22.09.2011

Das Kino: Rette es, wer kann!

Über uns das All
Über uns das All
mit der großartigen Sandra Hüller

Letzte Woche gab es ein Treffen der »Arbeitsgruppe Arthouse« im Münchner Kulturreferat, zu dem auch Artechock eingeladen war. Es ging darum, wie man den Arthouse-Kinos mehr Aufmerksamkeit verschaffen kann, um sie zu stärken. Bevor wir in die konkrete Umsetzung gehen: Hier ein paar Überlegungen, warum es so wichtig ist, sich nicht nur für Filme einzusetzen, sondern auch für die Kinos, die sie spielen.

Von Dunja Bialas

Rüdiger Suchsland hat sich mal wieder aufgeregt. Hier, an dieser Stelle, gerade mal eine Woche ist es her. In Folge 38 seiner Cinema Moralia mit den bisweilen wohltuend bärbeißigen Betrach­tungen zum aktuellen Kino­ge­schehen mokierte er sich über die Kritik eines Kollegen zu Über uns das All. Uwe Mies über den Film, das sei hier noch einmal zitiert: »Kopf­last­kino ... Schom­burgs Film verrät eine Menge Talent, aber kein Gespür, das legitime Unter­hal­tungs­be­dürfnis des Zuschauers unterhalb elitärer Auto­ren­mess­latten zu befrie­digen. Statt sinn­li­chen Nerven­kit­zels im Stil von Hitchcock, Truffaut oder DePalma gibt es eine akade­mi­sche Versuchs­an­ord­nung nach Berliner Schule.«

Suchs­lands Replik darauf: »Warum sollte man als Kritiker eigent­lich das 'Unter­hal­tungs­be­dürfnis des Zuschauers' gegen ›elitäre Auto­ren­mess­latten‹ und ›akade­mi­sche Versuchs­an­ord­nung‹ vertei­digen? Ange­nommen mal, das stimmte überhaupt und wäre keine depperte Phra­sendre­scherei – geht es denn immer um Unter­hal­tung? Kritik sollte Vers­tändnis für das Schwie­rige, Kompli­zierte wecken, für das, was sich nicht von selbst versteht. Kritik sollte Filme gegen das Publikum und nicht das Publikum gegen Filme vertei­digen. Schon gar nicht irgendein 'Unter­hal­tungs­be­dürfnis' gegen 'Akade­mi­sches'; was ja sowieso nur ein Codewort ist für intel­lek­tuell. Damit wird dann 'Unter­hal­tung' unter der Hand zum Codewort für unin­tel­lek­tuell, womit man ihr auch keinen Gefallen tut.«

Diese kleine Ausein­an­der­set­zung zeigt bestechend die Demar­ka­ti­ons­linie auf, an der wir uns als Kritiker und Zuschauer fort­wäh­rend befinden: Unter­hal­tung vs. intel­lek­tu­elle Spaß­feind­lich­keit, Kriti­ker­wesen vs. die Abstim­mung an der Kinokasse durch das Publikum. Hier der isolierte Kopf, dort die Masse der Füße. Das exis­tie­rende Phänomen, dass von der Kritik gut bespro­chene Filme an der Kinokasse oftmals unter­gehen, hat Günter Rohrbach, Ex-Präsident der Deutschen Film­aka­demie, 2007 zu einem Artikel im »Spiegel« hinreißen lassen, mit der Über­schrift: »Das Schmollen der Autisten«. Kritiken werden gar nicht gelesen, so lautete damals sein Fazit über die »eitlen Selbst­dar­steller«, die mit »geballtem Missmut in der Dunkel­kammer« sitzen. Große Filme (gemeint sind etat­träch­tige Produk­tionen) gingen nicht unter, nur weil die Kritik sie verreißt. Und kleine Filme (gemeint sind minder-etaige Produk­tionen) seien nicht besser besucht, nur weil die Kritiker sie lobten. Deshalb habe der Film­kri­tiker auch keine Exis­tenz­be­rech­ti­gung.

Trotz dieses offen­sicht­li­chen Hasses, der hier einer ganzen Berufs­gruppe entge­gen­ge­schleu­dert wird, bleibt die Grund­frage inter­es­sant: Wieso eigent­lich haben es die nicht-main­strea­m­igen Filme so schwer an der Kinokasse? Nicht-main­streamig: nennen wir sie Arthouse-Filme. Und die dazu­gehö­renden Abspiel­stätten Arthouse-Kinos. Die Antwort liegt irgendwie auf der Hand, und da fragt man sich schon, wieso ein Günter Rohrbach niemals öffent­lich über Produk­ti­ons­be­din­gungen, Werbe­etats und Anzahl der Film­ko­pien beim Filmstart nach­ge­dacht hat. Und dass schiere Omni­prä­senz zwangs­läufig zu einem größeren Response führt, ja auch führen muss, denn sonst wäre der Aufwand nicht zu recht­fer­tigen.

