16.10.2008

Die schönste Zeit im Kinojahr

Still Walking
Still Walking von Koreeda Hirokazu
(Foto: Kool Filmdistribution Ludwig Ammann & Michael Isele / Die FilmAgentinnen)

Eine kleine Reiseempfehlung für Cineasten

Von Dunja Bialas

Man kann das Jahr gut und gerne nach den Festivals takten, die landauf, landab statt­finden. Rhythums gebend ist im Jahres­zeit­ver­lauf für den (süddeut­schen) Cineasten in jedem Fall die Viennale, die sich nicht von ungefähr auf die im Zwei­jah­res­zy­klus ereig­nenden Kunst-Biennalen reimt und ähnlichen Pilger­status hat. Die Viennale ist wie die Kunst­aus­stel­lungen Rückschau, visi­onärer Ausblick und noch zu entde­ckende Werkschau, in der neue, unent­deckte Kino-Formen zur Sicht­bar­keit gebracht werden. Sie formu­liert in ihrer Program­mie­rung einen selbst­be­wussten Kunst­an­spruch an das Kino, der sich fern von kommer­zi­ellen Markt­aspekten in den wunder­schönen Film­thea­tern Wiens feiern lässt.

Anders als für große Festivals üblich – und zu diesen kann sich die Viennale mit ihren rund 180 Filmen, die sie vom 17. bis 29. Oktober präsen­tiert, in jedem Fall zählen – hat es Wien geschafft, sich die alther­ge­brachten Kinos als lebendige Spielstätten des Festivals zu erhalten. Gigan­tisch ist das Garten­bau­kino aus den 60er Jahren, aus der Blütezeit des Kinosaals bis heute unver­än­dert erhalten. Mit seinen 740 Sitz­plätzen bietet es während der Viennale mit seinem einen Saal, der immer gut gefüllt ist, über­zeu­gend gegen die Multi­plexe auf. Histo­risch-nost­al­gisch kann im Stadtkino zwischen Holz­ver­tä­fe­lung und elegantem Foyer der Kino­be­such zele­briert werden; es unterhält unter seinem Namen außerdem einen Verleih, dessem schei­denden Leiter Franz Schwartz die Viennale mit einer Spezi­al­reihe Tribut zollt. Dann gibt es noch das Kino im Künst­ler­haus, das seit gut 60 Jahren im Seiten­trakt des Ausstel­lungs­hauses aus dem 19. Jahr­hun­dert aufzu­finden ist, und sich durch seine Archi­tektur gleich­falls als Pilger­s­tätte eignet. Das Metro nimmt sich gegen diese Kinos eher bescheiden aus, im Unter­ge­schoss und mit eher minderer Projek­ti­ons­qua­lität; aber auch dieses Kino lernt man schätzen, u.a. wegen seines ausge­suchten Avant­garde-Film­pro­gramms.

Die Viennale ist also der seltene Fall eines dezen­tra­li­sierten Festivals, in dem der gesamte Innen­be­zirk der Stadt am Kino­ge­schehen teilhat. Die »Viennale Zentrale« in der Urania, die vom Festival zum Zentrum des Gesche­hens erhoben wurde, ist dagegen, wenn nicht gerade Filme­ma­cher oder namhafte Künstler an den Plat­ten­tel­lern stehen (letztes Jahr grandios dilet­tan­tisch: Tex Rubi­no­witz), ein eher lebloser Ort. Hier wird teures, möch­te­gern szeniges »Unten ohne«-Otta­kringer Bier getrunken. Da lohnt sich der Ausflug in ein »Beisl«, und auch im Garten­bau­kino gibt es Musik bis in die Morgen­stunden für alle, die nach dem Sitzen im Kinosaal noch Lust auf Tanz und Bewegung haben.

