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Dokfest 2002 03.05.2002
 
 
 
 

Exemplarische Späteinsichten in den Dokumentarfilm
WIE ICH EIN HÖHLENMALER WURDE von Jan Peters und IN THE MIRROR OF MAYA DEREN von Martina Kudlácek

   
 
 
 
 

Um es gleich vorweg zu nehmen: Jan Peters hat mit seinen autobiographischen Tagebüchern die Welt des Dokumentarfilms auf den Kopf gestellt - um ein perfides Interesse für das hervorzubringen, was da heißt: Die Wirklichkeit ist uns nicht so nah, wie wir glauben. Sie ist vielmehr in den unsichtbaren Bereich eines Imaginären entrückt, das dann erscheint, wenn die Welt besprochen wird. So ist Peters ein Grenzgänger am Rande zur Fiktion, denn schließlich ist das Imaginäre jener minimale Zusatz, der das Reale zum Fiktionalen erheben kann.

Jan Peters durchzieht mit seinen filmischen Tagebüchern den Kopf des Zuschauers mit einem Sprachschwall, der Methode hat: In seinen Aufzeichnungen NOVEMBER,1-30 und DEZEMBER,1-31 nahm er sich jeweils die Zeit einer Rolle Super-8-Film, also ca. zweieinhalb Minuten, um einen Tag sprachlich zu konturieren. Das sieht dann meist so aus: Zu sehen ist der Regisseur mit einem Mikro in der Hand, meist werden noch schnell die Aufzeichnungsbedingungen kommentiert, dann ein konzentrierter Blick in die Kamera, und los geht's mit der Schilderung des Erlebten. Bis ein gelbfleckiges Etwas sich ins Weiße kippt und das Ende der Filmrolle signalisiert. Der Sprachschwall endet abrupt. Nächste Rolle: nächster Tag. Gleiche Prozedur. Dazwischen werden dann Filmeinheiten gelegt, in denen Peters nicht zu sehen ist, aber sein jeweiliges Thema vorführen: Aufnahmen eines Aquariums, der authentische Pornodreh von Regisseur mit seiner Freundin. Seltsame Gebilde, die nicht eindeutig zugeordnet werden können. Dazu aus dem Off der nicht abreißende, humorig-selbstironisierende Kommentar des Sprechers. Im Eiltempo vollzieht der Zuschauer auf diese Weise mit Peters einen ganzen Monat oder den kurzen Moment der Sonnenfinsternis, was ein großes Gespür für Timing und die Hervorbringung des perfekt unterhaltsamen Einmaligen bedeutet. Peters ist ein grandioser Zelluloid-Performer und selbstversessener Animateur.

Vielleicht ist es deshalb passend, daß sich Peters dieses Jahr mit einem Tagebuch über seine Hospitanz am Hamburger Schauspielhaus vorstellte. Bald aber driften die Schwierigkeiten über seine Orientierung, "im Haus" zu sein, wie der eingeweihte Theatermacher sagt, ab, und werden zur Erzählung darüber WIE ICH EIN HÖHLENMALER WURDE. Infolge einer Knieverletzung, die den übermäßigen Konsum von Schmerzmitteln nach sich zog, und in Verbindung mit dem theatermäßigen abendlichen Großkonsum von Alkohol, erreichte der Sprecher einen Zustand, der nur noch erlaubt, sich in der Höhle der Requisiten zu verkriechen, mit nichts als Fellen bekleidet. Es folgen Versuche mit Kleiderprojektionen auf den nackten Hintern seiner Freundin, die Entdeckung eines Loches in dem schwarzen Karton, mit dem die Fenster zur Straße verdeckt werden, als mal wieder der Porno lief, den er vor Jahren mit seiner Freundin gedreht hat, was unmittelbar zur Erkenntnis über die Funktionsweise der Camera obscura dient, die sich jedoch mit der Funktionsweise des menschlichen Auges aufgrund der im menschlichen Gehirn eingebauten Interpretationsleistung nur vergleichen aber keineswegs in Deckung bringen läßt. Und so weiter, und so weiter. Das Ganze ein großes Experiment nicht nur mit Bereitschaft des Zuschauers, sich in die verworrenen Gänge des Schauspielhauses, sondern auch in die Gedankenverschraubungen von Peters einzulassen. Aber wie gesagt: äußert amüsant. Immer an der Schwelle zur Fiktion, mit bewußter Inszenierung und Verkleidung vor der Kamera, und mit der Bereitschaft, Lücken im Diskurs durch Nachdrehs zu füllen.

Der Wille von Peters, das Imaginären im Realen aufzuspüren, dokumentiert eine ganz andere Art von Wirklichkeit: Die eines inneren Zustandes, das seltsame Erleben einer ganz normalen Wirklichkeit. In der Subjektivität seiner Kamera und seiner Weltbesprechung erscheint das wunderbare Wirkliche, der real maravilloso, dem die Lateinamerikaner in ihrer Literatur nachgehen, anerkannter Bestandteil der Alltagsmythologie. Die Dokumentation bei Peters will das Nichtsichtbare zeigen, mit den Methoden des ausgestellten Verkleidens und Verfälschens, die nicht zuletzt deshalb dokumentarisch bleiben. Dokumentation über die Fiktionalisierung des Wirklichen.

Wenn Jan Peters mit seinen dokumentarischen Fiktionen immer im Experimentellen bleibt, so ist IN THE MIRROR OF MAYA DEREN von Martina Kudlácek eine ganz und gar ‚klassische' Dokumention über das Leben der amerikanischen Avantgarde-Filmerin der 40er Jahre. Derens schmales Filmwerk zeigt sich interessiert an den klassischen Themen der Avantgarde, wie Traumlogik des Erzählens und Symbole, die nicht dechiffriert werden. Ihre besondere Filmsprache und ihre Themen findet sie über ihre eigene Verbindung zum Tanz: So ist PAS DE DEUX (A STUDY IN CHOREOGRAPHY FOR CAMERA, 1945) ein ‚Paartanz' zwischen den gefilmten Aufnahmen eines Tänzers und der filmischen Montage, durch die Bewegungsabläufe möglich werden, die die Realität in ihrer physikalischen Beschränktheit hinter sich lassen. IN THE MIRROR durchschneidet das Leben von Maya Deren an der Linie ihrer Filme. So ist der Film von Kudlácek nicht nur Biographie, sondern zugleich Filmographie, was gerade deshalb so wertvoll ist, weil ihre Filme nur selten zu sehen sind. Ihr Schaffen zeigt sich, begonnen von MESHES OF THE AFTERNOON (1943) bis hin zu dem späten THE VERY EYE OF THE NIGHT (1959), der ihr letzter, von der Avantgarde-Szene geschmähter Film vor ihrem frühen Tod mit 44 Jahren werden sollte. Es wird deutlich, wie ihre Filme David Lynch, der sich selbst einmal zur amerikanischen Avantgarde bekannt hat, in seiner irreführenden Symbolik und paradoxen Erzählweisen beeinflußte. Maya Deren auf einem Dokumentarfilmfestival zu finden, hat zudem programmatische Berechtigung mit ihrem Film über den Voodoo-Kult auf Haiti. Wenngleich sie nie an der ‚klassischen' Dokumentation interessiert war, sondern immer die Formalismen von Tanz und Bewegung für ihr Filmen freilegte, um eine Wirklichkeit zu zeigen, die ihr wichtiger war als das primär Sichtbare.

Dunja Bialas

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