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."Du bist Old Europe" meint Anatol Nitschke (früher
Münchner Werkstattkino, heute X-Filme, und zweifellos
einer der good guys des deutschen Films, der immer wieder
den Mut hat, against all odds auch Fime herauszubringen,
die er einfach gern mag), als ich ihm von meinen leichten
Bedenken gegen Weingartners Film erzähle. Besser als das
neue Amerika denke ich, sage aber nichts. Lieber noch 'nen
Schluck Rotwein. Dann erinnere ich daran, dass ja auch die
französischen Zeitungen... "Ja eben!" meint Anatol, "Du vertrittst
das alte Cannes." Bestimmt zuviel der Ehre für mich, aber
war es nicht so, dass "wir" immer genau dorthin wollten, ins
alte Cannes, wo allein Qualität zählt, und meinten,
dass nur ein deutscher Film im Wettbewerb an der Croisette
sozusagen mit Brief und Siegel bestätigen würde, dass da auch
eine deutsche Filmkultur existiert. Jetzt läuft einer, und
wir nehmen es als Bestätigung, dass es mit dem alten Cannes
zuende geht. Die Deutschen als Hunnen, die endlich Rom erobert
haben.
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Zum Beispiel Christina Weiss, die, äh... Staatsministerin
für... für... genau: Kultur. Kulturstaatsministerin. Am Abend
des Weingartner-Films gab es einen Empfang. Von der
Export-Union, der Auslandvertretung des deutschen Films. Das
war - damit keine Verwechslungen aufkommen - übrigens nicht
der Weingartner-Empfang. Dieser Empfang für den - jawoll!
- ersten deutschen, ok, deutschösterreichischen Wettbewerbsfilm
wurde nämlich von den Österreichern veranstaltet, gemeinsam
mit dem zweiten österreichischen Film, der wiederum von einer
Berliner Firma coproduziert wurde. Aber damit das auch noch
klar ist: Glücklicherweise sind die Filmsprachen der Länder
so verschieden, dass eine Verschmelzung zu irgendwelchen reichsdeutschen
Remineszenzen nicht zu befüchten steht. Und DIE FETTEN
JAHRE SIND VORBEI ist definitiv deutsches Kino.
Auf dem anderen, dem Nicht-Weingartner-Empfang also sprach
die famose Frau Weiss: "Wir haben den Durchbruch geschafft!"
Als ob sie gerade höchstpersönlich die Marneschlacht
gewonnen hätte. Panzergruppe Weiss marschiert auf Paris. Vor
einem Jahr hatte sie an gleicher Stelle noch erklärt, dass
Cannes ja längst nicht mehr so wichtig sei, schließlich hätten
"wir" "unsere" Berlinale. Und überhaupt sei der Autorenfilm
ja längst tot. Jetzt also der Durchbruch. Und wer ihr zuhörte
konnte fast glauben, dass Christina Weiss und nicht Hans Weingartner
Regie geführt hätte. "Fürchterlich" meinte ein Produzent ungefragt
zum Auftritt der Ministerin. Wir wollen ihn hier jetzt lieber
nicht mit Namen nennen, aber ein kleiner Independent ist er
nicht.
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Warum kann eine deutsche Kulturministerin nicht einfach sagen:
"Ich freue mich. Der Film läuft im Wettbewerb und das ist
schön." Und basta. Gerade die fehlende Gelassenheit, das unangemessene
Auftrumpfen verrät die Unsicherheit, das klammheimlich Verdruckste
des deutschen Auftritts. Und warum die Taktlosigkeit,
sich die Croisette-Teilnahme noch persönlich an die Brust
zu heften, wo doch jeder nur oberflächlich Informierte weiß,
welche Probleme Weingartner hatte, bis er sein Drehbuch verfilmen
konnte, trotz dem Erfolg von DAS WEISSE RAUSCHEN. Nur kleine
Alibiförderungen, ansonsten eben österreichisches Geld.
Und sein eigener Produzent ist Weingartner auch - vielleicht
ist der Film darum so disziplinlos geworden, weil niemand
da war, der ihm sagte, dass 180 Seiten Drehbuch a bisserl
lang und verquasselt sind.
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Aber auch die versammelte deutsche Filmkritik steht
wie die Jubelperser am Rand und will Stimmung für den
deutschen Film machen. "Ernst und Präzision... Filmisches
Dynamit" (FAZ), "ein großer Wurf... Godards Außenseiterbande...
sehr viel zu bewundern an Einfühlungsvermögen." (FR),
von der Boulevardpresse ganz zu schweigen.
