Vollblüter

Thoroughbreds

USA 2017 · 93 min. · FSK: ab 16
Regie: Cory Finley
Drehbuch:
Kamera: Lyle Vincent
Darsteller: Olivia Cooke, Anya Taylor-Joy, Anton Yelchin, Paul Sparks, Kaili Vernoff u.a.
Dieser folterähn­liche Schwe­be­zu­stand der eigenen Gren­zen­lo­sig­keit...

Raskol­ni­koffs Schatten

»Sie haben geweint und sich daran gewöhnt. An alles kann sich der Mensch, dieses Schwein, gewöhnen!« – Fjodor Dosto­je­wski, Schuld und Sühne

In ruhigen, kris­tall­klaren Schnitten macht der Drama­tiker Cory Finley in seinem Debüt als Film­re­gis­seur schnell alles klar. Wir blicken auf das Leben der weißen Reichen an Amerikas Ostküste. Und das ihrer Kinder, die vor lauter Überfluss kaum mehr wissen, was sie tun. Zwei Freun­dinnen sehen sich nach langer Zeit wieder, sie sind noch nicht voll­jährig. Amanda hat ihr verletztes Pferd selbst getötet und wurde wegen Tier­quä­lerei angeklagt. Sie besucht ihre Freundin Lily, deren Mutter sich nach dem Tod ihres Mannes neu verhei­ratet hat. Durch den neuen Mann der Mutter, Mark, ist Lily noch wohl­ha­bender geworden, sie mag Mark aber nicht und spielt mit Amanda durch, wie es wäre, den neuen Mann der Mutter zu töten. Beide Freun­dinnen sind über­rascht über die Reak­tionen der anderen, Amanda versucht mit ihrer flir­renden, ironi­schen Gefühls­kälte immer wieder Lilys Arroganz zu brechen; ein Ringen um die Bezie­hungs­ho­heit in einer fragilen Teenager­be­zie­hung.

Finley, der für sein Debüt eins seiner eigenen Thea­ter­stücke verfilmt hat und es 2017 in Sundance vorstellen durfte, begibt sich jedoch schnell aus dem klaus­tro­phoben Raum der Reichen hinaus. Denn je mehr Lily und Amanda versuchen, eine logische Konse­quenz aus der Arith­metik ihrer Beziehung zu ziehen, desto deut­li­cher wird, dass sie einen Dritten mit ins Boot holen müssen. Tim (Anton Yelchin in seiner letzten Rolle) ist jedoch ein Gefal­lener. Er handelt in der Schule mit Drogen und muss tatsäch­lich für sein Geld arbeiten. Zwar macht er auf Amanda und Lily anfäng­lich den Eindruck, die amora­li­sche Souver­änität zu besitzen, nach der sich die Beiden sehnen. Doch Finley überführt in sehr langen Dialog­szenen, die mit schwarzem Humor und trie­fender Ironie versetzt werden, den Film behutsam in ein thril­ler­ar­tiges Umfeld, in dem das Reden zunehmend obsolet wird und vom Handeln bestimmt wird.

Finley macht dabei unmiss­ver­s­tänd­lich klar, dass ähnlich wie in Dosto­je­w­skis Rodion Raskol­ni­koff es hier im Grunde auch gar nicht um einen ober­fläch­lich-amora­li­schen Cool­ness­faktor geht , sondern die Umsetzung der nagenden Phantasie viel eher auf eine Erlösung hinzielt, die Mädchen viel eher verzwei­felt nach so etwas wie einer Moral für ihre eigene Zukunft suchen, einen Halt, der sie aus dem folterähn­li­chen Schwe­be­zu­stand ihrer eigenen Gren­zen­lo­sig­keit befreien soll.

Diese fast schon klas­si­sche Rite de Passage, in der schließ­lich beide Mädchen auf über­ra­schende Art und Weise das bekommen und zu dem werden, wonach sie sich unbewusst gesehnt haben – und dabei Dosto­je­w­skis Held gar nicht so unähnlich sind –, ist auf vertrackte Art und Weise auch so etwas wie das Zerrbild jener Coming of Age-Geschichte, die in Sicario 2 erzählt wird. Und das, obwohl Finleys Voll­blüter nicht nur geogra­fisch am anderen Ende des Landes spielt.

Aber hier wie an der mexi­ka­ni­schen Grenze sind die Leben dann doch viel ähnlicher als erwartet, macht Geld auf beiden Seiten, egal, wie es verdient wird, aus Kindern und Erwach­senen lebende Tote – Tote in einem Land, in dem sie eigent­lich sowieso nicht mehr leben wollen. Und sowohl in Amandas als auch Lilys Fall wird dann für einen kurzen Moment ebenso über­ra­schend deutlich, dass die eigent­li­chen Gewinner die wirt­schaft­li­chen Verlierer sind; dass Armut dann doch fast ein Segen ist. Für Dosto­je­wski undenkbar, für einen immer wieder etwas zu sehr ins Kammer­spiel fallenden ameri­ka­ni­schen Genre-Hybriden ein Segen, denn wenn die Reichen die Reichen töten und nicht mehr die Armen dafür instru­men­ta­li­siert werden müssen, dann gibt es ja viel­leicht doch noch so etwas wie Hoffnung.