Eleanor & Colette

55 Steps

Deutschland/Belgien 2017 · 115 min. · FSK: ab 12
Regie: Bille August
Drehbuch:
Kamera: Filip Zumbrunn
Darsteller: Helena Bonham Carter, Hilary Swank, Jeffrey Tambor, Johan Heldenbergh, Cynthia Hoppenfeld u.a.
Statt Kitsch Ambivalenz

David gegen Goliath in Kalifornien

»Herr, lass mich trachten, nicht, dass ich getröstet werde, sondern dass ich tröste; nicht, dass ich verstanden werde, sondern dass ich verstehe; nicht, dass ich geliebt werde, sondern dass ich liebe. Denn wer sich hingibt, der empfängt.«

Diese Zeilen sind die Kurzform eines Gebets, das dem Heiligen Fran­ziskus zuge­schrieben wird. Anders als die meisten Gebete bitten sie nicht um eine Gabe oder eine Erlösung. Der Betende bittet darum, selbst ein Gebender zu werden. Der anderen hilft und sie von Kummer befreit. So ein Gedanke ist ehrenwert und klug. Alle bedeu­tenden reli­giösen Schriften rufen Starke auf, den Schwachen zu helfen.

Doch in Eleanor & Colette werden diese Zeilen nicht von einem kraft­strot­zenden Helden in den Himmel geschickt. Sondern von einer kranken Frau gemurmelt, die selbst Hilfe benötigt. Und zwar sehr dringend.

Eleanor Riese (Helena Bonham Carter) leidet unter para­no­ider Schi­zo­phrenie. Sie lebt in einer geschlos­senen psych­ia­tri­schen Anstalt. Medi­ka­mente, die sie gegen Wahn­vor­stel­lungen bekommt, schaden ihr fast mehr als sie nutzen. Weigert sie sich, sie zu schlucken, werden sie ihr mit Gewalt gespritzt. Die Zelle, in der sie einge­sperrt wird, darf sie nicht mal verlassen, um aufs Klo zu gehen.

Wenn so ein hilfs­be­dürf­tiger Mensch darum bittet, anderen helfen zu können, ist das etwas ganz Beson­deres. Und so ist auch die wahre Geschichte von Eleanor Rieses Kampf gegen Zwangs-Medi­ka­tion ein besonders sehens­werter Film geworden.

Alleine kann eine kranke Frau in einem voll­ge­pin­kelten Nachthemd so einen Kampf natürlich nicht anfangen. Zum Glück gerät sie an die enga­gierte Anwältin Colette Hughes (Hilary Swank) und deren erfah­renen Kollegen, Mort Cohen (Jeffrey Tambor).

Doch Dreh­buch­autor Bruce Rosin und Regisseur Bille August erzählen nicht nur ein Gerichts­drama als moderne David-gegen-Goliath-Geschichte: Chronisch-paranoide Schi­zo­phrene gegen ihre eigenen Ärzte. Ja, im Grunde gegen das ganze Gesund­heits­system und die Justiz des Bundes­staates Kali­for­nien in den 80-er Jahren.

Bei den span­nenden Etappen dieses Kampfes lernt der Zuschauer die Patientin und ihre Anwältin von Szene zu Szene besser kennen. Wobei er mehr als eine Über­ra­schung erlebt. Schnell geht es nicht nur um die Frage, wer in der letzten Instanz Recht bekommen wird. Sondern um die Porträts zweier unter­schied­li­cher Frauen und wie der gemein­same Kampf ihr Privat­leben beein­flusst.

Quasi nebenbei wird die Frage gestreift, warum man Hilfs­be­dürf­tigen helfen sollte. Nämlich nicht aus Mitleid oder um Plus­punkte fürs Jenseits zu sammeln, falls es ein Jenseits gibt. Sondern weil es eine Berei­che­rung ist für unser eigenes Leben.

Bei wem jetzt der Kitsch-Alarm ange­sprungen ist, den kann man guten Gewissens beruhigen. Ein weiterer Glücks­fall ist, wie ambi­va­lent Eleanors psychi­sche Erkran­kung gezeigt wird. Die Symptome werden weder schön­ge­färbt noch sensa­ti­ons­hei­schend ausge­stellt. Dank Helena B. Carters schau­spie­le­ri­scher Leistung wird sehr deutlich, warum Eleanor mal eine echte Zumutung für ihre Mitmen­schen war und mal ein großes Geschenk.

Das Ende des Films ist bitter-süß. Auch das auf den Punkt gemixt. Die Bitter­keit ist stark genug, damit der Film nicht wie ein unrea­lis­ti­sches Märchen endet. Die Süße macht Mut, nach dem Film beide Augen aufzu­halten, ob jemand unsere Hilfe benötigt.