12.11.2015

Be Careful

Ménage à trois mit Lubitsch-Touch: Design for Living
Ménage à trois mit Lubitsch-Touch: Design for Living

»Hollywood ohne Schranken«: Die Reihe zur Pre-Code-Ära Hollywoods im Münchner Filmmuseum geht in die letzte Runde

Von Ulrich Mannes

Zum Beispiel Employees' Entrance von Roy del Ruth. Der »Pre-Code-Casanova« Warren William spielt darin einen leitenden Ange­stellten, der einen Kauf­haus­kon­zern erfolg­reich durch die Welt­wirt­schafts­krise führt. Seine Methoden könnte man als gewis­senlos bezeichnen: »Er macht aus allem und jedem Kleinholz, was in seine Reich­weite kommt: ange­fangen bei seinen Vorge­setzten über seine hart arbei­tenden Abtei­lungs­leiter bis hin zu den Ziel­scheiben seiner sexuellen Begierde.« William gibt den Sozi­al­dar­wi­nisten und Frau­en­hasser, und doch bleibt er der Held des Films. Mit einer waghal­sigen Intrige gegen den eigenen Vorstand schafft er es, seine Entmach­tung zu verhin­dern, so kann er seinen rabiaten Erfolg­kurs fort­setzen und auf Massen­ent­las­sungen verzichten. Auf der Strecke bleiben zwei seiner Schütz­linge: Wallace Ford, den er eigent­lich als seinen Nach­folger heran­ziehen wollte, und dessen Frau Loretta Young, die er sich in einem schwachen Moment gefügig gemacht hat. Fast enden die beiden als Mörder-Selbst­mör­der­paar, doch der glimpf­liche Ausgang ihrer Affekt­hand­lungen bringt sie zur Einsicht, ihr gemein­sames Glück fortan ganz fern von diesem Ausbeuter zu suchen. Genau besehen lässt Employees' Entrance den Zuschauer mit zwei konkur­rie­renden Happy Endings zurück.

»Pre-Code«, das ist unter Cineasten in den letzten Jahr­zehnten gleichsam zu einem Erken­nungs­zei­chen (zum Beispiel in diversen You-Tube-Kanälen) geworden, als Begriff für eine film­his­to­ri­sche Periode und zugleich für eine Art Meta-Genre, das sich in den Wirr­nissen der frühen 1930er Jahre, also in den Anfängen des Tonfilms vorüber­ge­hend heraus­ge­bildet hat. Der britische Film­his­to­riker William K. Everson schrieb: »Der Ton – so dachte man offen­sicht­lich in Hollywood – befreit den Film von seiner Künst­lich­keit; also hatten die Filme fortan 'wahr' und 'ehrlich' zu sein. Für kurze Zeit wich man ab von der breiten Straße des Genres, aus denen die Stumm­film­pro­duk­tion mehr­heit­lich bestanden hatte: eska­pis­ti­sche Abenteuer, witzige Komödien und roman­ti­sche Liebes­ge­schichten. Sollten Filme 'ehrlich' sein, so mussten sie die Wirk­lich­keit der Zeit damals wider­spie­geln, also Wirt­schafts­krise, Arbeits­lo­sig­keit, Hunger, Prosti­tu­tion, Obdach­lo­sig­keit und Drogen­sucht.«

