26.09.2013

Lieder von Himmel und Hölle

Aqui y alla
Schnipp, schnipp, und immer schön im Rhythmus bleiben:
Aqui y alla

Lieder, die Geschichte machen und Seelen heilen: Die Lateinamerikanischen Filmtage in München widmen sich der Musik des südamerikanischen Kontinents

Von Dunja Bialas

Nächstes Jahr werden alle von Brasilien reden. Es wird um die Copaca­bana gehen, um Fußball, natürlich, und um Salsa, Samba und Rumba. Den Rest der latein­ame­ri­ka­ni­schen Länder wird bei der Aufmerk­sam­keit, die Brasilien zuteil wird, gerne mal vergessen oder vernied­licht. In Ecuador bewundert man das »Tal der Hundert­jäh­rigen«, in dem die ältesten Menschen der Welt leben, bei Mittel­ame­rika fallen einem immer nur die Inkas und Machu Picchu und die Maya ein – nicht zuletzt wegen der aber­gläu­bi­schen Welt­un­ter­gangs­sze­na­rien, die letztes Jahr von den Holly­wood­block­bus­tern verbreitet wurden. Oder man denkt an das Negative: der »War on Drugs« der USA wird v.a. auf dem südlichen Kontinent ausge­fochten. Gerade wird in Kolumbien, dem Land mit dem größten Coca-Anbau, ein Kongress über illegale Drogen abge­halten. Aus Mexiko kam dieses Jahr der große Drogen­mafia-Schocker Narco Cultura, eine Doku­men­ta­tion, die zeigte, wie brutal das Morden in der Mafia-Szene mitt­ler­weile geworden ist, und was für eine Gegen­kultur daraus entstanden ist: von ihrem Rumpf abge­trennte Köpfe, die in der Land­schaft herum­liegen, sind der Stoff für die gerappten Lieder über die »Narco Cultura«, die »Dealer-Kultur«.

Die Latein­ame­ri­ka­ni­schen Filmtage, die am kommenden Samstag beginnen, wollen weg von den großen Ausru­fe­zei­chen, mit denen man die latein­ame­ri­ka­ni­schen Länder versieht. Drogen, Welt­un­ter­gang und Hundert­jäh­rige als schlag­zei­len­träch­tige Themen lassen sie links liegen. Die Leite­rinnen Samay Claro und Caro Piotrowski setzen auf die stillen Töne des Lebens auf dem südlichen Kontinent. Im Mittel­punkt ihrer Filme über Alltag, Hoff­nungen, Träume und Liebe steht dieses Jahr die Musik, in der sich all dies ausdrückt.

»Pánico« heißt eine der heißesten Expe­ri­mental-Rock-Bands aus Chile. Sie liebt die Geis­ter­s­tädte der Atacama-Wüste im Norden Chiles mit den verlas­senen Minen und Indus­trie­bauten aus der Salpe­ter­zeit Anfang letzten Jahr­hun­derts. Hier findet die Band den Stoff für ihre Lieder, und eine Land­schaft, die ihren Seelen­zu­stand wider­spie­gelt. In dem Eröff­nungs­film der Latino-Filmtage Pánico: La banda que buscó el sonido debajo (The Band that Met the Sound Beneath) nehmen sie uns mit auf ihre Reise in die Städte der Wüste. Wir hören, wie aus Sand Sound entsteht, ein unter­schwel­liger, betö­render Klang. Die Band Pánico ist bei der Vorfüh­rung anwesend und gibt im Anschluss ein Live-Konzert. Das sollte man sich nicht entgehen lassen! (Sa., 28.09., 18:00 Uhr, Vortrags­saal der Biblio­thek, Konzert ab 20:00 Uhr, ebd.)

Um der Sehnsucht Ausdruck zu verleihen, gibt es die Musik. In Liedern sehnt man sich hin zur Geliebten, man wünscht sich an einen anderen Ort, man träumt von einem besseren Leben. Nichts eignet sich so gut wie Lieder, um Poesie und Politik zu vereinen.

