Ein Chanson für dich

Souvenir

Belgien/L/F 2016 · 94 min. · FSK: ab 6
Regie: Bavo Defurne
Drehbuch: , ,
Kamera: Philippe Guilbert
Darsteller: Isabelle Huppert, Kévin Azaïs, Johan Leysen, Jan Hammenecker, Anne Brionne u.a.
Bildnis einer Trinkerin: Die Huppert mal wieder

Das Leben ist ein Chanson

»Isabelle Huppert, die an der Kinokasse kaum Star-Appeal hat« – so schrieb »Der Spiegel« 1991 anläss­lich des Film­starts von Malina und miss­traute der Vision seiner deutschen Produ­zenten. Das ist ein Vier­tel­jahr­hun­dert her. Heute ist Isabelle Huppert die Huppert und das Gesicht des fran­zö­si­schen Kinos. Alle hat sie abgehängt, am ehesten kann ihr wohl noch die Deneuve das Wasser reichen. Die Huppert ist unglaub­lich wand­lungs­fähig, aber inter­es­san­ter­weise spielt sie in all diesen vielen, ganz und gar unter­schied­li­chen Figuren, denen sie Gestalt gibt, doch immer irgendwie die Gleiche. Ihre Figuren sind meist von stoischem Gleichmut getragen, was Flaubert so treffend »impas­si­blité« genannt hat. Sucht man nach einer deutschen Über­set­zung – Gefasst­heit, Uner­schüt­ter­lich­keit, auch Undurch­dring­lich­keit und die Eigen­schaft einer, die die Fassung wahrt – schälen sich die Attribute und Charak­te­ris­tika der Huppert­schen Figuren heraus.

Oft spielt sie starke Frauen, die allein deshalb so stark sein müssen, weil sie schwer an ihrem Schicksal zu tragen haben. In L’avenir gab sie die Philo­so­phie­leh­rerin, deren Leben komplett ausein­an­der­fällt, Elle mit ihrer bislang wohl brisan­testen Rolle zeigte sie als eine, die mit Lust verge­wal­tigt wird. Dies ist am ehesten mit ihrer Rolle in Die Klavier­spie­lerin vergleichbar, wo sie eine erfolg­reiche Pianistin mit inner­fa­mi­liären sado­ma­so­chis­ti­schen Abhän­gig­keiten spielt. Aber sie kann auch das Leichte, fast schon Unernste. Wie in Valley of Love, eine Art Gespens­ter­ge­schichte, in der sie zum ersten Mal seit Maurice Pialats Loulou (1980) an der Seite von Gérard Depardieu zu sehen ist. Mit ihm fühle sie sich »seelen­ver­wandt«, sagte sie in einem Interview mit der »ZEIT«. »Mit Gérard zu arbeiten ist so, als ob beim Sex das Bett unter einem zusam­men­kracht und man sich nicht mehr einkriegt vor Lachen.«

Um Sex geht es auch in ihrem jüngsten Film, der jetzt bei uns in die Kinos kommt, und der wie Valley of Love ein eher leiser und kleiner Film ist. Es fühlt sich an, als hätte sie ihn wie zwischen­durch gemacht, eine Fingerübung, bevor sie mit Michael Hanekes Happy End wieder ihren großen Auftritt in Cannes hatte. Souvenir heißt der Film schlicht im Original, »Erin­ne­rung«. Ein Chanson für dich, so der deutsche Verleih­titel, geht um die ehemalige Chan­son­sän­gerin Laura, heute wieder bürger­lich »Liliane«, die einst am Euro­vi­sions-Contest teil­ge­nommen und sich mit ihrem Lied in den ewigen Chanson-Himmel gesungen hat, obgleich sie Abba unterlag. Jetzt fristet sie ihr Dasein in einer Paste­ten­fa­brik und ist der Einsam­keit und dem Alkohol verfallen. Bis sie auf den jungen Boxer Jean (Kévin Azaïs) trifft, dessen Eltern absolute »Laura«-Fans sind. Er überredet sie zum Comeback, sie macht ihn zum Manager.

»Les jours sans amours, c’est fini«, singt sie im neu kompo­nierten Lied, das sie zurück auf die Bühne bringt. Die Tage ohne Liebe sind vorbei – Liliane hat sich mit dem jungen Jean einge­lassen. Das Leben ist ein Chanson. Es folgt das Melodram.

Der belgische Regisseur Davo Duferne hat mit seinem ersten inter­na­tional beach­teten Film, was sicher­lich auch der Huppert geschuldet ist, ein klas­si­sches Genre insze­niert; sein großer Trumpf, den er in der Hand hält, ist neben Isabelle Huppert die unauf­g­regte, fast altmo­di­sche Drama­turgie seines Films. Diese folgt dem Muster des Comebacks mit Hinder­nissen. Wegen inner­fi­gür­li­cher Hürden (die Alko­hol­sucht, der Alters­un­ter­schied, die Eifer­sucht) ergibt sich die Gefahr, dass sich das Märchen nicht erfüllt. Die anfäng­liche Mise­ra­bi­lität der Fabrik­ar­bei­terin und der schwie­rige Aufstieg erinnern in der Meldo­dra­matik an Lars von Triers Dancer in the Dark, sind zugleich der arche­ty­pi­schen Aufstei­gerer­zäh­lung von Aschen­puttel eben­bürtig. Die narrative Deut­lich­keit des Films sollte dabei als unzeit­ge­mäße und darin sehr wohl­tu­ende Einfach­heit goutiert werden, getragen von dem leichten Spiel der Huppert, die ihre großen schau­spie­le­ri­schen Momente beschwipst vor dem Spiegel ihrer Konzert­gar­de­robe hat und natürlich auf der Bühne, wenn sie die beschwingten Lieder der übrigens ameri­ka­ni­schen Band Pink Martini singt. Mit dem Chanson »Joli garçon« jeden­falls erlangt der Film alle Qualitäten eines Ohrwurms. Den man so schnell nicht vergisst.