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Filmfest München 2003 2. Juli 2003
 
 
Dunkle Schönheit
Filmen vor der Explosion: Samira Makhmalbaf beim Filmfest München 2003
PANJ É ASR
 
 
 
 

Ein kleiner zierlicher Körper, ein großer Kopf: "Ich will von der Wirklichkeit erzählen" sagt Samira Makhmalbaf, "ich will beschreiben, was ich beobachte, will nicht verfälschen. Aber manchmal sind Symbole, ist eine Wendung ins Abstrakte und Symbolische viel realistischer, als eine lange Dokumentation." Mit intelligenten, wachen Augen mustert die junge Regisseurin den Fragesteller, schnelle Handbewegungen begleiten jedes Wort. Man kann sie sich gut vorstellen, wie sie am Set das Team und ihre Darsteller dirigiert, Laien fast alle. "Was soll ich mit Stars?" fragt sie, "wir haben ja viele im Iran. Aber die Menschen, die in meinen Filmen spielen, sind doch so viel besser, in ihrer Direktheit und Klarheit. Stars könnten das nicht."

Manchmal ändere sie die ganze Geschichte, um jemanden, den sie traf, in den Film einzubauen. Etwa eine junge Mutter, die in PANJ É ASR auftritt, ihrem neuesten Film, der nach seiner preisgekrönten Cannes-Premiere jetzt von ihr persönlich beim Filmfest München vorgestellt wird. "Ich hörte ihre Stimme, und wusste: Das ist ein Teil meines Films." PANJ É ASR handelt vom Dasein junger Frauen im gegenwärtigen Afghanistan, in zertrümmerten Städten, in einem in zwei Jahrzehnten in die kulturelle Steinzeit zurückgeworfenen Land. Von "Befreiung" möchte Makhmalbaf auch jetzt nicht sprechen: "Was ist das für eine Freiheit, die mit Bomben gebracht wird? So kann man die dortigen Zustände nicht ändern. Die Taliban sind nach wie vor da, in den Köpfen, im täglichen Leben." Aber keine Frage: "Es ist im letzten Jahr besser geworden, es gibt ein bisschen mehr Freiheit, Frauen dürfen wieder zur Schule, wenn auch nur mit Burka."

Makmalbaf weiß, wie es ist, die von strengen Islamisten vorgeschriebene Totalverschleierung zu tragen: "Man kann kaum atmen, es ist heiß, man sieht nur wenig." Die 23jährige ist im Iran der Ayatollahs aufgewachsen, noch unter recht privilegierten Verhältnissen, als Tochter des bekannten Regisseurs Mohsen Makhmalbaf. Eine Kinofamilie: Auch die Stiefmutter macht Filme, der Bruder schneidet und produziert, "und meine kleine 14jährige Schwester hat gerade ihren ersten Film fertiggedreht: Eine Dokumentation über meine Dreharbeiten bei 'PANJ É ASR'". Zuvor hat die junge Frau schon drei Filme von erstaunlicher Reife und Konsequenz, voller klugem Humor gedreht, die sämtlich in München gezeigt wurden: "Der Apfel" mit 17 Jahren war ihr Debüt, bereits ihr zweiter Film "Die schwarze Tafel" lief im Wettbewerb von Cannes. Zuletzt steuerte sie eine der besten Episoden zum Kompilationsfilm "11'09'01 - September 11" bei.

In Afghanistan hat sie aber nicht wegen des jüngsten Krieges gedreht, oder aus Sensationsgier: "Das Land gehörte lange zum Iran, wir sprechen die gleiche Sprache, haben die gleiche Kultur, viele Flüchtlinge von dort leben im Iran. Und es war einfacher, diesen Film in der gegenwärtigen Situation in Afghanistan zu machen. Aber ich wollte das Land nicht nur benutzen, obwohl es natürlich auch eine Geschichte aus dem Iran, und einigen anderen islamischen Ländern ist." Die Hoffnung bei Amtsantritt von Präsident Khatami sei im Iran schnell verflogen: "60 Prozent der iranischen Bevölkerung sind jünger als ich. Sie haben andere Träume, sie wollen Wechsel, Bewegung, Demokratie, Glück. Aber die Alten herrschen. Und so entsteht Wut." Diese Situation dokumentieren Makhmalbafs Filme: Eine Welt zwischen Hoffnungslosigkeit und drohender Explosion, voll dunkler Schönheit. Wer auf die junge Regisseurin trifft, begreift schnell, wie lohnenswert und spannend es wäre, Perspektiven wie der ihren häufiger zu begegnen, sich auf sie einzulassen. Sonst muss sie bald in neuen Trümmern drehen.

PANJ É ASR läuft noch einmal am Donnerstag im Sendlinger Tor-Kino, 17 Uhr

Rüdiger Suchsland

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