Deutschland/Belgien 2017 · 115 min. · FSK: ab 12 Regie: Bille August Drehbuch: Mark Bruce Rosin Kamera: Filip Zumbrunn Darsteller: Helena Bonham Carter, Hilary Swank, Jeffrey Tambor, Johan Heldenbergh, Cynthia Hoppenfeld u.a. |
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Statt Kitsch Ambivalenz |
»Herr, lass mich trachten, nicht, dass ich getröstet werde, sondern dass ich tröste; nicht, dass ich verstanden werde, sondern dass ich verstehe; nicht, dass ich geliebt werde, sondern dass ich liebe. Denn wer sich hingibt, der empfängt.«
Diese Zeilen sind die Kurzform eines Gebets, das dem Heiligen Franziskus zugeschrieben wird. Anders als die meisten Gebete bitten sie nicht um eine Gabe oder eine Erlösung. Der Betende bittet darum, selbst ein Gebender zu werden. Der anderen hilft und sie von Kummer befreit. So ein Gedanke ist ehrenwert und klug. Alle bedeutenden religiösen Schriften rufen Starke auf, den Schwachen zu helfen.
Doch in Eleanor & Colette werden diese Zeilen nicht von einem kraftstrotzenden Helden in den Himmel geschickt. Sondern von einer kranken Frau gemurmelt, die selbst Hilfe benötigt. Und zwar sehr dringend.
Eleanor Riese (Helena Bonham Carter) leidet unter paranoider Schizophrenie. Sie lebt in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt. Medikamente, die sie gegen Wahnvorstellungen bekommt, schaden ihr fast mehr als sie nutzen. Weigert sie sich, sie zu schlucken, werden sie ihr mit Gewalt gespritzt. Die Zelle, in der sie eingesperrt wird, darf sie nicht mal verlassen, um aufs Klo zu gehen.
Wenn so ein hilfsbedürftiger Mensch darum bittet, anderen helfen zu können, ist das etwas ganz Besonderes. Und so ist auch die wahre Geschichte von Eleanor Rieses Kampf gegen Zwangs-Medikation ein besonders sehenswerter Film geworden.
Alleine kann eine kranke Frau in einem vollgepinkelten Nachthemd so einen Kampf natürlich nicht anfangen. Zum Glück gerät sie an die engagierte Anwältin Colette Hughes (Hilary Swank) und deren erfahrenen Kollegen, Mort Cohen (Jeffrey Tambor).
Doch Drehbuchautor Bruce Rosin und Regisseur Bille August erzählen nicht nur ein Gerichtsdrama als moderne David-gegen-Goliath-Geschichte: Chronisch-paranoide Schizophrene gegen ihre eigenen Ärzte. Ja, im Grunde gegen das ganze Gesundheitssystem und die Justiz des Bundesstaates Kalifornien in den 80-er Jahren.
Bei den spannenden Etappen dieses Kampfes lernt der Zuschauer die Patientin und ihre Anwältin von Szene zu Szene besser kennen. Wobei er mehr als eine Überraschung erlebt. Schnell geht es nicht nur um die Frage, wer in der letzten Instanz Recht bekommen wird. Sondern um die Porträts zweier unterschiedlicher Frauen und wie der gemeinsame Kampf ihr Privatleben beeinflusst.
Quasi nebenbei wird die Frage gestreift, warum man Hilfsbedürftigen helfen sollte. Nämlich nicht aus Mitleid oder um Pluspunkte fürs Jenseits zu sammeln, falls es ein Jenseits gibt. Sondern weil es eine Bereicherung ist für unser eigenes Leben.
Bei wem jetzt der Kitsch-Alarm angesprungen ist, den kann man guten Gewissens beruhigen. Ein weiterer Glücksfall ist, wie ambivalent Eleanors psychische Erkrankung gezeigt wird. Die Symptome werden weder schöngefärbt noch sensationsheischend ausgestellt. Dank Helena B. Carters schauspielerischer Leistung wird sehr deutlich, warum Eleanor mal eine echte Zumutung für ihre Mitmenschen war und mal ein großes Geschenk.
Das Ende des Films ist bitter-süß. Auch das auf den Punkt gemixt. Die Bitterkeit ist stark genug, damit der Film nicht wie ein unrealistisches Märchen endet. Die Süße macht Mut, nach dem Film beide Augen aufzuhalten, ob jemand unsere Hilfe benötigt.