Davon wusste auch Violeta Parra. Sie war die Frontfrau der musi­ka­li­schen Bewegung des »Nueva Canción Chilena« der 50er und 60er Jahre, die auf gesell­schaft­liche Miss­stände aufmerksam machte. Der Spielfilm Violeta se fue a los cielos (Violeta Parra) lässt die Zeit, in der Folklore politisch wurden, noch einmal aufleben. (So., 29.09., 18:00 Uhr, VSB, und Mi., 02.10., 18:30 Uhr, ebd.)

Pedro ist am Ende seiner großen Träume. Jahrelang hat er in den USA gear­beitet, jetzt kehrt er heim zu seiner Familie nach Mexiko. Er will nur noch eins: eine Band gründen und endlich wieder leben. Die Realität aber stemmt sich gegen seine einfachen Lebens­traum. Der Gewinner der »Semaine de la Critique« von Cannes 2012 thema­ti­siert in leisen Zwischen­tönen ein wichtiges Thema der mexi­ka­ni­schen Gegenwart, das der zerbro­chenen Träume und dem Ankommen in der Wirk­lich­keit. (So., 29.09., 11:00 Uhr, und Do., 03.10., 20:30 Uhr, beides VSB)

Vermut­lich gibt es – außer dem Fado – keine geeig­ne­tere Musik als den Tango, um zum Ausdruck zu geben, dass man sich in Sehnsucht verzehrt. Der Tango entstand, als Ende des 19. Jahr­hun­derts Südeu­ropäer, ange­trieben von wirt­schaft­li­cher Not, nach Südame­rika emigrierten. In ihren Liedern sangen sie von der Sehnsucht nach ihrer alten Heimat, von ihrem Leid und ihrer Trauer. Später flohen sie vor Diktatur und Verfol­gung zurück nach Europa, und wieder war es der Tango, der ihrer Sehnsucht Ausdruck gab.

Das »El Chino« in Buenos Aires war einmal die berühm­teste Tango­lokal Argen­ti­niens. Der Doku­men­tar­film El último aplauso (Der letzte Applaus) besucht die verges­senen Tango­größen und geht mit ihnen auf Zeitreise. (Di., 1.10., 18:30 Uhr, VSB)

Weniger bekannt als der Tango ist der Danzón, der in Mexiko höchst populär ist. In dem Spielfilm von María Novaro, der den Tanz gleich im Titel trägt, Danzón, können wir rasante Contre-Danse-Rhythmen kennen­lernen und mit ihnen ein ganz und gar neues Frau­en­bild des heutigen Mexiko entdecken. (Do., 03.10., 18:00 Uhr, und Fr., 04.10., 18:30 Uhr, beides VSB)

Zum ersten Mal finden die Latein­ame­ri­ka­ni­schen Filmtage in einer zweiten Spiel­stätte statt. Im Werk­statt­kino werden Filme über die Latino-Musik­szene der 50er und 60er Jahre gezeigt: Nosotros, la música vereint die histo­ri­schen Musik­größen Kubas bei ihren Auftritten in Bars, Kirchen und auf Straßen­festen zu einem atem­be­rau­benden Videoclip. (Mo., 30.09., 20:30 Uhr, Werk­statt­kino) Der Doku­men­tar­film Yo soy, del Son a la Salsa steht schließ­lich die kari­bi­sche Musik ganz im Vorder­grund, mit Auftritten von Issac Delgado, El Trio Matamoros, Ismael Rivera, Tito Puento und anderen. (Mi., 02.10., 20:30 Uhr, Werk­statt­kino)

Latein­ame­ri­ka­ni­sche Filmtage München / Festival de Cine Lati­no­ame­ri­cano. 28.September -04. Oktober 2013, Vortrags­saal der Bibiothek im Gasteig und Werk­statt­kino München.
Eintritt 7 Euro (Gasteig) bzw. 5 Euro (Werk­statt­kino), Eröff­nungs­ver­an­stal­tung inkl. Konzert 8 Euro.
Eine Veran­stal­tung der Filmstadt München e.V.
Mehr Infor­ma­tionen gibt es hier.