Ein Beispiel aus den jüngsten Kino-Charts: Auf Platz 1 stand noch vorletzte Woche Die drei Muske­tiere. Der inter­na­tio­nalen Produk­tion wurden allein vom DFFF (Deutscher Film­för­der­fonds) 7,5 Millionen Euro an »Förder­summe« zuge­schossen. Hier gehe es um »die Auslas­tung der Studios und film­tech­ni­scher Betriebe und entspre­chende Arbeits­plätze in Deutsch­land«, so das Bundes­mi­nis­te­rium für Wirt­schaft und Tech­no­logie.

Nur zum Vergleich: besagter Film, der von Uwe Mies mies­ge­macht wurde, erhielt die Förderung von 400.000 Euro (Film­stif­tung NRW). Gut, hier wurde ein Filmdebüt eines Hoch­schul­ab­sol­venten finan­ziert. Gut, die Inhalts­be­schrei­bung des Films liest sich eher spaß­feind­lich: Da ist die Rede von Selbst­mord und -findung, von einem Parkplatz in Frank­reich und von Neuanfang. Die drei Muske­tiere hingegen ist: angeblich eine »Verfil­mung« des nun wirklich hinrei­chend bekannten und zum Sprich­wort geron­nenen Super-Erfolgs­roman der Welt­li­te­ratur. In 3D. Was heißt: garan­tierter Unter­hal­tungs­spaß mit Haud­raufäs­t­hetik, die trotzdem keinem wehtut. Der solcher­maßen geför­derte Film spielte in der ersten Woche vor 651 Kino­lein­wänden und hatte pro Leinwand im Schnitt 312 Besucher, Gesamt­an­zahl der Besucher in Woche 1: 575.666. Oder, ganz aktuell Männer­herzen... und die ganz, ganz grosse Liebe lief mit 255.376 Besucher an, in 689 Kinos. Kopi­en­schnitt pro Leinwand in der zweiten Woche: 371 Besucher (Alle Zahlen: Media Control).

Über uns das All läuft derzeit bundes­weit in 39 Kinos, so meldet die Film­starts-Seite. Auf München herun­ter­ge­bro­chen heißt das: Der Film läuft im Eldorado und im Arena. Männer­herzen (bundes­weite Kinos: 674) läuft in München in der neuen Astor Cinema Lounge im Baye­ri­schen Hof, im Cadillac, Gabriel, Gloria, Mathäser, Cinemaxx, Kinos Münchner Freiheit, Rio, Royal, Send­linger Tor. Es erübrigt sich die Frage, welcher Film erfolg­rei­cher ist. Das hat mit dem Einfluss von Film­kritik natürlich gar nichts zu tun, sondern mit den bestehenden Etat-Verhält­nissen. Süßer die Kassen nie klingen…

Was aber ist mit den Kinos, die nicht auf Block­buster setzen? Auch sie müssen Miete bezahlen, Filmmiete, Mitar­beiter und den Betrieb aufrecht erhalten. Wie geht es einem Kino wie dem Eldorado in München, einem wunder­schönen 70er Jahre-Kino mit 300 Plätzen und einem »für diese Zeit unge­wön­lich großem Gefälle des Raumes« (Angaben aus: Neue Pardiese für Kino­süch­tige, hrsg. von Monika Lerch-Stumpf)? Wie kann sich das Eldorado finan­zieren, ja überleben, mit aufgrund der Marke­ting­ver­hält­nisse zwangs­läufig unbe­ach­teten Filmen wie Über uns das All?

Kinos spielen nicht nur Filme, die gut oder schlecht sind oder einem bestimmten Geschmack gehorchen, sondern folgen auch einem gewissen Program­mie­rungs­kon­zept und sind nebenbei auch der Verga­be­praxis von Verlei­hern unter­worfen. Artechock will deshalb in der nächsten Zeit das Bewusst­sein für die Arthouse-Kinos schärfen, als Orte, die exis­tieren, um nicht gleich­ge­schaltet auf die Leinwand zu gucken und wirt­schaft­lich gut dazu­stehen, sondern als Orte, die absicht­lich ein anderes Angebot an Filmen bereit­stellen, trotz ökono­mi­scher Unwäg­bar­keit. Dieses Jahr haben in München zwei Kinos dicht­ge­macht, aus unter­schied­li­chen Gründen: das Tivoli und das Film­ca­sino. Höchste Zeit, sich mal die Kinos genauer anzusehen, die es (noch) gibt. Was sind das für Orte? Ist die Leinwand wirklich so klein, die Stühle so unbequem? Warum gibt es kein Pop-Corn? Kann man die Leute an der Kasse duzen und mit ihnen nach dem Film noch ein Bier im Foyer trinken? Oder lohnt sich der Besuch, weil man irgendwie mehr erlebt hat als nur den Film, weil man Teil einer »kultu­rellen Praxis« geworden ist?

Sympathie oder gute Film­be­spre­chungen allein reichen nicht, um die kleineren Kinos gegen die Mogule am Laufen zu halten. Wir sagen: Sympa­thi­santen, runter vom Sofa! Nur wenn Vielfalt garan­tiert wird, wird Kino zur Kultur.