03.04.2008

Die einbei­nige Catherine

Catherine Deneuve als Schöne des Tages
Catherine Deneuve als Schöne des Tages

Über Mode und Feti­schismus in den Filmen Luis Buñuels

Es fand sich einfach niemand, der Catherine Deneuve mit Dreck bewerfen wollte. In Wirk­lich­keit habe es sich um Joghurt mit Scho­ko­la­den­ge­schmack gehandelt, erzählte der Sohn Luis Buñuels später. Er hatte sich schließ­lich erbarmt. Sie trägt in dieser Szene ein schnee­weißes, boden­langes Kleid, wie alle Kleider in Belle de Jour – Schöne des Tages (1966) entworfen von Yves Saint Laurent. Das sanft drapierte Oberteil, die losen Stof­färmel, die die Schultern frei­lassen und der kleinem Wasser­fall­kragen gemahnen an die Unschuld eines Braut­kleids. Nur ist Catherine Deneuve als Severine, brave Ehefrau aus gutem Hause, gefesselt an die Balken einer verfal­lenen Stallung, sie steht im Schlamm und wird mit Schmutz beworfen. Das gilt im wört­li­chen wie im über­tra­genen Sinne: Denn während ihr Ehemann stumm und mit verschränkten Armen daneben steht, bedenkt sie Michel Piccoli als wort­füh­render Freund mit entwür­di­genden Ausdrü­cken: Schlampe, Hure, Abschaum, Sodo­mistin. Sie lächelt ein wenig dabei und als sie ihrem Mann Pierre verzwei­felt zuruft, dass sie ihn liebe, er solle damit aufhören, bewegen sich ihre Lippen nicht. Die Entwür­di­gung ist ein Traum, eine maso­chis­ti­sche Phantasie von Severine. Fortan sucht sie tagsüber in einem Bordell als Hure Belle de Jour in Lack­le­der­mantel und weißer Wäsche, was sie im gut situ­ierten Haushalt zwischen getrennten Betten, rosa gestepptem Haus­mantel und Geplänkel mit dem lang­wei­ligen Ehemann nicht finden kann.

Die Dekon­struk­tion des schönen Scheins, der bequemen Lügen einer um sich selbst krei­senden Gesell­schaft, in der selbst die etwaige Kritik an Konven­tionen konven­tio­nell ist und die Befreiung des Unter­be­wusst­seins aus den Klauen eben dieser Gesell­schaft ist Thema in allen Filmen Luis Buñuels. Weil auch der Plot, die Erzählung Teil dieser Konven­tionen ist und sich Buñuel deshalb der Narration im klas­si­schen Sinne verwei­gert, werden die Dinge, die Kleider, Vasen, Schuhe, Vorhänge, Parfüm­fla­kons, Kästchen und Kacheln wichtiger, sie werden zu feti­schi­sierten, surrea­lis­ti­schen Objekten, die ein Eigen­leben führen. Ein filmi­sches Mittel, das die Gegen­s­tände aus ihrem alltags­ge­bräuch­li­chen Kontext erlöst, sie variabel, ungewohnt neu und gefühls­be­setzt erscheinen lässt, ist die Nah- oder Detail­auf­nahme, schon in seinem ersten Film Ein anda­lu­si­scher Hund prominent einge­führt: Mit dem Schnitt durch den weib­li­chen Augapfel, der eben auch für den Blick des Betrach­ters, im jungen Kino gewöhnt an ästhe­ti­zis­ti­sche Spie­le­reien oder die Wieder­ho­lung der Realität, einen Einschnitt bedeutete.

Kleider, Schuhe, Mäntel und Negligees weisen bei Buñuel, gesell­schafts- und reli­gi­ons­kri­ti­scher, sati­ri­scher Moralist, immer über ihren Gebrauchs­kon­text hinaus, sie sollen ruhig beun­ru­higen. Das Sprich­wort „Kleider machen Leute“ ist selten so ausführ­lich zele­briert worden wie bei Buñuel. Da Kleidung immer auch Verklei­dung ist und die Zugehö­rig­keit zu einem bestimmten Milieu, einer bestimmten Schicht markiert, spielt die Mode als spre­chendes, surreal-subver­sives Detail eine besondere Rolle in seinem Werk. Eine vornehme Gesell­schaft trifft sich in Das Gespenst der Freiheit, Buñuels vorletztem Film von 1974, sie betritt das Wohn­zimmer. Die Damen schürzen ihre eleganten Kleider, die Herren lassen ihre Hosen herunter. Dann nimmt man gemeinsam auf Toilet­ten­sitzen Platz und betreibt gepflegt Konver­sa­tion. Auf Silber­ta­bletten hält eine Bediens­tete Toilet­ten­pa­pier bereit. Auch Der Würge­engel zeigt eine feine Gesell­schaft in unge­wohnter Situation. Nach einem Thea­ter­be­such trifft sie sich in einer Villa, um dort luxuriös zu dinieren. Aus uner­find­li­chen Gründen kann sie jedoch den Salon durch die geöffnete Tür nicht mehr verlassen. Die Folge ist eine Verrohung der Sitten, propor­tional zum äußer­li­chen Verfall: Mit den Frisuren entgleisen die Umgangs­formen, mit den Jacketts und seidenen Stolas wird auch die Höflich­keit abgelegt, Fußnägel werden geschnitten, Herren­beine rasiert, man läuft barfuß und rafft die teuren Abend­roben ungeniert bis über das Knie.