Die Erzeug­nisse dieser Periode (1930 bis 1934) waren also um einiges wirk­lich­keits­näher und frei­zügiger als die Filme, die man gemeinhin mit dem klas­si­schen Holly­wood­kino verbindet. Und doch ist der Begriff »Pre-Code« unpräzise, denn ganz ohne mora­li­sches Regelwerk ließ sich mit der Film­in­dus­trie kaum je ein Staat machen. Auf Druck vor allem der Kirchen und der Jugend­schützer ist das Regelwerk schon in der Stumm­fil­mära formu­liert worden, initiiert vom MPPDA, dem bis heute exis­tie­renden natio­nalen Verband der Produ­zenten und Verleiher. Unter der Ägide des Sprechers Will Hays kam dann ein Vorschrif­ten­ka­talog mit drei Dutzend »Don'ts and Be Carefuls« heraus, der den Ärger mit den Moral­wäch­tern mini­mieren und einer staat­li­chen Zensur zuvor­kommen sollte. Da diese frei­wil­lige Selbst­kon­trolle aber zunächst nur lax angewandt wurde, arti­ku­lierten sich Sex, Gewalt und Unmoral in so eindeu­tigen Anspie­lungen, daß diese Filme mit ihrer »Pre-Code-Sinn­lich­keit« eben eine Klasse für sich bilden. Erst ab 1934 mit der rigorosen Durch­set­zung des Codes unter einem neuen Ober­zensor war Schluß mit all den Frivo­litäten: die »Goldene Studio-Ära« kündigte sich an.

Im Münchner Film­mu­seum geht dieses Woche­n­ende die Filmreihe »Hollywood ohne Schranken« zu Ende, die einen durchaus reprä­sen­ta­tiven Quer­schnitt dieser Ära geboten und so gut wie alle Genres bedient hat: Gangs­ter­dramen, Komödien, Musicals, Horror- und Histo­ri­en­filme. Es waren sogar ein paar Klassiker darunter, King Kong, Dr. Jekyll and Mr. Hyde, Duck Soup (Marx-Brothers) oder das Al-Capone-Schlüs­sel­drama Scarface. Zu den High­lights zählte Victor Flemmings Red Dust, in dem man Clark Gable als Betreiber einer Kaut­schuk­plan­tage erlebt, der sich im Dschungel von Indochina auf eine »unsitt­liche« Drei­ecks­be­zie­hung mit Jean Harlow und Mary Astor einläßt. Oder The Sign of the Cross von Cecil B. DeMille, eigent­lich ein dröges christ­li­ches Erbau­ungs­drama, aus dem DeMille dank schön ausge­spielter Orgi­en­se­quenzen und einer abwechs­lungs­rei­chen Christen-Hinrich­tung im Circus Maximus ein unver­gleich­li­ches Spektakel machte. Dominiert wurde die Pe-Code-Ära freilich von den rasanten Sozi­al­dramen, der Warner-Brothers, die sich den Wahl­spruch »Pictures Snatched from Todays Headlines« zu eigen machten. Z.B. mit dem oben beschrie­benen Employees' Entrance, oder auch mit Night Nurse von William A. Wellman, in dem Barbara Stanwyck als Kran­ken­schwester einen verbre­che­ri­schen Arzt, der zwei Kinder wegen einer Erbschaft langsam verhun­gern lasen will, zusammen mit einem smarten Boot­legger zur Strecke bringt. Der eigent­liche Höhepunkt der Reihe war ein Vortrag des Kurators Mike Mashon (von der Libery of Congress), der restau­rierte bzw. rekon­stru­iere Fassungen zweier Warner-Filme mitbrachte: A Modern Hero (der einzige ameri­ka­ni­sche Film von G. W. Pabst) und Baby Face (von dem unbe­kannten Alfred E. Green), zwei schwin­del­erre­gende Aufsteiger-Geschichten, wie sie nur in dieser Ära entstehen konnten.

Dieses Woche­n­ende nun lässt das Film­mu­seum seine Reihe entspannt ausklingen mit den Komödien-Klas­si­kern Design for Living (Ernst Lubitsch), Jewel Robbery (William Dieterle) und I’m No Angel (mit Mae West), bei denen die »Pre-Code-Sinn­lich­keit« vor allem in geist­rei­chen Dialogen zu finden ist. Gleichsam als Apotheose der Pre-Code-Ära wartet schließ­lich am Sonntag, dem 22.11., das Busby Berkely-Musical Gold Diggers of 1933 auf, das die Zustände der Depres­sion ganz offensiv mit einer waghal­sigen Revue thema­ti­siert und ein »toll­wü­tiges Feuerwerk unbe­re­chen­barer Visionen entfaltet«.

Lektü­re­emp­feh­lung: Der Katalog zur großen Viennale-Retro »Before the Code« 1996.
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