Liebe bringt alles ins Rollen

Tout le monde debout

Frankreich/B 2018 · 109 min. · FSK: ab 0
Regie: Franck Dubosc
Drehbuch:
Kamera: Ludovic Colbeau-Justin
Darsteller: Franck Dubosc, Alexandra Lamy, Elsa Zylberstein, Gérard Darmon, Caroline Anglade u.a.
Mal blödelnd, mal bissig, dann wieder viel zu zahm

Hybridlösung im Rollstuhl

Die Komö­di­en­welle aus Frank­reich rollt zwar ohne Unterlass. Doch nach dem klugen und über­ra­schenden Isla­mis­ten­ba­shing von Sou Abadis Cherchez la femme gab es mit dem zweiten Teil der Sch'tis, La ch'tite famille, erst einmal einen Dämpfer. Zwar brilliert Dany Boon auf sprach­spie­le­ri­scher Ebene, doch seinem Versuch, Didier Eribons »Rückkehr nach Reims« lose auf den Sch'ti-Kosmos anzu­wenden, fehlte dann doch der Biss und die nötige Anarchie, um wirklich zu über­zeugen.

Doch was soll’s, so richtig schlimm ist das auch nicht, denn Franck Duboscs Liebe bringt alles ins Rollen (Tout le monde debout) dürfte auch dem letzten Komö­dien­brei­ver­ächter zumindest ein paar Schmunzler abringen. Was aller­dings dann doch erstaun­lich ist. Denn Dubosc schert sich erst einmal gar nicht um das, was Frank­reich gerade zerreißt. Seine Welt ist die der wohl­ha­benden Pariser Kultu­re­lite und Geschäfts­leute, für die Paris allein geschaffen zu sein scheint und für die dann auch Europa eher Vorgarten der eigene Sehn­süchte als immer noch zu über­win­dende Fremde ist.

Jocelyn, von Dubosc selbst gespielt, ist Geschäfts- und Lebemann in einem und von jedem Selbst­zweifel weit entfernt. Erst als er sich in Florence (Alexandra Lamy) verliebt, gerät sein Selbst­bild ins Schwanken. Denn Florence sitzt nicht nur im Rollstuhl, sondern sitzt selbst­be­wusst in ihrem Rollstuhl. Sie ist eine erfolg­reiche Violi­nistin und eine ebenso erfolg­reiche Roll­stuhl­ten­nis­spie­lerin und von ihrem Selbst­be­wusst­sein sichtlich irritiert, glaubt Jocelyn sie nur dadurch gewinnen zu können, dass er sich selbst als Behin­derten und Roll­stuhl­fahrer ausgibt.

Die Romanze, die Dubosc in seinem Regie­debüt nun entspinnt, entfernt sich dann wohltuend von dem seicht-plaka­tiven Intro und man merkt Dubosc an, dass er seine Wurzeln in der Stand-up-Comedy hat. Mal ein wenig blödelnd, dann wieder bissig und politisch inkorrekt, bringt er einen Stein nach dem anderen zum Rollen, verengt die Hand­lungs­mög­lich­keiten seiner Prot­ago­nisten mit gutem Timing bis ins komisch Uner­träg­liche und läßt nebenbei auch noch etwas Raum für die roman­ti­sche Komödie übrig.

Diese gezielte Grat­wan­de­rung dürfte  Liebe bringt alles ins Rollen auch zu seinem beacht­li­chen Publi­kums­er­folg in Frank­reich verholfen haben, und funk­tio­niert wie viele Hybrid­lö­sungen nicht nur an den Kino­kassen immer wieder sehr gut. Doch an die Radi­ka­lität vergleich­barer Komödien aus den USA wie die der Farrellys oder aus dem Hause Appatow reicht Liebe bringt alles ins Rollen nur in Ansätzen heran. Zwar wird der im Zentrum stehende Seiltanz um die Doppel­bö­dig­keit von Lüge und Wahrheit immer wieder mit guten Gags bedient und in klugen Dialogen bis zum Zerreißen gespannt. Doch jedes Zubeißen wird dann doch viel zu schnell mit einem begü­ti­genden Lächeln wieder entschul­digt, jede schamlose Nieder­lage mit einem über­zeu­genden Sieg verknüpft. Und auch die Moral von der Geschicht' – urteile über deines Nächsten Aussehen nicht – beschert am Ende dann doch eher dieses flaue Gefühl im Magen, das einen auch bei wichtigen Elfme­ter­schießen überkommt, weil man nicht weiß, mit wem man mehr mitleiden soll, dem Schützen oder dem Torwart.