23.04.2015

Das nackte Überleben

LAUF JUNGE LAUF
Dem Tod davonlaufen: Lauf Junge lauf von Pepe Danquart

Die Jüdischen Filmtage 2015 zeigen mit aktuellen Filmen, wie wichtig es ist, Mut und Zivilcourage zu beweisen

Von Dunja Bialas

»Wer auch immer ein einziges Leben rettet, der ist, als ob er die ganze Welt gerettet hätte.« – Talmud

Überleben, Anti­se­mi­tismus, Identität. 70 Jahre nach Befreiung der Konzen­tra­ti­ons­lager und Been­di­gung des Zweiten Welt­kriegs widmen sich die 5. Jüdischen Filmtage München mit ausge­wählten Filmen der Frage, wie Menschen den Krieg und die Konzen­tra­ti­ons­lager des NS-Regimes überleben konnten.

Eröffnet wird mit der span­nenden Verfil­mung des gleich­na­migen Jugend­buch­best­sel­lers Lauf Junge lauf von Pepe Danquart. Der vor allem für seine Doku­men­tar­filme bekannte Regisseur (Joschka und Herr Fischer, Höllen­tour) hat aus der Sicht des neun­jäh­rigen Srulik dessen Flucht aus dem Warschauer Ghetto als span­nendes Drama insze­niert. Das Ende des Krieges will Srulik im Wald abwarten, auf sich gestellt, ernähren will er sich von der Natur. Der Winter und die Einsam­keit aber bringen ihn zu einer Bäuerin, die ihm beibringt, seine Identität zu verleugnen, um unerkannt in der Dorf­ge­mein­schaft zu überleben. Jetzt ist er der katho­li­sche Waisen­junge Jurek. Die Jüdischen Filmtage zeigen den Film erstmals im polnisch/jiddi­schen Original mit deutschen Unter­ti­teln (Montag, 27.04., 19 Uhr, Vortrags­saal der Biblio­thek im Gasteig)

Das ameri­ka­ni­sche Ehepaar Kraus zeigte noch vor Beginn des Zweiten Welt­kriegs, was Zivil­cou­rage und Enga­ge­ment bewirken können. Fünfzig jüdischen Kindern retteten sie das Leben, als sie 1939 von Phil­adel­phia nach Wien reisten, um diese in die USA zu bringen. Der Jour­na­list Steven Pressman, der das Ehepaar ausfindig machte, befragt sie in der HBO-Doku­men­ta­tion 50 Children: The Rescue Mission of Mr. And Mrs. Kraus in Gesprächen zu ihrem außer­ge­wöhn­li­chen Mut, sich gegen das Nazi-Regime zu stellen und das Unmög­liche zu wagen. Pressman hat nun auch ein Buch veröf­fent­licht, mit eindring­li­chen Zeug­nissen von 37 über­le­benden Kindern und dem Origi­nal­ma­nu­skript der Erin­ne­rungen von Eleanor Kraus. Hier eine Rezension des „Wall Street Journal“, die am Woche­n­ende erschien. (Dienstag, 28.04., 18 Uhr, Vortrags­saal der Biblio­thek im Gasteig, engl. OV)

Eine spannende Geschichte zu erzählen weiß auch der Doku­men­tar­film Schnee von gestern der israe­li­schen Regis­seurin Yael Reuveny, die heute in Berlin lebt. In einer sehr persön­li­chen Annähe­rung geht die Regis­seurin einem Geheimnis in ihrer eigenen Familie nach. Michla, die Groß­mutter der Filme­ma­cherin, und Feiv’ke, deren Bruder, sind die einzigen Über­le­benden der jüdischen Familie Schwarz aus Wilna. Nach dem Krieg ging Michla nach Israel, Bruder Feiv’ke bleibt als »Peter« an dem Ort, wo er im Arbeits­lager gewesen war. Die Regis­seurin sucht in ihren Fragen, die sie an ihren Großonkel stellt, dabei auch nach ihrer eigenen Identität, eine Suche, die sie schließ­lich in das Land zurück­brachte, das ihre Groß­el­tern ermorden wollte. Das Schicksal setzt sich fort, über Gene­ra­tionen hinweg. (Donnerstag, 30.04., 20 Uhr, Vortrags­saal der Biblio­thek im Gasteig, in Anwe­sen­heit der Produ­zentin)

Mit einem Film wenden sich die Jüdischen Filmtage auch der Gegenwart zu. Der Nahost-Thriller Bethlehem von Yval Adler erzählt die unge­wöhn­liche Beziehung zwischen dem israe­li­schen Geheim­dienst­of­fi­zier Razi und seinem paläs­ti­nen­si­schen Infor­manten Sanfur, selbst Bruder eines gesuchten paläs­ti­nen­si­schen Unter­grund­kämp­fers, den Razi aufspüren möchte. Auch hier geht es ums nackte Überleben, auf paläs­ti­nen­si­scher Seite. Ein außer­ge­wöhn­li­cher Film zum Nahost-Konflikt, der diesen als unauf­lös­baren Double-Bind insze­niert, und mit dem sich die Jüdischen Filmtage als eine Veran­stal­tung empfehlen, die genau hinsieht und der Komple­xität von Geschichte und Politik nachgeht. (Dienstag, 28.04., 20 Uhr, Vortrags­saal der Biblio­thek im Gasteig, hebr./arab. mit dt. UT)

Jüdische Filmtage
27.-30.04.2015, Vortrags­saal der Biblio­thek im Gasteig. Rosen­hei­merstr. 5, 81667 München
Die Veran­stal­tung der Gesell­schaft zur Förderung jüdischer Kultur und Tradition wird gefördert vom Kultur­re­ferat

Zum Weiter­lesen empfiehlt Artechock: Die Emigra­tion Film­schaf­fender während der Nazizeit (Hg. vom deutschen Film­portal)