Zu den Schattenseiten eines Cineasten-Lebens zählen
unter anderem die unerfreulichen Diskussionen darüber,
wozu der Abspann eines Films gut sei. Eisern sitzt der echte
Filmfreund in seinem Stuhl und betrachtet endlose Namens-
und Funktionslisten die auf der Leinwand vorüber ziehen,
während die anderen Zuschauer bereits den Kinosaal verlassen.
Wozu tut man sich das an? Will man wirklich wissen, wer der
Stand-In für George Clooney war, wer die Kabel getragen
hat oder wer dafür gesorgt hat, dass am Set keine Tiere
verletzt wurden?
Nein, niemand will das ernsthaft wissen und von wirklichem
Interesse sind bei einem Abspann eigentlich nur die Darstellerliste
und die Aufstellung der verwendeten Musikstücke (die
meist, ganz geschickt, am Ende des Abspanns plaziert ist),
wobei die wichtigsten Angaben zum Stab (Regie, Kamera, usw.)
bereits dem Vorspann zu entnehmen waren. Aber ist es nicht
einfacher und vor allem aufschlußreicher, sich solche
Informationen aus dem Internet, z.B. unter www.imdb.de
zu holen?
Das schon, aber wer so gegen das Betrachten eines Abspanns
argumentiert, versteht nicht, dass es hierbei nicht um eine
Frage der Informationen, sondern um eine der Dramaturgie geht.
Die wirklich wichtige Funktion des Abspanns ist die eines
Puffers. Man sitzt da, der Film läuft zwar noch, aber
man muss ihm keine Beachtung mehr schenken, man betrachtet
die langsam vorbeiziehenden Namen, hörte das letzte Musikstück
und kann sich das eben Gesehene noch einmal in Ruhe durch
den Kopf gehen und die Bilder und Eindrücke nachwirken
lassen.
Dementsprechend unterschiedlich sind auch meine Abspann-Sehgewohnheiten.
Bei einer flotten Actionkomödie verlasse ich bereits
nach wenigen Namen das Kino (was gibt es hier schon zu "verdauen"),
während ich bei großartigen, erschütternden
und faszinierenden Filmen bis zum Copyright Vermerk am Schluß
sitzen bleibe.
In grauer Vorzeit, als es noch Vinyl-Schallplatten gab, hatten
diese am Ende jeder Seite die sogenannte Auslaufrille, die
mit ihren wenigen Sekunden leisen Rauschens die selbe Funktion
wie der Filmabspann erfüllte. Drei, vier Sekunden Knacken
und Knistern, in denen man dem gerade Gehörten kurz nachhing
und im Geiste nach einer passenden Anschlussplatte suchte.
Was einem ohne Auslaufrille fehlen würde, merkte man
erst mit Einführung der CD, die einfach zu Ende war,
ohne Rauschen, ohne Knistern, ohne Vorwarnung. Mancher Musikfan
tut sich damit bis heute schwer.
Ähnlich ärgerlich ist nun die Unsitte mancher Fernsehsender,
den ausgestrahlten Spielfilmen vollständig den Abspann
zu rauben. Besonders freundlich sind die Sender auch bisher
nicht mit den Abspännen umgegangen, wenn sie diese etwa
beschleunigten, verkürzten, an den Bildrand quetschten
usw. Doch was man jetzt auf einigen (nicht nur privaten!)
Sendern beobachten kann, setzt dem ganzen die Krone auf.
Um nur ja nicht aus versehen eine Sekunde des Abspanns zu
zeigen, hackt man den Film einfach ab. Der letzte Dialogsatz
ist noch nicht richtig verklungen, die letzte Kamerafahrt
noch nicht zu Ende - Zapp! - Aus! - Vorbei! und schon brüllt
einem der Trailer für das nächste "Filmerlebnis"
entgegen. Unsanft wird am so aus dem Film regelrecht hinausgeschmissen.
Wozu diese Praktik schlußendlich führt, erlebte
ich bei LET'S GET LOST, der wunderbaren Doku über Chet
Baker, die im Rahmen der Filmkunstwochen im Neuen Arena zu
sehen war. Es war die Nachmittagsvorstellung (in diesem Zusammenhang
sei darauf hingewiesen, dass das große, rote, offizielle
Programm der Filmkunstwochen vor allem beim Neuen Arena einige
Lücken aufweist, weshalb ein Blick auf unsere gewohnt
vollständigen Programmseiten empfohlen sei), das Wetter
war mau, entsprechend gering war die Besucherzahl (aus den
selben Gründen hatte ich übrigens einige Tage vorher
das seltene und exquisite Vergnügen, bei PAYBACK vollkommen
allein im Kino zu sein). Als nach ca. 90 Minuten, mitten in
einer Szene, während eines Satzes, der Film riss und
die Saallichter etwas hochgedimmt wurden, begann unter den
Zuschauern, die bis dahin keinen unzufriedenen Eindruck gemacht
hatten, ein munteres Aufbrechen. Glaubte ich anfangs noch,
die unfreiwillige Pause würde nur für einen Gang
zur Toilette oder dem Getränkestand genutzt, so war nach
wenigen Minuten, in denen keiner wiederkam, klar, dass beinahe
das gesamte Publikum, im Glauben der Film sei hier zu Ende,
einfach gegangen war.
Abgesehen davon, dass der Vorhang vor der Leinwand nicht
geschlossen wurde, dass die Saallichter nicht ganz angingen,
dass die Ausgangstüren nicht geöffnet wurden, dass
kein Kinomitarbeiter zwischen den Stuhlreihen nach leeren
Flaschen zu suchen begann; wie kann man nur auf die Idee kommen,
ein Film, der zudem keineswegs experimentell ist, könne
einfach so abrupt, mitten in einer Szene abbrechen, ohne Ende,
ohne Abspann?
Dass die Zuschauer, die hier das Kino verließen, so
etwas für möglich, ja vielleicht sogar für
üblich hielten, darf man guten Gewissens den Fernsehsendern,
aber auch einigen Kinos, die gar nicht schnell genug nach
Ende eines Films das Licht anmachen und den Vorhang schließen
können, anlasten.
Wenn es im allgemeinen Umgang mit Filmen (ob im Kino oder
im Fernsehen) üblich wäre, den Abspann ganz zu zeigen,
dann würde niemand in die Verlegenheit kommen, einen
Filmriss mit dem Filmende zu verwechseln.
Vielleicht sollte man aber auch zu einem Mittel zurückkehren,
das man früher, als die bedeutend kürzeren Stabangaben
noch im Vorspann zu finden waren, zur Kennzeichnung des Filmschlusses
verwendete und das heute nur noch mit einem ironischen Unterton
eingesetzt wird.
Damals wußte jeder unmissverständlich wo der Film
angelangt war, wenn es schlicht, aber alles sagend hieß:
The End. Ende. Fin.
Michael Haberlander
|