Casino Royale

GB/USA/CZ 2006 · 145 min. · FSK: ab 12
Regie: Martin Campbell
Drehbuch: , ,
Kamera: Phil Meheux
Darsteller: Daniel Craig, Eva Green, Mads Mikkelsen, Judi Dench, Caterina Murino u.a.
Neudefinition einer Marke: Daniel Craig als 007

Gegen das Gesetz der Serie

James Bond kämpft gegen die böse Macht der Gewohn­heit

Es ist weit­ge­hend bekannt, dass große Firmen aufgrund ihrer Aktien einen gewissen Marktwert besitzen. Weniger geläufig ist jedoch, dass sie daneben auch noch einen soge­nannten Marken­wert haben, welcher beziffert, was die Marke bzw. der Marken­name bzw. der »Brand« von Google, Coca Cola, Mercedes und Co. wert ist. Je bekannter, je verbrei­teter und je beliebter eine Marke ist, um so höher liegt ihr (rein theo­re­ti­scher, zukünf­tige Erträge abschät­zender) Marken­wert.

In der Film­in­dus­trie spielt der Marken­wert in seinen viel­fäl­tigen Ausfor­mungen seit jeher eine wichtige Rolle und zeigt sich z.B. in den markanten Emblemen und Trailern der großen Film­stu­dios oder im soge­nannten Star­system Holly­woods. Wenn Julia Roberts 20 Millionen Dollar für einen einzigen Film erhält, dann eben nicht nur für ihre schau­spie­le­ri­sche Leistung (wenn es nur um diese ginge, gäbe es »güns­ti­gere« Schau­spie­le­rinnen) sondern vor allem für ihre werbe- und geschäfts­wirk­same Marke.

Eine weitere Bedeutung hat der Marken­wert bei Film­fort­set­zung, Film­se­rien oder der Verfil­mung von Fern­seh­se­rien (bis zu einem gewissen Grad auch bei der Verfil­mung von Büchern, Comics, Musicals, etc.).
Entschei­dend ist hier nur selten eine logische und adäquate Fort- bzw. Umsetzung der Vorlage, sondern die kommer­zi­elle Verwer­tung einer kultu­rellen Marke. Dafür reicht in der Regel die Übernahme der Grund­hand­lung, der wich­tigsten Charak­tere, einiger unver­kenn­barer Marken­zei­chen (Ausstat­tung, Design, Running Gags) und des Titel­songs und schon ist es weit­ge­hend egal, dass die Neuauf­lage inhalt­lich und stilis­tisch Licht­jahre von der Vorlage entfernt ist.

Eine der erfolg­reichsten Marken des Kinos war und ist in dieser Hinsicht James Bond, der gerade durch die Perfek­tio­nie­rung seines unver­kenn­baren Brands (Martinis, M, Q, Money­penny, Gadgets, Autos, Titel­se­quenz und -musik, Sprüche wie »Mein Name ist Bond, James Bond«...) die Verän­de­rungen von über 40 Kino­jahren und zahl­reiche perso­nelle Wechsel scheinbar mühelos über­standen hat.

Als nun James Bond in seinem neuesten Abenteuer in Casino Royale einige dieser alten Erken­nungs­merkmal über Bord warf oder besten­falls als ironi­schen Witz überleben ließ, kam das manch einem ähnlich verrückt vor, als wolle Coca Cola fortan sein Produkt mit einem neuen Schriftzug, in einem Tetrapack und unter dem Namen »Blubber Brause« verkaufen.

Tatsäch­lich aber ist das Vorgehen der Macher von Casino Royale keines­wegs unsinnig, sondern steht vielmehr in bester Bond-Tradition und sichert geschickt die Attrak­ti­vität und damit den Fort­be­stand der Serie.
Denn die Erfolgs­formel, die dem Bond-Mythos über all die Jahre geholfen hat, lautet scheinbar paradox: Laufender Wandel bei gleich­zei­tiger Konstanz.

Die äußer­li­chen Konstanten wie Wunder­auto oder geschüt­telte Martinis waren der verbin­dende Rahmen, in dem sich zum Teil erheb­liche stilis­ti­sche Verän­de­rungen voll­ziehen konnten ohne die erfolg­reiche Marke James Bond zu gefährden.
Ganz nebenbei entwi­ckelten sich die Bond-Filme so zu sehr präzisen Indi­ka­toren für allge­mein­kul­tu­relle und filmische Trends, was von Themen wie Welt­raum­fahrt bis Medi­en­macht und Remi­nis­zenzen vom Blax­ploi­ta­tion- bis zum Hongkong-Kino reichte. In Casino Royale stehen u.a. die beiden Trend­sport­arten Parkour (in der spek­ta­ku­lären ersten Verfol­gungs­jagd) und Poker, sowie die 9/11-Thematik und die Darstel­lung Afrikas als Herz der krimi­nellen Fins­ternis für dieses feine Gespür der allge­meinen Stim­mungs­lage.

Wichtiger aber noch als die Reaktion auf die wech­selnde Nach­rich­ten­lage ist die fort­wäh­rende Neuori­en­tie­rung an filmi­schen Standards, womit man an dem Punkt ist, an dem Casino Royale vermeint­lich gegen das Gesetz seiner Serie verstößt, sich in Wirk­lich­keit aber (wie sein smarter Held im Film) aus zahl­rei­chen Bedro­hungen gleich­zeitig befreit.