Und nein, liebe Katja Nicodemus, "Er durchbricht die
wohlige Lethargie des Geldes mit irritierendem Frohsinn und
mit einer surrealistischen Subversionskraft, die man verloren
glaubte, seit Luis Buñuel bei den Chaplins zu Hause den allzu
bürgerlichen Weihnachtsbaum zertrampelte", das ist doch echt
ein bisschen zu dicke. Was bitte ist an der wohligen
Versöhnung auf der Alm subversiv? An den braven Kindern, die
ihren imaginären Papa entführt haben, und von ihm nichts anderes
wollen, als Anerkennung, Vergebung und die Zukunft, die er
ihnen doppelt und dreifach gestohlen hat? Auch "eine ungemein
leichte, schwebende Kamerasprache" kann ich in dem Film beim
besten Willen nicht entdecken. Ist halt Handkamera wie in
jedem zweiten Film und viel Improvisation. Mit den bekannten
Vorteilen der Direktheit und den ebenso bekannten Nachteilen:
Viel Gefasel, Längen, fehlende Konzentration. Der Dialoge
wie der Bilder. Und dann die wilden, "spontanen" Schnitte,
weil einfach unglaublich viel Leere aus dem Film herausgepopelt
werden muss, damit er nicht vier Stunden dauert.
Nur taz-Leser wissen wieder einmal mehr: "möchte er viel erzählen
und dieses Viele unentwegt rechtfertigen... Fahrige Bilder...
Weingartner traut ihnen wenig zu, er packt lieber alles, was
man wissen muss, in den Dialog. Das ist keine gute Idee..."
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Zwar muss man im Kino nicht so patriotisch sein, wie beim
Fußball, gute Arbeit sollte man aber natürlich schon
verlangen. In der Praxis könnte das zum Beispiel heißen, dass
man das eine, einzige Gespräch der Ministerin mit deutschen
Journalisten nicht exakt zur gleichen Minute ansetzt, in der
die Pressevorführung von MARSEILLE, dem zweiten deutschen
Cannes-Film, startet. Dümmer gehts nimmer. Faktisch war dann
nur die Hälfte der Geladenen bei der Ministerin, die andere
im Kino und keiner glücklich. Regisseurin Angela Schanelec
soll, so war zu hören, geweint haben, als sie von der
Terminüberschneidung erfuhr. Hoffentlich aus Wut.
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Vielleicht aber auch, weil MARSEILLE die Hälfte der
Zuschauer schon in der ersten halben Stunde wieder aus dem
Kino vertrieb. Zugegeben: es ist schwer, bei einem
Festival wie diesem die nötige Konzentration aufzubringen.
Erzählt wird von einer Frau, die aus Berlin nach Marseille
reist, und sich in einen Mechaniker verliebt. Wieder zurück
in Berlin, wo sie eine Affaire mit dem Mann ihrer besten Freundin
hat. Und sie geht wieder zurück nach Marseille. Ein Plot sich
nur mitteilt, wenn man viel Geduld aufbringt. Und der eigentlich,
um es einmal hart zu sagen, eigentlich nur die perverse
Variante einer deutschen Beziehungskomödie ist: Zutiefst
bürgerliche Nöte, protestantische Gewissensstrenge, zwanghafte
Charaktere, die mit ihrer eigenen Zwanghaftigkeit nicht zurecht
kommen, und es aber auch nicht besser haben wollen. Es fällt
schwer, mit ihnen emotional Verbindung aufzunehmen, wenn man
sie nicht intuitiv längst verstanden hat, also in sich trägt.
Aber man könnte sie beobachten, wie Tiere im Zoo, absonderliche
Wesen, über deren merkwürdiges Leben sich etwas von der Merkwürdigkeit
unser aller Daseins mitteilt. Absurdismus kann man das zwar
nennen, aber von Beckett oder Sartre ist MARSEILLE
trotzdem meilenweit entfernt.
Worum es Schanelec wohl vor allem geht, ist ihre Filmsprache:
Totalen ohne Ende, genaue Beobachtung zwar auf eine Entfernung,
die sich als Objektivität verkauft, und doch, so mein Verdacht,
vor allem Unfähigkeit zur Nähe kaschiert. Und der es
um die Figuren, die Geschichte, um Erfahrung gar nicht geht.
Auch der thailändische Wettbewerbsfilm TROPICAL MALADY
vertrieb einen Großteil seines Publikums. Warum aber gelingt
es diesem, bei jenen Zuschauern, die bleiben und die sich
auf den Film einlassen, einen Sog zu erzeugen, der
Schannelec einfach nicht gelingen will? Der Unterschied, scheint
mir, ist der pädagogische Gestus, mit dem die Deutsche auftritt.
