24.02.2011

Film als Kunst, Ausstel­lung als Design

Subjektiv - Dokumentarfilm im 21. Jahrhundert
Die Münchner Hochschule für Fernsehen und Film mit einer Leistungsschau in der Pinakothek der Moderne

»Subjektiv: Dokumentarfilm im 21. Jahrhundert« lautet eine Ausstellung in der Pinakothek der Moderne in München, in der die Hochschule für Fernsehen und Film eine einzigartige Plattform bekommen hat. Die Filmschau wurde nun bis zum 27. Februar verlängert. Höchste Zeit, sich die Ausstellung einmal genauer anzusehen

Von Florian Geierstanger

»Wer ist verant­wort­lich für die Entschei­dungen über Design und Zusam­men­set­zung einer Ausstel­lung?« Diese, zuerst von Martin Schmidl in seinem Buch über Postwar Exhibiton Design aufge­wor­fene Frage stellt sich mir in dem großen, abge­dun­kelten Durch­gangs­raum, durch den die Ausstel­lung Subjektiv – Doku­men­tar­film im 21. Jahr­hun­dert den Besucher in die eigent­li­chen Präsen­ta­ti­ons­räume schleust.

Ich betrete den nächsten Raum und bin umgeben von 64 kleinen, durch­schei­nenden Projek­ti­ons­flächen, die auf brust­hohen, apple-weißen Stelen ange­bracht sind. Ein Mini-Projektor wirft auf jede Fläche einen Film, der von beiden Seiten der Scheibe sichtbar ist. Seitlich an den Stelen hängen gleich­falls apple-weiße Tele­fon­hörer, die man abnehmen und sich an ein Ohr halten kann, um auch den Ton des proji­zierten Films zu hören. Schrift­züge auf jeder Stele kenn­zeichnen – wie in Museen üblich – Titel und Autor des jewei­ligen Films. Die Stelen sind in einem Raster von 8x8 ange­ordnet, an den sie umgren­zenden Raum­wänden bezeichnen Schrift­züge eine kate­go­ri­sche Anordnung nach Begriffen (Suche, Tagebuch, Arena, Grenze, Abwei­chung u.a.) und eine nume­ri­sche: von eins bis acht. An den Wänden sind zusätz­lich kleine Spiegel ange­bracht, die die Reihen der Stehlen optisch ins Unend­liche verlän­gern. Auch jeder der 64 Filme wieder­holt sich, ist er einmal an sein Ende gekommen, unendlich.

Die Technik der kleinen Projek­toren faszi­niert mich, trotzdem habe ich zuerst keine Lust einen der Hörer abzuheben. Viele der Filme habe ich im Kino gesehen, ich kenne die tech­ni­sche Qualität ihres Ursprungs­ma­te­rial: einige sind auf 35 oder 16mm gedreht, die Tonmi­schung ist meistens in Stereo – davon kann eine Mini-Projek­tion mit Mono-Laut­spre­cher zwangs­läufig nur ein schwaches Nachbild sein. (Die klare Entschei­dung gegen die Auffüh­rung der Filme in ihrem Origi­nal­format irritiert mich auch deswegen so, weil Museen generell auf die aura­ti­sche Mate­ria­lität der Ausstel­lungs­ge­gen­stände beson­deren Wert legen.) Dennoch bin ich immer noch über­wäl­tigt von der schieren Masse der mir ange­bo­tenen Auswahl­mög­lich­keiten, welchen Film ich mir anschauen könnte. Um mich nicht plötzlich in der Mitte irgend­eines Filmes wieder­zu­finden, suche ich Orien­tie­rung bei den Kate­go­rien an den Wänden: Was heißt »Arena«? Suche, Grenze, Ritual...

Zum Glück sehe ich ein bekanntes Gesicht im Säulen­wald, Heiner Stadler, Professor für Doku­men­tar­film an der Münchner Hoch­schule für Fernsehen und Film, kurz HFF. Ich frage ihn, ob er etwas über die Entste­hungs­ge­schichte der Ausstel­lung weiß, und es stellt sich heraus, dass ich den Initiator des Projekts vor mir habe. Er erzählt mir, wie er mit seinen eigenen Doku­men­tar­filmen zu zwei Kunst­aus­stel­lungen einge­laden wurde. Diese Erfahrung habe ihm gezeigt, dass aus der Fernseh- und Film­in­dus­trie stammende Doku­men­tar­filme im Kontext der Bildenden Kunst durchaus möglich und sogar will­kommen sind. (An anderer Stelle heißt dies auch: »Professor Heiner Stadler von der HFF sieht in der Zusam­men­ar­beit mit Museen eine Möglich­keit, unab­hängig vom Fernsehen gute Doku­men­ta­tionen einer breiten Öffent­lich­keit zugäng­lich zu machen und dabei kosten­de­ckend zu arbeiten.« Benjamin Weber in der taz vom 9.12.2010.)
So entstand die Idee, auch die Filme seiner Studenten in den Kontext der Kunst zu bringen. Dafür entwi­ckelte er eine »Kommu­ni­ka­ti­ons­stra­tegie«, mit der er bei Bernhard Schwenk, Kurator für Gegen­warts­kunst an der PDM offene Ohren fand. Professor Stadler hilft mir auch bei meiner Orien­tie­rungs­lo­sig­keit im großen Raum: Es gehe nicht darum, Filme zu zeigen oder gar ein Film­fes­tival zu veran­stalten. Sondern es sollen unter­schied­liche Film­spra­chen mitein­ander vergli­chen werden. Die museale Form dafür wurde von einem Berliner Szen­o­grafen-Team entwi­ckelt. Der aufwen­dige Design­pro­zess hat rund 300 000 Euro gekostet.

