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15.08.2002
 
 
     

Kurzschluss
Wie uns das Fernsehen Filme ohne Ende (bei)bringt

 
 
 
 
 

Zu den Schattenseiten eines Cineasten-Lebens zählen unter anderem die unerfreulichen Diskussionen darüber, wozu der Abspann eines Films gut sei. Eisern sitzt der echte Filmfreund in seinem Stuhl und betrachtet endlose Namens- und Funktionslisten die auf der Leinwand vorüber ziehen, während die anderen Zuschauer bereits den Kinosaal verlassen. Wozu tut man sich das an? Will man wirklich wissen, wer der Stand-In für George Clooney war, wer die Kabel getragen hat oder wer dafür gesorgt hat, dass am Set keine Tiere verletzt wurden?

Nein, niemand will das ernsthaft wissen und von wirklichem Interesse sind bei einem Abspann eigentlich nur die Darstellerliste und die Aufstellung der verwendeten Musikstücke (die meist, ganz geschickt, am Ende des Abspanns plaziert ist), wobei die wichtigsten Angaben zum Stab (Regie, Kamera, usw.) bereits dem Vorspann zu entnehmen waren. Aber ist es nicht einfacher und vor allem aufschlußreicher, sich solche Informationen aus dem Internet, z.B. unter www.imdb.de zu holen?

Das schon, aber wer so gegen das Betrachten eines Abspanns argumentiert, versteht nicht, dass es hierbei nicht um eine Frage der Informationen, sondern um eine der Dramaturgie geht.
Die wirklich wichtige Funktion des Abspanns ist die eines Puffers. Man sitzt da, der Film läuft zwar noch, aber man muss ihm keine Beachtung mehr schenken, man betrachtet die langsam vorbeiziehenden Namen, hörte das letzte Musikstück und kann sich das eben Gesehene noch einmal in Ruhe durch den Kopf gehen und die Bilder und Eindrücke nachwirken lassen.
Dementsprechend unterschiedlich sind auch meine Abspann-Sehgewohnheiten. Bei einer flotten Actionkomödie verlasse ich bereits nach wenigen Namen das Kino (was gibt es hier schon zu "verdauen"), während ich bei großartigen, erschütternden und faszinierenden Filmen bis zum Copyright Vermerk am Schluß sitzen bleibe.

In grauer Vorzeit, als es noch Vinyl-Schallplatten gab, hatten diese am Ende jeder Seite die sogenannte Auslaufrille, die mit ihren wenigen Sekunden leisen Rauschens die selbe Funktion wie der Filmabspann erfüllte. Drei, vier Sekunden Knacken und Knistern, in denen man dem gerade Gehörten kurz nachhing und im Geiste nach einer passenden Anschlussplatte suchte. Was einem ohne Auslaufrille fehlen würde, merkte man erst mit Einführung der CD, die einfach zu Ende war, ohne Rauschen, ohne Knistern, ohne Vorwarnung. Mancher Musikfan tut sich damit bis heute schwer.

Ähnlich ärgerlich ist nun die Unsitte mancher Fernsehsender, den ausgestrahlten Spielfilmen vollständig den Abspann zu rauben. Besonders freundlich sind die Sender auch bisher nicht mit den Abspännen umgegangen, wenn sie diese etwa beschleunigten, verkürzten, an den Bildrand quetschten usw. Doch was man jetzt auf einigen (nicht nur privaten!) Sendern beobachten kann, setzt dem ganzen die Krone auf.
Um nur ja nicht aus versehen eine Sekunde des Abspanns zu zeigen, hackt man den Film einfach ab. Der letzte Dialogsatz ist noch nicht richtig verklungen, die letzte Kamerafahrt noch nicht zu Ende - Zapp! - Aus! - Vorbei! und schon brüllt einem der Trailer für das nächste "Filmerlebnis" entgegen. Unsanft wird am so aus dem Film regelrecht hinausgeschmissen.

Wozu diese Praktik schlußendlich führt, erlebte ich bei LET'S GET LOST, der wunderbaren Doku über Chet Baker, die im Rahmen der Filmkunstwochen im Neuen Arena zu sehen war. Es war die Nachmittagsvorstellung (in diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass das große, rote, offizielle Programm der Filmkunstwochen vor allem beim Neuen Arena einige Lücken aufweist, weshalb ein Blick auf unsere gewohnt vollständigen Programmseiten empfohlen sei), das Wetter war mau, entsprechend gering war die Besucherzahl (aus den selben Gründen hatte ich übrigens einige Tage vorher das seltene und exquisite Vergnügen, bei PAYBACK vollkommen allein im Kino zu sein). Als nach ca. 90 Minuten, mitten in einer Szene, während eines Satzes, der Film riss und die Saallichter etwas hochgedimmt wurden, begann unter den Zuschauern, die bis dahin keinen unzufriedenen Eindruck gemacht hatten, ein munteres Aufbrechen. Glaubte ich anfangs noch, die unfreiwillige Pause würde nur für einen Gang zur Toilette oder dem Getränkestand genutzt, so war nach wenigen Minuten, in denen keiner wiederkam, klar, dass beinahe das gesamte Publikum, im Glauben der Film sei hier zu Ende, einfach gegangen war.

Abgesehen davon, dass der Vorhang vor der Leinwand nicht geschlossen wurde, dass die Saallichter nicht ganz angingen, dass die Ausgangstüren nicht geöffnet wurden, dass kein Kinomitarbeiter zwischen den Stuhlreihen nach leeren Flaschen zu suchen begann; wie kann man nur auf die Idee kommen, ein Film, der zudem keineswegs experimentell ist, könne einfach so abrupt, mitten in einer Szene abbrechen, ohne Ende, ohne Abspann?

Dass die Zuschauer, die hier das Kino verließen, so etwas für möglich, ja vielleicht sogar für üblich hielten, darf man guten Gewissens den Fernsehsendern, aber auch einigen Kinos, die gar nicht schnell genug nach Ende eines Films das Licht anmachen und den Vorhang schließen können, anlasten.
Wenn es im allgemeinen Umgang mit Filmen (ob im Kino oder im Fernsehen) üblich wäre, den Abspann ganz zu zeigen, dann würde niemand in die Verlegenheit kommen, einen Filmriss mit dem Filmende zu verwechseln.

Vielleicht sollte man aber auch zu einem Mittel zurückkehren, das man früher, als die bedeutend kürzeren Stabangaben noch im Vorspann zu finden waren, zur Kennzeichnung des Filmschlusses verwendete und das heute nur noch mit einem ironischen Unterton eingesetzt wird.
Damals wußte jeder unmissverständlich wo der Film angelangt war, wenn es schlicht, aber alles sagend hieß:
The End. Ende. Fin.

Michael Haberlander

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