DAS SCHREIEN DER MÖNCHE von Clemens Klopfenstein ist ein Low-Budget-Experiment, bei dem zwei Schauspieler auf dem Weg nach Umbrien zu einem Produzenten, und anschließend auch dort, über skurrile Filmprojekte debattieren, sich Metro-Verkäuferinnen in Sex-und-Blut-Visionen herbei fantasieren, und zwischendurch Ursula Andress als Mutter Gottes sich über den heiligen Vater beklagt. Viel Spott über die Filmwirtschaft und die sinnfreie Handlung vieler Blockbuster sind beißend komisch: So ist etwa das wichtigste am Projekt der beiden Schauspieler, das eine Verfolgungsgeschichte durch den ganzen Afrikanischen Kontinent werden soll, der einwöchige Urlaub nach Drehschluss in Kapstadt. Schwarzhumorig sind auch die Kommentare von Klopfenstein im Gespräch danach. Beim letzten Film hätte Bruno Gans einen Gastauftritt gehabt, sei aber danach gar nicht darüber erfreut gewesen, auch scheinbar neben der Kamera gemachte Äußerungen im Film wieder gefunden zu haben. Als Antwort darauf lässt Klopfenstein im neuen Film einfach die Ganz Bruno braten.

Abends noch ein Experiment im Forum, wieder Asien, und wieder mit besonderem Augenmerk auf das filmische Auge. In 23 festen Einstellungen zeigt die 1981 geborene Chinesin Liu Jiayin mit NIU PI das Leben ihrer Familie. In winzigen, dunklen Räumen hockt Liu mit ihren beiden Eltern aufeinander, isst zusammen, streitet viel. Wie der Vater seine Taschen fertigt, sieht man, und wie er schimpft, dass er wohl nur ein Bruchteil davon verdient, wie der Mann, der in seiner Bude die gegrillten Spieße verkauft. Die 110 Minuten vergehen langsam, die Intimität mit den Menschen ist oft erschreckend nah. Nachher erklärt Jiayin, sie hätte mit ihren Eltern die Szenen genau durchgesprochen - davon ist in dem starken Film aber nichts zu spüren.

Am Donnerstag läuft im Panorama OMIROS von Constantinos Giannaris. Die auf wahren Begebenheiten beruhende Entführungsgeschichte um einen Albaner, der in Griechenland einen Linienbus in seine Gewalt bringt, und nachdem ihm nicht alle Forderungen erfüllt werden damit nach Albanien flüchtet. Ein mit rauen Bildern ausgestatteter Film, der anfangs sehr gleichmäßig mit Rückblenden das für den Entführer so schmerzhafte Vorspiel in Griechenland bloßlegt und mit den Ängsten der Businsassen verschränkt. Harte Sounds forcieren die Dramatik, brechen aber bei jeder sehnsuchtsvollen Erinnerung für kurze Zeit ab. Gegen Ende gewinnt OMIROS an Eindringlichkeit, Gewalt schießt plötzlich hinein ins sichergeglaubte Geschehen. Insgesamt ein durchweg vibrierender Film mit einigen Ecken und Kanten.

Abschließend zur Retrospektive von Im Kwon-Taek. CHUKJE heißt sein Film von 1996, in dem sich eine Großfamilie zur Beerdigung der Oma einfindet und viele verdrängte Probleme zu Tage treten. CHUKJE ist ein herrliches Sittenbild der Koreanischen Gesellschaft. Sämtliche Riten der Beerdigung werden meditativ gezeigt. Dazwischen gibt es Konflikte und Prügeleien innerhalb der Familie, oder die Sargträger saufen und zocken um die Wette. Neben diesen Sozialstudien stellt Kwon-Taek demonstrativ die Poesie: in traumhaften Sequenzen wird die Geschichte der Großmutter aus Sicht der Enkelin in Kinderbuchmanier mit leuchtenden Farben und ohne echten Hintergrund erzählt. In seiner Komplexität steht CHUKJE gleichzeitig paradigmatisch für die Leichtigkeit des modernen asiatischen Kinos im Umgang mit Stilen, wie für das Vermögen Kwon-Taeks, mit seinem Erzählkino die unterschiedlichsten Schichten und Traditionen Koreas lebendig werden zu lassen.

Thomas Schöffner

 
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