Daheim recher­chiere ich die Szen­o­grafen: Während sich ihr Blog zur HFF-Schau auf die Entste­hung des Plakat­mo­tivs konzen­triert (ein stili­siertes, aus vielen Film­stills zusam­men­ge­setztes Auge), gibt es aufschluss­reiche Mate­ria­lien zu einer anderen Ausstel­lung, die dasselbe Team für den gleichen Raum ein paar Jahre früher entwi­ckelt hat. Sie trug den Titel: »P.P.P. Passolini und der Tod«. Der schnelle Strich einer dazu­gehö­rigen Skizze gibt mir das Gefühl, einem Designer über die Schulter schauen, während er erste Ideen für die Form einer neuen Ausstel­lung entwi­ckelt. Ein gezeich­neter Grundriss zeigt neun große Projek­tionen und eine zentrale Tonquelle (– wenn aber neun Filme gleich­zeitig gezeigt werden, welcher Ton ist dann zu hören?). Darüber stehen folgende Zeilen: »24/SEC / 24 FILME / 12 FILMSCREENS« (vier­und­zwanzig Bilder pro Sekunde ist die Frequenz eines 35mm Film­pro­jek­tors, Pier Paolo Pasolini hat vier­und­zwanzig Filme gemacht). Ein anderes Bild, eine Compu­ter­si­mu­la­tion, zeigt einen Raum mit neun hängenden Projek­ti­ons­lein­wänden, auf sie sind Groß­auf­nahmen verschie­dener Frauen aus Pasolini-Filmen montiert. Eine Bild­schirm­kopie eines Film­schnitt­pro­gramms zeigt neben dieser Kate­go­ri­sie­rung (Frau­en­por­traits) noch weitere: »acteur laura betti«, »acteur maria callas«, »acteur passolini« und »lachen«. »RAUM ALS INSTRUMENT / ANALYSE« ist in Gross­buch­staben auf der ersten Skizze lesen.

Das führt mich wieder zurück zur HFF-Ausstel­lung. »Die Film­aus­wahl gleicht einem wissen­schaft­li­chen Muster (...) die Filme der Studie­renden bilden dabei das Daten­ma­te­rial«, resümiert Renate Heilmeier in ihrer Ausstel­lungs­be­spre­chung im DRadio Kultur am 1.12.2010. Stadler erzählt in dem Radio­bei­trag, dass Bernhard Schwenk die Szen­o­grafen Weitz und Epple ins Spiel gebracht habe, die er aus der Zusam­men­ar­beit bei der Pasolini-Ausstel­lung kannte. Tatsäch­lich erscheint mir der Umgang mit dem filmi­schen Ursprungs­ma­te­rial in beiden Ausstel­lungen grund­sätz­lich ähnlich. In beiden Fällen wurde unter­schied­li­ches Ausgangs­ma­te­rial (verschie­dene Film- und Video­for­mate) zuerst technisch auf einen gemein­samen Nenner gebracht. Dieses »Daten­ma­te­rial« wurde dann kate­go­risch neu geordnet (Lachen, Frau­en­por­traits... bzw. Distanz, Konflikt...) und in einer aufwen­digen Ausstel­lungs­ar­chi­tektur präsen­tiert. Beides sind Anstren­gungen, um eine große Anzahl Filme mit einer sehr langen Gesamt­lauf­zeit (24x circa 90 Minuten = 36 Stunden Pasolini, 64x durch­schnitt­lich 60 Minuten = 64 Stunden Film­hoch­schule) in eine Form zu bringen. Bevor den Szen­o­grafen diese sehr anspruchs­volle Aufgabe gestellt wurde, ist eine grund­le­gende Setzung schon gefallen. Mit dem Slogan »Kein Film­fes­tival!« entschieden sich die Kuratoren gleich­zeitig gegen eine kura­tierte Auswahl an Filmen. Statt­dessen bieten beide Ausstel­lungen einen großen Überblick: alle Filme Pasolinis und 64 Filme aus der Film­hoch­schule.