Die zwölf Tage Viennale muss sich der Festi­val­rei­sende zwangs­läufig auf wenige Tage zusam­men­kürzen (es sei denn, er genießt den Luxus eines Festival-Urlaubs). Mit der zugleich voraus­ei­lenden und wieder­ho­lenden Program­mie­rung und dem »Bonus-Track«, in dem begehrte Filme noch einmal nach­ge­holt werden können, kann der Besucher aber auch in kurzer Zeit einen guten Einblick in das Festival erhalten. Auch wenn natürlich immer der Eindruck zurück­bleibt, dass die Filme, die einen am meisten inter­es­sieren, genau in der Zeit laufen, in der man noch nicht da ist, oder schon wieder weg.

Weil aus diesen Gründen mit Sicher­heit einzelne Filme verpasst werden, sollte unbedingt die sorg­fältig kura­tierten Reihen besucht werden. Auch hier kann man nur einen Einblick erhalten: In den Tribute für den bereits erwähnten Franz Schwartz. In den Tribute für Werner Schroeter, Urgestein des deutsch­spra­chigen Kinos und neben Fass­binder, Herzog, Wenders und Kluge zentrale Figur des Neuen Deutschen Films der 70er und 80er Jahre. In den Tribute für Bob Dylan, kuratiert vom »Vertigo«-Heraus­geber Cyril Neyrat, der das Werk von Dylan in einen »asso­zia­tiven Zusam­men­hang mit dem Kino« setzen will und neben Filmen, in den Dylan Auftritte hat auch seine Regie­ar­beiten präsen­tiert. Seine Anti-Doku­men­ta­tion Eat the Document aus dem Jahre 1972 und Renaldo & Clara von 1978 sind unbe­dingte Kandi­daten für die »Lost & Found«-Liste.

Zwei junge und unkon­ven­tio­nelle Filme­ma­cher stehen im Fokus der dies­jäh­rigen Special Programs. John Gianvito hat letztes Jahr mit seinem Essay Profit Motive and the Whis­pe­ring Wind auf den inter­na­tio­nalen Festivals für Aufsehen gesorgt. Ihm widmet die Viennale eine umfas­sende Werkschau, in der neben seinem bislang einzigem Spielfilm The Mad Songs Of Fernanda Hussein von 2001 auch seine eigenen Einflüsse gezeigt werden, die von der Rezeption einer wider­s­tän­digen Geschichte des Kinos zeugen: The Story Of Kindness von Tran Van Thuy (1987) und Inter­views With My Lai Veterans (Joseph Strick, 1970) waren jahr­zehn­te­lang zensu­riert.
Zu entdecken gilt es auch den portu­gie­si­schen Filme­ma­cher Miguel Gomes, der semi-doku­men­ta­risch arbeitet und seit seinem Filmdebüt von 2004, A Cara Que Mereces, Fiktion mit dem Doku­men­ta­ri­schem verbindet.

Unter den einzelnen Filmen, die sich wohl­aus­ge­wogen auf die Sparten Spiel-, Doku­mentar- und Kurzfilm verteilen, gibt es einige Namen, die alte Bekannte der Viennale sind: zu sehen sind u.a. der neueste Film des Argen­ti­niers Lisandro Alonso, Liverpool, der expe­ri­men­telle Doku­men­tar­filmer Jem Cohen mit Evening’S Civil Twilight In Empires Of Tin, oder der Öster­rei­cher Nikolaus Geyr­halter, der seinen neuesten Doku­men­tar­film, 7915 KM, präsen­tiert. Viel fran­zö­si­sches Kino ist zu sehen, viele Asiaten (u.a. Jia Zhangke und Koreeda Hirokazu), die Arbeiten der »Golbal Players« der inter­na­tio­nalen Kinowelt, und die vieler Unbe­kannte, die es zu entdecken gilt.

Wer diesen kleinen Ausblick auf ein großes Festival vertiefen möchte, sollte entweder zur Viennale fahren, auf www.viennale.at schmökern oder aber die »artechock«-Bericht­erstat­tung mitver­folgen.