22.10.2009

»Ich möchte das wahre Gesicht der Liebe zeigen!«

Thirst
Das andere Gesicht der Liebe: Thirst
(Foto: MFA/24 Bilder)

Interview mit Park Chan-wook über seinen Film Thirst

Spätes­tens seit Sympathy for Mr. Vengeance (2002) gehört der Koreaner Park Chan-wook (Oldboy, Joint Security Area) zu den inter­es­san­testen Regis­seuren des Weltkinos. Jetzt kommt sein neuester Film Thirst ins Kino.
Mit Park Chan-wook sprach Rüdiger Suchsland.

artechock: Mr. Park, Ihr Film basiert zumindest lose auf Zolas Thérèse Raquin. Bereits Oldboy ging auf den Graf von Monte­christo zurück. Was verbindet Sie mit der europäi­schen Literatur aus dem 19. Jahr­hun­dert?

Park: Meine Inspi­ra­tion ist nicht nur die europäi­sche Literatur aus dem 19. Jahr­hun­dert, auch korea­ni­sche Literatur aus dem 20. Jahr­hun­dert. Es könnte auch die indische sein. Ich lese einfach gern.

artechock: Ist Thirst ein Liebes­film?

Park: Ja, unbedingt! Aller­dings einer, der die Liebe realis­tisch darstellt. Das verbindet mich mit den Roman­au­toren des 19. Jahr­hun­derts, die ich schätze, und von denen ich mich gern inspi­rieren lasse: Ich möchte die Liebe realis­tisch darstellen. Das heißt, dass ich diese ganze über­trie­bene Senti­men­ta­lität und Romantik zu vermeiden suche, die vielen Klischees, die, was Liebe angeht, im Umlauf sind. In einem Film wie Thirst möchte ich das wahre Gesicht, das andere Gesicht der Liebe darstellen: Dass man nämlich durch die Liebe etwas erreichen kann, auch jemanden ausnutzen kann, dass Liebe immer egois­tisch ist.

artechock: Bevor Sie Regisseur wurden, haben Sie Philo­so­phie studiert. Mit was haben Sie sich beschäf­tigt?

Park: Mit Europäern. Ich möchte mich nicht so gern auf bestimmte Philo­so­phen oder Rich­tungen festlegen. Aber ich habe viel fran­zö­si­sche Philo­so­phie studiert. Und deutsche: Kant, Hegel, Nietzsche natürlich, aber zum Beispiel auch Feuerbach. Insbe­son­dere seine Reli­gi­ons­phi­lo­so­phie. Aber Namen sind gar nicht so wichtig. Die Haltung und Einstel­lung ist entschei­dend. Ich mag es, wenn sich jemand lange und tief mit einer Sache beschäf­tigt, bis zur Wurzel eines Problems vordringt, radikal ist. Das versuche ich natürlich auch in meinen Filmen.

artechock: Auch ihre Haupt­figur, der Priester ist radikal...

Park: Unbedingt. Er versucht Unver­ein­bares zu verbinden, und das gelingt ihm doch ein bisschen – durch seine bloße Willens­kraft.

artechock: Sie haben bisher vor allem eine Repu­ta­tion als Regisseur für gewalt­tä­tige Rache­thriller und Horror­filme. Wie sehen Sie sich selbst?

Park: Nun, bestimmt nicht als Horror­film­re­gis­seur. Aber natürlich gibt es in meinen Filmen viel Gewalt, es wäre Unsinn, das zu leugnen. Aber das ist ande­rer­seits nur ein einziges von vielen Elementen meiner Filme. Es ist bedau­er­lich, dass man sich oft ein bisschen zu stark auf dieses eine konzen­triert. Und wenn man mich schon als »Gewalt­re­gis­seur« tituliert, sollte man bitte auch darauf achten, wie ich in meinen Filmen Gewalt benutze. Es geht nicht um Genuss und Erleich­te­rung. Wer sich meine Filme deshalb ansieht, wird nichts finden. Es gibt dort keine »schöne Gewalt«. In diesem Sinn sind solche allge­meinen Kate­go­rien selbst eine Gewalttat.

artechock: Thirst ist ein Vampir-Film. Irgendwie trifft das zu. Aber zugleich wirkt diese »Schublade« auch sehr unan­ge­messen, um zu beschreiben, was Sie tun: Der Film spielt mit vielen Stilen und Atmo­sphären. Stimmt es, dass Sie Thirst schon sehr lange geplant hatten?

Park: Ja, das stimmt. Seit zehn Jahren, wenn auch natürlich nicht ohne Unterlaß. Aber da war noch nicht alles beisammen, was Sie jetzt auf der Leinwand gesehen haben. Was mir sehr früh einfiel, waren zwei Szenen: Die ganz am Anfang, in der der Priester ein Vampir wird. Und jene, in der seine Geliebte, die Frau, auch zum Vampir wird. Eines Tages fiel mir dann das Buch von Emile Zola, Thérèse Raquin, in die Hände. Diese Geschichte fügte alles zusammen, was mir fehlte. Da begann ich dann, wirklich am Script zu arbeiten.
Zu den Vampir-Filmen: Es gibt natürlich viele verschie­dene. Ihnen allen gemeinsam ist ein gewisser Roman­ti­zismus. Der fehlt Thirst, scheint mir. Der Film ist realis­ti­scher, körper­li­cher. Fantasien und Realismus stehen hier in Konflikt.

artechock: Neben der Liebes­ge­schichte geht es auch um einen Priester, der seinen Glauben verliert. Warum hat sie das inter­es­siert?

Park: Man kann es so sehen, wie sie sagen, aber au seiner anderen Perspek­tive hat er keines­wegs den Glauben verloren. Im Gegenteil: Er strengt sich sehr an, um beides, seinen Glauben und seine Identität als Vampir, zusam­men­zu­bringen. Das sind schon sehr entge­gen­ge­setzte Elemente. Es ist wichtig, diese Anstren­gung zu erkennen. Denn sie ist das Rückgrat des Films. Aus ihm entsteht die Energie der Geschichte, aber auch ihre komischen Aspekte.