Da es kein kura­to­ri­sches, kein inhalt­li­ches Interesse an den einzelnen Filmen gibt (Schwenk im Deutsch­land-Radio: »wir wollen ja nicht den einzelnen Film featuren«) konnten die Designer sehr frei mit dem Material arbeiten (im Fall der Pasolini-Ausstel­lung sogar in die innere Struktur der Filme eingreifen und sie neu montieren). Nun stellt sich mir die Frage, welchen Inhalt die Designer überhaupt zur Schau bringen sollen? Um subjek­tive Wahr­neh­mung oder subjek­tive Ausdrucks­formen der Studenten kann es nicht gehen, da die Ausdrucks­kraft der einzelnen Filme duch die Präsen­ta­ti­ons­wucht des Ausstel­lungs­de­signs in den Hinter­grund gedrängt wird. Der Ausstel­lungs­titel »Subjektiv – Doku­men­tar­film im 21. Jahr­hun­dert« ist auch deshalb verwir­rend, weil es sich ausschließ­lich um Studi­en­ar­beiten der HFF München handelt. Viel­leicht ist die Reprä­sen­ta­tion der Hoch­schule für Fernsehen und Film das eigent­liche Ziel der Ausstel­lung. (Der große Neubau wird noch dieses Jahr schräg gegenüber des Museums einge­weiht.) Dass es um Marken­re­prä­sen­ta­tion geht, passt auch zu den Asso­zia­tionen, die sich beim Betreten des Raumes direkt einstellen: Apple-Store und Messe­stand. Volker Panten­burg schreibt in der »Kolik« unter dem Titel »Attention, please. Notizen zur Aufmerk­sam­keitsö­ko­nomie in Kino und Museum« auch: »Die ziellose, flanie­rende Bewegung an Video­ar­beiten entlang erinnert an das Vorbei­streifen an Schau­fens­tern und Waren.«

Die Homepage der Pina­ko­theken öffnet mit einem bild­schirm­fül­lenden Photo. Darauf sind zwei junge Männer abge­bildet, die direkt in die Kamera schauen. Es ist ein Standbild aus einem der Doku­men­tar­filme der Ausstel­lung. In einem kurzen Text an anderer Stelle beschreiben die Regis­seure Stefanie Brockhaus und Andy Wolff, wie sie aus hundert Jungen genau diese beiden – »ideale Prot­ago­nisten« – ausge­sucht haben. Ihr Film jedoch, so schreiben sie weiter, gehe über eine Sozi­al­studie hinaus, er sei ein »weit­rei­chender Diskurs«. Weder die Sozi­al­studie noch der Diskurs, so ist meine Einschät­zung nach dem Besuch der Ausstel­lung und nach Gesprächen mit anderen Ausstel­lungs­be­su­chern, wird in der Präsen­ta­tion des Film in der PDM sichtbar.
Was sichtbar ist: Das Photo wird von einem hell­grauen, halb-durch­sich­tigen Kasten über­la­gert, der für die Pina­ko­theken und für die Ausstel­lung der Film­hoch­schule wirbt. Rechts unten, durch den Farb­kon­trast gut sichtbar, sticht ein rotes Audi-Logo hervor. Der direkte Blick der Abge­bil­deten in die Kamera, in Verbin­dung mit den darüber gesetzten Schrift­zügen und Logos wecken bei mir Asso­zia­tionen an groß­for­ma­tige H&M-Werbe­pla­kate im Aussen­raum – die beiden jungen Männer sind zu Werbe­trä­gern geworden. In den Über­le­gungen der Kuratoren zur Ausstel­lung (die in der Ausstel­lung und im Katalog veröf­fent­licht sind) sagt Bernhard Schwenk: »Kunst und Doku­men­tar­film haben keine eindeu­tige Botschaft.« Und ich denke mir: Wenn der einzelne Film, das einzelne Bild durch eine über­ge­ord­nete, dominante Form (das Ausstel­lungs­de­sign) derart geschwächt ist, dann ist es leicht, diese »Unein­deu­tig­keit« zu miss­brau­chen für einen in diesem Fall sehr eindeu­tigen Zweck. Pasolini kann sich nicht mehr wehren, dass seine Filme als Daten­ma­te­rial und Werbe­träger benützt werden, doch in der aktuellen Ausstel­lung bleibt für mich die Frage: Aus welchen Gründen unter­werfen sich die Filme­ma­cher dem ästhe­ti­schen Regime der Designer?