05.03.2010

Der weibliche Blick

La niña santa
Die Macht der Mädchen:
La niña santa

Latino-Filmtage im Münchner Gasteig

Von Dunja Bialas

Sie nimmt die Nagel­schere, führt sie vorsichtig zwischen ihre gespreizten Schenkel und schneidet weg, was da aus ihrem Inneren heraus­wächst. Fausta hat eine Kartoffel in der Vagina und muss immer wieder die Triebe kürzen. Fausta lebt in Peru und die Kartoffel ist sicht­bares Zeichen für ein Trauma, das sie mit der »Milch des Leidens«, so will es ein Volks­my­thos, in sich aufge­nommen hat: ihre Mutter wurde zur Zeit des »Leuch­tenden Pfads« von den Militärs verge­wal­tigt, und dies, als sie mit Fausta schwanger war. Die Kartoffel soll sie nun schützen vor Über­griffen, Verge­wal­ti­gung, Leid. Eine ganz und gar symbo­li­sche und surreale Geste, mit der Fausta auf das schreck­liche Erlebnis ihrer Mutter antwortet, ganz im Sinne des realismo mágico der Südame­ri­kaner, der Verwand­lung der Realität in etwas Wunder­li­ches oder Wunder­bares.

Wunder­bare Wirk­lich­keit: So entsetz­lich das Schicksal von Fausta ist, so erstaun­lich ist der Umgang mit der Wirk­lich­keit, den Claudia Llosa für die Prot­ago­nistin von La teta asustada (Eine Perle Ewigkeit) gefunden hat. In ihrem Film, der letztes Jahr in Berlin den Goldenen Bären gewann, setzt sich Llosa mit dem Erbe des Bürger­kriegs in den 80er Jahren ausein­ander. Dabei wirft sie mit ihrer Geschichte von einer Kartoffel als zeichen­haftem Mittel gegen Gewalt einen ganz und gar weib­li­chen Blick auf ihr Land.

Der Film ist aktuell zu sehen bei den Latein­ame­ri­ka­ni­schen Filmtagen, die an diesem Freitag beginnen und bis zum 14. März im Münchner Gasteig statt­finden. Zentrales Thema der dies­jäh­rigen Filmschau ist das weibliche Film­schaffen. Vierzehn Filme aus dem südame­ri­ka­ni­schen Kontinent werden gezeigt, denen alle eines gemeinsam ist: Frauen haben hier Regie geführt.

Was aber ist der weibliche Blick? Gibt es ein weib­li­ches Film­schaffen? Dies sind Fragen, die während der Filmtage immer wieder zur Diskus­sion kommen werden. Die Reihe wird begleitet von der mexi­ka­ni­schen Film­wis­sen­schaft­lerin Patricia Torres, die zum Auftakt einen Vortrag über »das weibliche Auge« halten (Freitag, 5.3., 19:30 Uhr, Kultur­saal des Instituto Cervantes) und zu allen Filmen kurz einführen wird.

Nicht nur eine spezi­fisch weibliche Erzähl­weise wird in den Filmen des Programms spürbar, vielen gemeinsam ist auch die Durch­drin­gung des privaten Lebens durch poli­ti­sche oder histo­ri­sche Ereig­nisse, die Südame­rika, der gebeu­telte Kontinent, in der Vergan­gen­heit durch­litten hat. So in Polvo nuestro que estás en los cielos – Masán­geles  (dt. etwa Staub unser, der du bist im Himmel) der urugu­ay­ischen Regis­seurin Beatriz Silva. Die sieben­jäh­rige Masán­geles verliert zur Zeit des Militär­put­sches ihre Mutter und kommt zu ihrem leib­li­chen Vaters, Oberhaupt einer von Neurosen und Egomanien geprägten Poli­ti­ker­fa­milie (Sa., 13. März, 21:00 Uhr). Ähnlich durch­drungen von den poli­ti­schen Umständen ist das Leben des kleinen Mädchens in Postales de Lenin­grado (Post­karten aus Leningrad). Die vene­zo­la­ni­sche Regis­seurin Mariana Rondón lässt es vor der histo­ri­schen Kulisse der ereig­nis­rei­chen Guerilla-Jahre ein Spiel ausdenken, mit dem es sich aus der bedroh­li­chen Wirk­lich­keit zu stehlen vermag (Di., 9.3., 19:00 Uhr).

Weib­li­ches Schicksal ist geprägt von Geschichte und Gesell­schaft, das wird man in vielen der bei den Latino-Filmtagen gezeigten Werke entdecken könne. Auch heute noch gibt es in Latein­ame­rika, wie woanders in der Welt auch, sexuellen Miss­brauch, Gewalt, Unter­drü­ckung, die Frauen besonders schwer treffen. Aber – und nun kommt die gute Nachricht – wie überall auf der Welt suchen auch hier die Frauen ihr Glück in der Liebe. Ein ganz und gar unge­wöhn­li­cher Liebes-Doku­men­tar­film (!) ist Inti­mi­dades de Shake­speare y Víctor Hugo (Vertrau­lich­keiten zwischen Shake­speare und Victor Hugo) der mexi­ka­ni­schen Regis­seurin Yulene Olaizola – eine Erin­ne­rung an einen geliebten Mitbe­wohner, der verschwunden ist (So., 7.3., 17:00 Uhr und Fr., 12.3., 19:00 Uhr). Von einer modernen Beziehung erzählt Turistas der Chilenin Alicia Scherson. Die 37-jährige Carla ist verhei­ratet, vermut­lich schwanger, und doch wünscht sie sich mit einem norwe­gi­schen Ruck­sack­tou­risten auf und davon (Mi., 10.3., 21:00 Uhr und Sa., 13.3., 19:00 Uhr).

Unbedingt noch hinge­wiesen werden muss auf zwei High­lights des viel­fäl­tigen Programms: XXY der Argen­ti­nierin Lucía Puenzo behandelt die sexuelle Identität einer (eines?) Heran­wach­senden: Alex ist Zwitter und soll sich für ein Geschlecht entscheiden. Dies wird erzählt vor einer atem­be­rau­benden, seltsam entleerten Dünen­land­schaft, in der alles möglich zu sein scheint und doch nichts Kontur gewinnt (Do., 11.3., 21:00 Uhr). La niña santa (Das heilige Mädchen) schließ­lich der Argen­ti­nierin Lucrecia Martel wurde produ­ziert vom spani­schen Kino­meister Pedro Almodóvar. Dementspre­chend abgedreht-drama­tisch geht es in ihrem Film über ein vier­zehn­jäh­riges Girl zu, das versucht, zwischen Katho­li­zismus, Erotik und mütter­li­cher Eifer­sucht die Seele eines Arzts zu retten, der sich am liebsten an Teenager heran­macht (So., 7.3., 21:00 Uhr).

Latein­ame­ri­ka­ni­sche Filmtage, 6. – 14. März im Gasteig München, Vortrags­saal der Biblio­thek. Zusätz­li­cher Vortrag am 5. März im Instituto Cervantes, Kultur­saal.
Eintritt 5 Euro (Vortrag) bzw. 7 Euro (Film­pro­gramm). Weitere Infor­ma­tionen bei der Filmstadt München.