Denn lang war die Liste der Probleme, der sich die Bond-Serie gegenüber sah.
Zahl­reiche der Running Gags und Konstanten waren nach der zwan­zigsten Version einfach verbraucht. Man hatte sie erst ernst genommen, dann ironi­siert, dann wieder ernst genommen, dann selber parodiert, schließ­lich zu Tode geritten.
Ähnlich erging es James Bond selber, der mal härter, mal roman­ti­scher, mal sati­ri­scher, mal zynischer, mal intel­li­genter sein durfte und trotzdem immer blasser wurde.

Inhalt­lich drohten poli­ti­sche und soziale Verän­de­rungen, die neuen Verhält­nisse zwischen Männern und Frauen und die rasende tech­ni­sche Entwick­lung den guten alten James ins Lächer­liche abzu­drängen.
Ohnehin in der lächer­li­chen Ecke veror­teten zahl­reiche Parodien (allen voran Austin Powers) den Mythos Bond, wobei die Serie selbst oft genug zu ihrer Ridi­kü­li­sie­rung beige­tragen hat.

Und schließ­lich schlief auch die Konkur­renz nicht.
Im Action­film­genre war Bond schon lange nicht mehr das Maß aller Dinge und attrak­tive Allround­helden wie Ethan Hunt oder Jason Bourne wilderten ganz unver­hohlen im Revier von 007.

Die Macher von Casino Royale haben diese Heraus­for­de­rungen erkannt und begegnen ihnen mit einer vorsich­tigen Entrüm­pe­lung und vor allem (einmal mehr) einer sehr geschickten Ausrich­tung an aktuellen Film­trends wie:

- mehr Realität. Als Folge davon ist Casino Royale physi­scher, härter, brutaler und schmerz­hafter. James Bond wird mensch­li­cher gezeichnet, ist deshalb durchaus (in jeder Hinsicht) verwundbar, nicht mehr so allmächtig und allwis­send wie gewohnt.
Auch greift hier kein abstrakter Super­schurke in einem ausge­bauten Vulkan­krater nach der Welt­herr­schaft, sondern sorgen einige sehr nach­voll­zieh­bare Böse­wichte für ein bedeutend kleineres und deshalb bedeutend bedroh­li­cheres Schre­ckens­sze­nario.

- mehr Ernst­haf­tig­keit. Mit Witz und Ironie wird wieder sparsamer bzw. bewusster umge­gangen und wenn sie einge­setzt werden, dann entweder sehr sophis­ti­cated oder am Rand zum Sarkasmus, auf alle Fälle weit entfernt von der flapsigen Eigen­par­odie früherer Filme.

- mehr Hinter­grund. Nachdem jahr­zehn­te­lang Fort­set­zungen und Sequels im Kino dominiert haben, will nun jedermann sehen, »wie alles begann« und Prequels erfreuen sich großer Beliebt­heit.
Im Gegensatz zu Batman Begins, der unter ähnlichen Vorzei­chen aus seiner Seri­en­sack­gasse zu entkommen versuchte, lässt Casino Royale bei seiner Herkunfts­for­schung zum Glück noch genügend Fragen offen, um seinem Helden eine Aura des Unge­wissen zu belassen.

Wie geschickt der neue Bond so zwischen filmi­scher Erneue­rung und gleich­zei­tiger Beibe­hal­tung bzw. Umge­stal­tung seines Mythos balan­ciert, zeigt die vielfach falsch darge­stellte Szene, in der James die unver­meid­liche Frage eines Barkee­pers nach dem »geschüt­telt oder gerührt« mit einem unfreund­li­chen »Do I look like I give a damn?!« beant­wortet.

Diese Szene zeigt nicht den »unfer­tigen« Bond, dem es noch egal ist, wie sein Martini gemacht wird und sie ist auch kein Beleg dafür, dass hier mit alten Bond-Tradi­tionen radikal gebrochen wird (wer dies oder ähnliches behauptet, hat große Teile des Films verschlafen und/oder nicht verstanden).

Vielmehr demons­triert diese kleine Szene, dass es in der Welt des James Bond auch weiterhin geschüt­telte Martinis geben wird, nur dass sie fortan nicht mehr zu den tragenden Säulen des Films zählen werden und dass der neue Bond in bestimmten drama­ti­schen Situa­tionen, in denen es um Leben und Tod geht, andere Sorgen hat, als die Art und Weise, wie sein Drink gemischt wird.

Casino Royale gelingt somit eine wichtige Neude­fi­ni­tion der Marke James Bond, der sich in Zukunft wohl weniger durch sein Auto, sein Getränk und seine Mitar­beiter, sondern mehr durch seinen zeitlosen Charakter definiert.
Und nur so kann das verrückte Vorhaben gelingen, einen Film, der den Beginn einer 1962 gestar­teten Filmserie darstellt, in der Jetztzeit spielen zu lassen. Entschei­dend ist eben nicht das Modell des Aston Martins, der durchs Bild fährt, sondern wer ihn lenkt und das war, ist und wird (immer) sein: Bond, James Bond.

PS: Noch radikaler mit denen Gesetzen der Serie brach in diesem Jahr Miami Vice. Michael Mann stellt hier die in Hollywood üblichen Regeln zur Seri­en­ver­fil­mung komplett auf den Kopf und gelangt dadurch zu einem bemerkens- und sehens­werten Ergebnis.
Auch was Stil bzw. Style, Drama­turgie, visuelle Umsetzung und Trend­be­wusst­sein betrifft, bilden Miami Vice und CASINO ROYALE ein überaus span­nendes Doppel.