20.05.2010

Straße der Verlierer

Robert Ryan in ON DANGEROUS GROUND
Robert Ryan (r.) als Großstadt-Cop unterwegs

Halbzeit. Ein Bericht zur Retrospektive von Nicholas Ray im Münchner Filmmuseum

Von Stefanie Schulte-Krude

Seit Anfang April zeigte das Film­mu­seum München eine Retro­spek­tive zu Nicholas Ray In der ersten Hälfte wurden die frühen, in s/w gedrehten Werke (1947-1954) aufge­führt. Nach einer Pause, das Dok.Fest München gastierte zwischen­zeit­lich in den Räumen des Film­mu­seums, wird die Reihe jetzt wieder fort­ge­setzt. Bis zum 16. Juni sind dort Filme aus den Jahren 1955-1963 – darunter Klassiker wie Rebel Without a Cause oder Bigger Than Life – zu sehen sowie einige Doku­men­ta­tionen über den Altmeister selbst.

Man sollte sich Hollywood in den 50er Jahren nicht als einen Ort der Moral vorstellen. Zu sehr treibt die Menschen immer noch die Ereig­nisse des zweiten Weltkrieg um. Entwur­zelt fühlten sie sich wohl, zerrissen und einsam. Man agierte roh, von wider­sprüch­li­chen Sehn­süchten ange­trieben. Verlierer wie Gewinner. Nicht wenige von ihnen stran­deten in Hollywood. Kriegs­re­por­terin Martha Gellhorn zeichnete in ihren Repor­tagen und Büchern unge­schminkt ein Portrait dieser Gene­ra­tion – von den einfachen Menschen wie den High-Society-Leuten; Regisseur Nicholas Ray schuf mit seinen zu dieser Zeit entstanden Filmen unver­wech­selbar brüchige Figuren. Modernes Kino, ohne Netz und Seil. Exis­ten­tiell, lyrisch. Im Nach­kriegs­eu­ropa wurden seine Filme von Cahiers du Cinéma frene­tisch gefeiert; Truffaut bezeich­nete Ray bewun­dernd als »den Regisseur der Nacht, die sich nieder­senkt.«

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In seinem Debüt They Live By Night (1947) erzählt Nicholas Ray in düsteren s/w-Bildern die Geschichte des Sträflings Bowie (Farley Granger). Dessen Vergehen ist es, sich auf der Flucht zu verlieben und sich deswegen von zwei Häft­lingen, mit denen er aus dem Gefängnis ausge­bro­chen ist, los sagen zu wollen. So flüchtet das Liebes­paar vor der Polizei und den sinistren Ganoven zunächst per Bus. Später rasen sie in einen Wagen atemlos durchs Land. Trasse für Trasse zieht an ihnen vorbei. Doch die Teenager scheinen vom ersten Moment an auf der Straße der Verlierer zu sein. Ihr Wunsch nach einem gemein­samen Leben in einem kleinen Haus bleibt nichts als eine Illusion. Christ­baum­ku­geln zerplatzen da ebenso schnell wie das zarte Liebes­glück.

In In a Lonely Place (1950) geht es, wenn gleich auch das Milieu wechselt, um eine nicht minder kaputte Figur: den Dreh­buch­autor Dixon Steele (Humphrey Bogart). Die Jahre des Ruhms in Hollywood sind längst vor bei; in Amerika herrschte gerade die McCarthy-Ära. Dixon, ausge­laugt und zynisch, hofft lediglich noch auf einen lukra­tiven Auftrag. Ohne dabei, was die lite­ra­ri­sche Qualität des Skripts betrifft, allzu viele Federn lassen zu müssen. Statt den Auftrag zu ergattern, wird er in einen Mord verwi­ckelt. Und Dixon tut nichts um den Verdacht irgendwie zu entkräf­tigen. Aus dieser Situation boxt ihn über­ra­schend seine Nachbarin Laurel (Gloria Grahame) mit einem Alibi heraus. Eine Lieb­schaft zwischen den lonely fighters bahnt sich an.

Ray insze­niert deren erste Begegnung im Präsidium wunderbar: die Prot­ago­nisten hegen ein umwerfend unter­kühlten Umgang, die Szene selbst ist gespickt mit coolen, präzisen Dialoge (wie könnte es auch bei einem Holly­wood­film über einen Dreh­buch­au­toren anders sein) und mit viel sagenden, einander taxie­renden Blicken. Im Laufe der Zeit zeigt sich jedoch, wie nah bei dem Dreh­buch­star Genie und Wahnsinn bei einander liegen. Dixon, der im Krieg als Leutnant in der Armee gedient hatte, neigt zu unkon­trol­lierten Gewalt­aus­brüchen. Diese Ausbrüche gehen einher mit sich stetig stei­gernden Besitz­an­sprüchen an Laurel. Das ängstigt die junge Frau, sie traut ihrem Geliebten gar den Mord zu. Trotzdem bleibt sie bei Dixon; selbst als die Masseuse Mildred sie sinistre anfährt: »Soll es wie beim letzten Mal enden?« Es scheint, als wollte Nicholas Ray in dieser Thriller-Romanze aufzeigen, dass ein jeder ein Gefan­gener der eigenen Biografie ist.

