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Cannes 2004 21.05.2004
 
 
Tagebuchnotizen, 5. Folge

Das Weinen der Schanelec...

... und das Weisssche Rauschen: TROPICAL MALADY, MORORCYCLE DIARIES und mal wieder der deutsche Film in Cannes
Schanelecs MARSEILLE


Maren Eggert sucht in MARSEILLE Cannes

 
 
 
 

."Du bist Old Europe" meint Anatol Nitschke (früher Münchner Werkstattkino, heute X-Filme, und zweifellos einer der good guys des deutschen Films, der immer wieder den Mut hat, against all odds auch Fime herauszubringen, die er einfach gern mag), als ich ihm von meinen leichten Bedenken gegen Weingartners Film erzähle. Besser als das neue Amerika denke ich, sage aber nichts. Lieber noch 'nen Schluck Rotwein. Dann erinnere ich daran, dass ja auch die französischen Zeitungen... "Ja eben!" meint Anatol, "Du vertrittst das alte Cannes." Bestimmt zuviel der Ehre für mich, aber war es nicht so, dass "wir" immer genau dorthin wollten, ins alte Cannes, wo allein Qualität zählt, und meinten, dass nur ein deutscher Film im Wettbewerb an der Croisette sozusagen mit Brief und Siegel bestätigen würde, dass da auch eine deutsche Filmkultur existiert. Jetzt läuft einer, und wir nehmen es als Bestätigung, dass es mit dem alten Cannes zuende geht. Die Deutschen als Hunnen, die endlich Rom erobert haben.

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Zum Beispiel Christina Weiss, die, äh... Staatsministerin für... für... genau: Kultur. Kulturstaatsministerin. Am Abend des Weingartner-Films gab es einen Empfang. Von der Export-Union, der Auslandvertretung des deutschen Films. Das war - damit keine Verwechslungen aufkommen - übrigens nicht der Weingartner-Empfang. Dieser Empfang für den - jawoll! - ersten deutschen, ok, deutschösterreichischen Wettbewerbsfilm wurde nämlich von den Österreichern veranstaltet, gemeinsam mit dem zweiten österreichischen Film, der wiederum von einer Berliner Firma coproduziert wurde. Aber damit das auch noch klar ist: Glücklicherweise sind die Filmsprachen der Länder so verschieden, dass eine Verschmelzung zu irgendwelchen reichsdeutschen Remineszenzen nicht zu befüchten steht. Und DIE FETTEN JAHRE SIND VORBEI ist definitiv deutsches Kino.

Auf dem anderen, dem Nicht-Weingartner-Empfang also sprach die famose Frau Weiss: "Wir haben den Durchbruch geschafft!" Als ob sie gerade höchstpersönlich die Marneschlacht gewonnen hätte. Panzergruppe Weiss marschiert auf Paris. Vor einem Jahr hatte sie an gleicher Stelle noch erklärt, dass Cannes ja längst nicht mehr so wichtig sei, schließlich hätten "wir" "unsere" Berlinale. Und überhaupt sei der Autorenfilm ja längst tot. Jetzt also der Durchbruch. Und wer ihr zuhörte konnte fast glauben, dass Christina Weiss und nicht Hans Weingartner Regie geführt hätte. "Fürchterlich" meinte ein Produzent ungefragt zum Auftritt der Ministerin. Wir wollen ihn hier jetzt lieber nicht mit Namen nennen, aber ein kleiner Independent ist er nicht.

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Warum kann eine deutsche Kulturministerin nicht einfach sagen: "Ich freue mich. Der Film läuft im Wettbewerb und das ist schön." Und basta. Gerade die fehlende Gelassenheit, das unangemessene Auftrumpfen verrät die Unsicherheit, das klammheimlich Verdruckste des deutschen Auftritts. Und warum die Taktlosigkeit, sich die Croisette-Teilnahme noch persönlich an die Brust zu heften, wo doch jeder nur oberflächlich Informierte weiß, welche Probleme Weingartner hatte, bis er sein Drehbuch verfilmen konnte, trotz dem Erfolg von DAS WEISSE RAUSCHEN. Nur kleine Alibiförderungen, ansonsten eben österreichisches Geld. Und sein eigener Produzent ist Weingartner auch - vielleicht ist der Film darum so disziplinlos geworden, weil niemand da war, der ihm sagte, dass 180 Seiten Drehbuch a bisserl lang und verquasselt sind.