Gerade Schuhen, Beinen, Füßen, und Strümpfen ist in Buñuels gesamtem Werk eine obsessive Aufmerk­sam­keit gewidmet, nicht nur von Kamera, wie die übrige Kleidung auch werden sie häufig explizit thema­ti­siert. Der Regisseur sagte über sich selbst, dass er es liebe, »bestrumpfte Frau­en­beine zu betrachten«. Durch sie gewänne die Haut eine besondere Präsenz, es sei, »als ob man sie nicht nur sähe, sondern auch berührte«. Ähnlich äußert er sich über den Gang von Frauen, im Zusam­men­hang mit Tagebuch einer Kammer­zofe von 1964. Jeanne Moreau als Kammer­zofe sieht sich dort mit einer dege­ne­rierten, sich in skurrilen Feti­schismen erge­henden Land­herr­schaft konfron­tiert, wobei der Schuh­fe­ti­schismus des alten Guts­herren noch die harm­lo­seste Spielart ist. Für diesen soll Célèstine zierliche, spitze Stie­fe­letten tragen, sich drehen, auf und ab stol­zieren und gege­be­nen­falls auch mal aus philo­so­phi­schen Abhand­lungen über die unüber­brück­bare Kluft zwischen Dienst­boten und Aris­to­kratie vorlesen – während er ihre natürlich bestrumpfte Wade strei­chelt. Eine wesent­liche Entschei­dung Severines in Belle de Jour – Schöne des Tages erzählt Buñuel nur über den Blick auf ihre Füße: Sie steigt zum zweiten Mal die Treppen zum Etablis­se­ment von Madame Anaïs hinauf, noch hat sie nicht als Hure Belle de Jour gear­beitet. Auf einem Trep­pen­ab­satz bleibt sie stehen, zögerlich drehen sich die leicht eckigen, abge­flachten Spitzen der atem­be­rau­bend schicken, schwarzen Lack­schuhe mit über­di­men­sio­nierten, goldenen Schnallen zurück – doch dann schreiten sie entschlossen weiter. Auf dem Klin­gel­schild steht bezeich­nen­der­weise: „Mme Anaïs – Modes“.

Belle de Jour – Schöne des Tages ist sicher­lich Buñuels modischster Film. Yves Saint Laurent hat die Kostüme entworfen – angeblich hatte Catherine Deneuve, seine Muse, ihn als Kostüm­bildner vorge­schlagen. Das Ent- und Ankleiden wird ausführ­lich thema­ti­siert, die Kostüm­dra­ma­turgie achtet genau auf die Farben und Mate­ria­lien der A-Linien-Kleider, Hemd­kleider mit goldenem Flecht­gürtel, berüschten Negligees. Glück­li­cher durch ihr Doppel­leben trägt Severine den schwarzen Lack­mantel plötzlich auch in Gegenwart ihres Mannes, bei der Arbeit trägt die kühle Blonde dagegen, als Referenz an ihre Herkunft und insze­nierte Unschuld im Gegensatz zu den beiden anderen – rothaa­rigen und schwarz­haa­rigen – Mädchen immer weiße Wäsche, die sie anschließend zu Hause im Kamin­feuer verbrennt. Unab­lässig wird Severines Kleidung kommen­tiert, von ihren Kolle­ginnen im Bordell, von Freiern und Freunden: Ein Kleid ist schön, »aber nicht einfach auszu­ziehen«, in einem anderen wirkt sie wie »ein früh­reifes Schul­mäd­chen«.

Der von Yves Saint Laurent kreierte Look zwischen Schuld und Unschuld, frigider Ehefrau und verderbter Hure, Bour­geoisie und schlüpf­rigem Subtext, Bise­xua­lität und Maso­chismus – mithin die perfekte Insze­nie­rung einer Männer­phan­tasie und gleich­zeitig ein Plädoyer für die Freiheit der weib­li­chen Lust – hat nach­haltig Mode und Mode­fo­to­grafie beein­flusst, in der direkten Folge etwa Helmut Newton. Nicht nur in der aktuellen Sommer­kol­lek­tion 2008 erweist Nicolas Ghes­quiere für Balen­ciaga dem gesamten Buñu­el­schen Universum seine Referenz: Blüten­panzer und schwarze Schnü­rungen, wadenhoch gebundene Stiefel mit Cut-Outs, einige Kollek­tionen früher goldene Schup­pen­pro­thesen. Über Catherine Deneuve, bei deren Status als Ikone immer auch die Doppel­bö­dig­keit der Belle de Jour mitschwingt, sagte Buñuel in Bezug auf seinen Film Tristana: »Sie ist nicht unbedingt mein Frauentyp, aber mit nur einem Bein und geschminkt finde ich sie sehr attraktiv.«

Julia Teichmann

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