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Straßen huschen an ihnen vorbei. Kreuzung für Kreuzung. Aus dem Inneren des Poli­zei­wa­gens hat dies eine rausch­hafte Wirkung. Jim und seine Kollegen sind in einer ameri­ka­ni­schen Großstadt unterwegs auf Streife. Ein Polizist wurde ermordet. Nun suchen sie den Mörder. Robert Ryan spielt in On Dangerous Ground (1952) einen Cop, dessen Nerven zum Bersten gespannt und dem Gewalt ein legitimes Mittel zum Zweck ist. »Warum bringt ihr mich immer wieder dazu, so weit zu gehen?«, sagt er zu einem seiner Opfer, das sich provokant lasziv und verängs­tigt zugleich auf einem Sessel herum fläzt. Erbar­mungslos prügelt Jim auf ihn ein. Später werden diese Hände erneut einen Mann malträ­tieren, sein Vorge­setzter schickt ihn deswegen in die Provinz. So dunkel die Straßen der Stadt, so schmer­zend hell der Schnee auf dem Land. Erneut gilt es einen Mörder aufzu­treiben. Einen geis­tes­ge­störten Jungen, der ein Mädchen tötete und dessen blinde Schwester (Ida Lupino) ihn vor den Lynch­mör­dern aus dem Dorf zu schützen versucht. Vorsichtig tasten ihre Hände an einem Baum­stumpf, einer Büste und einem Tisch entlang, um sich in ihrer Wohnung zu orien­tieren. Die (männliche) Gewalt aber lodert längst. Eine Lampe zerschellt, die Flammen springen auf den Teppich über. Für einen Nicholas-Ray-Film ist dies ein ungewohnt berüh­render Film, der die Wandlung eines verloren geglaubten, von Gewalt beherrschten Cops zeigt und in dem gar sich stre­cken­weise so etwas wie eine mora­li­sche Kraft durch­setzt.

Born to Be Bad (1950) ist zu diesem film noir das absolute Gegen­s­tück. Ein Frau­en­film, in dem die Prot­ago­nistin Christabel (Joan Fontaine) fern jeder Moral agiert. Das Unschulds­lamm vorgebend, spannt sie ihrer Cousine den Mann aus, einen gutgläu­bigen Millionär. Auch wenn Christabel, die wohl unter bedrü­ckenden Verhält­nissen als Waise auf dem Lande aufge­wachsen ist, zeit­weilig das schlechte Gewissen plagt – sie wälzt und windet sich verzwei­felt auf dem Bett –, gewinnt letztlich der Wunsch nach einem Leben in Luxus Überhand. Robert Ryan mimt in diesem Melodram den Autor Nick Bradley, der sie vom ersten Moment an echauf­fiert und dadurch ihr Begehren weckt. Trotz ihrer Ehe geht Christabel eine leiden­schaft­liche Affäre mit dem agilen Schrift­steller ein. Und will keinerlei Entschei­dung zwischen den beiden Männern treffen. Wie kein anderer versteht es Nicholas Ray diesen Frauentyp, aufge­rieben zwischen wider­sprüch­li­chen Sehn­süchten, Szene für Szene glaub­würdig darzu­stellen – ohne dabei in irgend­einer Form zu werten. Und nur so kann der Film derart bösartig rüber kommen.

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In den nächsten Jahren (1952 bis 1963) wird Nicholas Ray vom s/w-Material auf den Farbfilm umsteigen und er wird vom Film noir zu anderen Genres wechseln. Klassiker wie Rebel Without a Cause (1955), Bigger Than Life (1956) entstehen, aber auch das Jesus-Spektakel King of Kings (1961) oder das Gangs­ter­drama Party Girl (1958). Im Mittel­punkt seiner mise en scène stehen weiterhin diese unver­wech­selbar brüchigen Figuren, die von Selbst­zwei­feln geplagt sind und mal mehr, mal weniger stark aufbe­gehren, um nicht vollends zu resi­gnieren. »I’m a stranger here myself«, lässt Ray den Schau­spieler Sterling Hayden einmal in dem Western Johnny Guitar (1954) sagen. Der Satz mag der Nach­kriegs­ge­ne­ra­tion in Europa durch Mark und Bein gegangen sein. Und beweist einmal mehr, dass bei Nicholas Ray ein Western eben nicht einfach ein Western ist.