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Aber auch die versammelte deutsche Filmkritik steht wie die Jubelperser am Rand und will Stimmung für den deutschen Film machen. "Ernst und Präzision... Filmisches Dynamit" (FAZ), "ein großer Wurf... Godards Außenseiterbande... sehr viel zu bewundern an Einfühlungsvermögen." (FR), von der Boulevardpresse ganz zu schweigen.
Und nein, liebe Katja Nicodemus, "Er durchbricht die wohlige Lethargie des Geldes mit irritierendem Frohsinn und mit einer surrealistischen Subversionskraft, die man verloren glaubte, seit Luis Buñuel bei den Chaplins zu Hause den allzu bürgerlichen Weihnachtsbaum zertrampelte", das ist doch echt ein bisschen zu dicke. Was bitte ist an der wohligen Versöhnung auf der Alm subversiv? An den braven Kindern, die ihren imaginären Papa entführt haben, und von ihm nichts anderes wollen, als Anerkennung, Vergebung und die Zukunft, die er ihnen doppelt und dreifach gestohlen hat? Auch "eine ungemein leichte, schwebende Kamerasprache" kann ich in dem Film beim besten Willen nicht entdecken. Ist halt Handkamera wie in jedem zweiten Film und viel Improvisation. Mit den bekannten Vorteilen der Direktheit und den ebenso bekannten Nachteilen: Viel Gefasel, Längen, fehlende Konzentration. Der Dialoge wie der Bilder. Und dann die wilden, "spontanen" Schnitte, weil einfach unglaublich viel Leere aus dem Film herausgepopelt werden muss, damit er nicht vier Stunden dauert.
Nur taz-Leser wissen wieder einmal mehr: "möchte er viel erzählen und dieses Viele unentwegt rechtfertigen... Fahrige Bilder... Weingartner traut ihnen wenig zu, er packt lieber alles, was man wissen muss, in den Dialog. Das ist keine gute Idee..."

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Zwar muss man im Kino nicht so patriotisch sein, wie beim Fußball, gute Arbeit sollte man aber natürlich schon verlangen. In der Praxis könnte das zum Beispiel heißen, dass man das eine, einzige Gespräch der Ministerin mit deutschen Journalisten nicht exakt zur gleichen Minute ansetzt, in der die Pressevorführung von MARSEILLE, dem zweiten deutschen Cannes-Film, startet. Dümmer gehts nimmer. Faktisch war dann nur die Hälfte der Geladenen bei der Ministerin, die andere im Kino und keiner glücklich. Regisseurin Angela Schanelec soll, so war zu hören, geweint haben, als sie von der Terminüberschneidung erfuhr. Hoffentlich aus Wut.

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Vielleicht aber auch, weil MARSEILLE die Hälfte der Zuschauer schon in der ersten halben Stunde wieder aus dem Kino vertrieb. Zugegeben: es ist schwer, bei einem Festival wie diesem die nötige Konzentration aufzubringen. Erzählt wird von einer Frau, die aus Berlin nach Marseille reist, und sich in einen Mechaniker verliebt. Wieder zurück in Berlin, wo sie eine Affaire mit dem Mann ihrer besten Freundin hat. Und sie geht wieder zurück nach Marseille. Ein Plot sich nur mitteilt, wenn man viel Geduld aufbringt. Und der eigentlich, um es einmal hart zu sagen, eigentlich nur die perverse Variante einer deutschen Beziehungskomödie ist: Zutiefst bürgerliche Nöte, protestantische Gewissensstrenge, zwanghafte Charaktere, die mit ihrer eigenen Zwanghaftigkeit nicht zurecht kommen, und es aber auch nicht besser haben wollen. Es fällt schwer, mit ihnen emotional Verbindung aufzunehmen, wenn man sie nicht intuitiv längst verstanden hat, also in sich trägt. Aber man könnte sie beobachten, wie Tiere im Zoo, absonderliche Wesen, über deren merkwürdiges Leben sich etwas von der Merkwürdigkeit unser aller Daseins mitteilt. Absurdismus kann man das zwar nennen, aber von Beckett oder Sartre ist MARSEILLE trotzdem meilenweit entfernt.

Worum es Schanelec wohl vor allem geht, ist ihre Filmsprache: Totalen ohne Ende, genaue Beobachtung zwar auf eine Entfernung, die sich als Objektivität verkauft, und doch, so mein Verdacht, vor allem Unfähigkeit zur Nähe kaschiert. Und der es um die Figuren, die Geschichte, um Erfahrung gar nicht geht.

Auch der thailändische Wettbewerbsfilm TROPICAL MALADY vertrieb einen Großteil seines Publikums. Warum aber gelingt es diesem, bei jenen Zuschauern, die bleiben und die sich auf den Film einlassen, einen Sog zu erzeugen, der Schannelec einfach nicht gelingen will? Der Unterschied, scheint mir, ist der pädagogische Gestus, mit dem die Deutsche auftritt. Man spürt, dass sie mehr will, als nur etwas zeigen, den Zuschauer eine Erfahrung machen lassen. Sie weiß: Dies ist das wahre Leben, und wer sich nicht auf ihren Totalenterror und ihre Langsamkeit einlassen möchte, lebt im falschen.

