Cäsar muss sterben

Cesare deve morire

Italien 2012 · 77 min. · FSK: ab 6
Regie: Paolo Taviani, Vittorio Taviani
Drehbuch: ,
Kamera: Simone Zampagni
Darsteller: Cosimo Rega, Salvatore Striano, Giovanni Arcuri, Antonio Frasca, Juan Dario Bonetti u.a.
Shakespeare mit Schwerverbrechern

Harte Jungs

Es ist eine Show. Und wenn man, trotz Fest­tags­stim­mung, womöglich die Nach­rich­ten­bilder der letzten Tage gesehen hat springen einem die offen­kun­digen Paral­lelen ins Auge. Menschen spielen andere, künst­liche Charak­tere – aber irgendwie auch sich selbst, und darum verschwimmen die Unter­schiede, verrut­schen die Masken immer wieder.

Cäsar muss sterben, der im Februar bei der Berlinale den Goldenen Bären gewann, ist ein bemer­kens­werter Film. Eine Mischung aus Doku­men­ta­tion und Spielfilm, Wahrheit und Täuschung, Kunst und Leben. Es ist Gangs­ter­s­tück und Polit­drama, und zwar im doppelten Sinn. Die Schau­spieler hier sind nämlich Mörder und andere Krimi­nelle, zugleich spielen sie Politiker, die Schau­spieler sind, und Mörder und Verbre­cher anderer Art sowieso.

Wie ist das gemeint? Die Brüder Paolo (80) und Vittorio (82) Taviani, drehen seit Jahr­zehnten gemeinsam und gleich­be­rech­tigt Kinofilme, für die sie vielfach ausge­zeichnet und welt­berühmt wurden. Es sind glei­cher­maßen harte, wie poetische Werke in der Tradition des »Neorea­lismus« eines Rossel­lini und Fellini – besonders bekannt sind Padre padrone (1977) oder Die Nacht von San Lorenzo (1982), oder die Verfil­mung von Goethes »Wahl­ver­wandt­schaften« (1993).
Ihren neuesten Film haben sie jetzt im Gefängnis gedreht. Es ist dies kein gewöhn­li­ches Gefängnis, sondern der Schwer­ver­bre­chern vorbe­hal­tene berüch­tigte Rebibbia-Hoch­si­cher­heits­trakt bei Rom. Dort haben sie ihre Schau­spieler rekru­tiert. Mit ihnen haben sie Shake­speares »Julius Caesar« insze­niert, ein Thea­ter­stück, das zwar Historien- und Polit­drama ist, aber doch auch als Geschichte eines Männer­bundes verstanden werden kann, einer verschwo­renen Gruppe von knall­harten Jungs, die lange an einem Strang ziehen, aber dann an ihrem so charis­ma­ti­schen wie unum­strit­tenen Anführer zweifeln, ihm die Führung streitig machen, ihn, als er sich wehrt, ermorden, und dann unter­ein­ander darum kämpfen, wer der neue Boss wird. Sehr lebens­nahe also, aus Sicht der Häftlinge. Und dann spielt alles noch vor Ort, in Rom, wo auch gerade das andere endlose Polit­drama seinen neuesten Akt erreicht hat, die endlose Show des Silvio Berlus­coni.

So ist dies einer­seits eine recht lebens­nahe, neorea­lis­ti­sche Shake­speare-Verfil­mung. Es ist aber auch ein Doku­men­tar­film, der davon handelt, wie Laien zu Schau­spie­lern werden. Der zeigt, wie sie sich selber spielen, wie sie lernen müssen, dass Theater Kunst ist, und nur dann glaub­würdig und realis­tisch wirkt, wenn es gar nicht erst versucht, »echt« zu erscheinen. Und wie die Rolle, die Kunst zurück­wirkt auf die Schau­spieler. Wie sich auf einmal Paral­lelen auftun zwischen den Mördern und Todes­boten, die sie spielen und den Mördern und Todes­boten, die sie im realen Leben sind.

Das ist dann aufregend. Vor allem für die Schau­spieler selbst, aber auch für uns, die wir zugucken. Denn wann sieht man schon mal derart harte Jungs, außer in den Fern­seh­nach­richten?

So mischen sich beim Ansehen dieses Films die Spannung durchs Shake­speare-Drama mit der Faszi­na­tion für die Arbeit der Tavianis, und dem voyeu­ris­ti­schen Genuss, den man empfinden kann, wenn man den Verbre­chern derart auf die Pelle rückt. Es mischen sich barocke Schur­ken­mo­no­loge mit authen­ti­schen Gesprächen zu einer boshaften Mischung. Hinzu kommt die Bild­wir­kung der Kulisse, also der realen Mauern des Gefäng­nisses: Beton und Stahl­gitter im bleiernen Grau des weichen Schwarz-Weiß von Tavianis Material. So begegnet man im Knast der ganzen italie­ni­schen Gesell­schaft, und im Nu erscheint alles als krimi­nelle Verei­ni­gung und Masken­ball.
So wird aus Shake­speares Stück, das man als radikal repu­bli­ka­ni­sches Drama, das zum gewalt­samen Wider­stand aufruft, ebenso verstehen kann, wie als Anklage gewalt­same Revolte, ein sehens­werter Kino-Dialog über Freiheit, über Macht und Gewalt.