Man spürt, dass sie mehr will, als nur etwas zeigen, den Zuschauer
eine Erfahrung machen lassen. Sie weiß: Dies ist das wahre
Leben, und wer sich nicht auf ihren Totalenterror und
ihre Langsamkeit einlassen möchte, lebt im falschen.
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Angespannt trat sie auch in Cannes auf. In gewissem Sinn
nicht besser als Weiss, nur anders. Kein Charme, keine
Gelassenheit. Gewiss, sie muss hier nichts verkaufen. Aber
warum muss sie längst vereinbarte Fernsehinterviews mit der
Begründung absagen, sie wolle Sog zu erzeugen ab jetzt nur
noch cinematographische Interviews geben." Wie schön für sie.
Es fällt schwer, einen Film und eine Regisseurin zu verteidigen
- auch vor sich selbst -, die einem ständig zu verstehen geben,
dass sie die ganze übrige Welt für Idioten halten.
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TROPICAL MALADY wie gesagt, ist ein ganz anderer Fall.
Ein Plot läßt sich schwer herausdestillieren: Ein schwules
Liebespaar geht in den Dschungel. Einer von ihnen wird
zum Tiger. Der andere sucht ihn. Der Film mäandert
im Raum, der Anfang und die Titelsequenz kommen nach etwa
eineinhalb Stunden. Trotzdem auf seine Art am Ende ein Horrorfilm,
eine Variation von I WALKED WITH A ZOMBIE. Und eine einmalige
Erfahrung, einer jener Momente, wegen derer man nach Cannes
fährt: In der zweiten Hälfte ist die Leinwand zu 90 Prozent
Schwarz, den alles spielt nachts im Dschungel. Dazwischen
viel Grün, Mondlicht. Wichtig ist die Tonspur: Zwar redet
keiner, doch man hört das Gezirpe, die Tiere im Urwald, die
Bewegungen der zwei Charaktere. Und ganz am Schluss schaut
einen der Tiger plötzlich an, das Heart of Darkness
ist erreicht.
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Was ist es, das diesen Sog erzeugt, dass TROPICAL MALADY
zu einem der großen Erlebnisse des Festivals macht, obwohl
scheinbar "nichts passiert." Auch das Kino hat seinen Tiger,
der immer abwesend anwesend ist, und manchmal urplötzlich
aus dem Nichts erscheint. Aber vielleicht ist TROPICAL MALADY
auch einfach der viel bessere Film, weil er eben zwar
uns Zuschauern überlässt, ob wir den Tiger entdecken, aber
weil es am Ende immerhin etwas zu entdecken gibt und
die Mühe lohnt.
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Angeblich wird hier auch ein Preis für das schönste
Filmtier vergeben. Wer ihn bekommt, ist klar.
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Dann war da noch MOTORCYCLE DIARIES von Walter
Salles, besser bekannt als "Der Film, den Dieter Kosslick
nicht bekommen hat." Er hätte zwar gut gepasst ins diesjährige
Berlinale-Programm. Aber gut war es nicht. Es geht um die
jungen Jahre von Che Guevara, als dieser als junger
Medizinstudent 1952 mit dem Motorrad durch Lateinamerika
fuhr, und seine Mission entdeckte, sich zum Revolutionär entwickelt.
Inhaltlich eine ziemlich träge und vorhersehbare Hagiographie,
stilistisch schlimmer: Denn die erste Hälfte wirkt wie das
ZDF-Reisejournal, auch vom Tempo her, die zweite wie
eine Albert-Schweitzer-Doku aus den 50ern. Wie COLD MOUNTAIN
hakt der Film die Stationen des Elends ab, jede wird schlimmer
als die vorherige. Der Höhepunkt ist eine Leprastation. Salles
badet in Häßlichkeit und Ekel, und läßt diese doch
nicht an sich ran, erstickt sie durch Sentimentalität und
behauptete kleine Schönheiten am Rand. Moral: Die Welt
könnte doch so schön sein. Und damit das jeder versteckt,
hält Ernesto, zum Che geworden, auch noch eine revolutionäre
Rede.
Heimlicher Untertitel: Wie Che Guevara zum Halbgott wurde.
Dies war nun endlich mal ein Film im Wettbewerb, den das Kino
eigentlich gar nicht interessiert, der es nur als angenehmes
Mittel betrachtet, um seine Thesen unters Volk zu bringen.
Auch dies eine (groß)bürgerliche Betrachtungsweise, lackiertes
Elend, und ein bisschen auch Lateinamerika als sozialdemokratisches
Disneyland, als Ort, "wo man noch wirklich was bewirken kann."
Der Film hätte sicher auch den jungen Helden Weingartners
gefallen, wenn sie denn existierten.
Rüdiger Suchsland
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