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Angespannt trat sie auch in Cannes auf. In gewissem Sinn nicht besser als Weiss, nur anders. Kein Charme, keine Gelassenheit. Gewiss, sie muss hier nichts verkaufen. Aber warum muss sie längst vereinbarte Fernsehinterviews mit der Begründung absagen, sie wolle Sog zu erzeugen ab jetzt nur noch cinematographische Interviews geben." Wie schön für sie. Es fällt schwer, einen Film und eine Regisseurin zu verteidigen - auch vor sich selbst -, die einem ständig zu verstehen geben, dass sie die ganze übrige Welt für Idioten halten.

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TROPICAL MALADY wie gesagt, ist ein ganz anderer Fall. Ein Plot läßt sich schwer herausdestillieren: Ein schwules Liebespaar geht in den Dschungel. Einer von ihnen wird zum Tiger. Der andere sucht ihn. Der Film mäandert im Raum, der Anfang und die Titelsequenz kommen nach etwa eineinhalb Stunden. Trotzdem auf seine Art am Ende ein Horrorfilm, eine Variation von I WALKED WITH A ZOMBIE. Und eine einmalige Erfahrung, einer jener Momente, wegen derer man nach Cannes fährt: In der zweiten Hälfte ist die Leinwand zu 90 Prozent Schwarz, den alles spielt nachts im Dschungel. Dazwischen viel Grün, Mondlicht. Wichtig ist die Tonspur: Zwar redet keiner, doch man hört das Gezirpe, die Tiere im Urwald, die Bewegungen der zwei Charaktere. Und ganz am Schluss schaut einen der Tiger plötzlich an, das Heart of Darkness ist erreicht.

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Was ist es, das diesen Sog erzeugt, dass TROPICAL MALADY zu einem der großen Erlebnisse des Festivals macht, obwohl scheinbar "nichts passiert." Auch das Kino hat seinen Tiger, der immer abwesend anwesend ist, und manchmal urplötzlich aus dem Nichts erscheint. Aber vielleicht ist TROPICAL MALADY auch einfach der viel bessere Film, weil er eben zwar uns Zuschauern überlässt, ob wir den Tiger entdecken, aber weil es am Ende immerhin etwas zu entdecken gibt und die Mühe lohnt.

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Angeblich wird hier auch ein Preis für das schönste Filmtier vergeben. Wer ihn bekommt, ist klar.

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Dann war da noch MOTORCYCLE DIARIES von Walter Salles, besser bekannt als "Der Film, den Dieter Kosslick nicht bekommen hat." Er hätte zwar gut gepasst ins diesjährige Berlinale-Programm. Aber gut war es nicht. Es geht um die jungen Jahre von Che Guevara, als dieser als junger Medizinstudent 1952 mit dem Motorrad durch Lateinamerika fuhr, und seine Mission entdeckte, sich zum Revolutionär entwickelt. Inhaltlich eine ziemlich träge und vorhersehbare Hagiographie, stilistisch schlimmer: Denn die erste Hälfte wirkt wie das ZDF-Reisejournal, auch vom Tempo her, die zweite wie eine Albert-Schweitzer-Doku aus den 50ern. Wie COLD MOUNTAIN hakt der Film die Stationen des Elends ab, jede wird schlimmer als die vorherige. Der Höhepunkt ist eine Leprastation. Salles badet in Häßlichkeit und Ekel, und läßt diese doch nicht an sich ran, erstickt sie durch Sentimentalität und behauptete kleine Schönheiten am Rand. Moral: Die Welt könnte doch so schön sein. Und damit das jeder versteckt, hält Ernesto, zum Che geworden, auch noch eine revolutionäre Rede.

Heimlicher Untertitel: Wie Che Guevara zum Halbgott wurde. Dies war nun endlich mal ein Film im Wettbewerb, den das Kino eigentlich gar nicht interessiert, der es nur als angenehmes Mittel betrachtet, um seine Thesen unters Volk zu bringen. Auch dies eine (groß)bürgerliche Betrachtungsweise, lackiertes Elend, und ein bisschen auch Lateinamerika als sozialdemokratisches Disneyland, als Ort, "wo man noch wirklich was bewirken kann." Der Film hätte sicher auch den jungen Helden Weingartners gefallen, wenn sie denn existierten.

Rüdiger Suchsland

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