Vor etwa zehn Jahren hat Francis Ford Coppola davon
geträumt, dass es in der Zukunft für jedermann möglich sei, einen
Film zu drehen und dass neue Techniken aus dem aufwendigem Vorgang
der Filmproduktion ein kinderleichtes Vorhaben machen würden. Wenn
dieser Zustand erreicht sei, prognostizierte Coppola weiter, dann
würde uns aus der großen Schar der Mini-Regisseure sicher auch ein
neuer, filmischer Mozart erwachsen.
Coppolas Vision von der Befreiung der Bilder ist heute mit Hilfe
von Video- und Digitalkameras praktisch erreicht. Es bleibt die
Frage, ob auch der versprochene Film-Mozart schon in Sicht ist,
wobei vorab festzustellen ist, dass Coppolas Tochter Sofia mit
ihrem (keineswegs einfach und billig produzierten) Debüt THE VIRGIN
SUICIDES diese Rolle sicher nicht übernimmt.
Bringen uns dagegen etwa die Filme aus der Dogma-Reihe oder BLAIR
WITCH oder Doris Dörries ERLEUCHTUNG GARANTIERT oder jetzt
BAISE-MOI endlich die Freiheit und den Kreativitätsschub, um die
neuen Wunderkinder, die bisher an der Filmindustrie gescheitert
sind, zu entdecken ? Zweifel sind angebracht, denn jeder der
genannten Filme wurde aus einem ganz speziellen Grund so einfach
produziert und ihre Macher sind keineswegs nur junge, wilde
Regisseure, die das starre System unterlaufen. Während sich etwa
die Dogma-Leute einer freiwilligen Selbstbeschränkung unterwerfen,
ist für Dörrie das Filmemachen scheinbar ein Weg zur Selbstfindung.
Von jungen Genies keine Spur.
Also der Überraschungserfolg BLAIR WITCH ? Hier kann man sicher
von Genialität sprechen, leider aber nur im Bereich des Marketing
und weniger im cineastischen Sinne. Und BAISE-MOI, das kontroverse
Werk aus Frankreich ? Wie von den Filmterroristen aus John Waters
CECIL B. wurde der Film billig gedreht, bricht Tabus wo es nur
geht, nimmt keine Rücksicht und schockiert damit halb Frankreich.
Das klingt alles unglaublich aufregend und bahnbrechend, doch in
Wirklichkeit zeigt auch BAISE-MOI nichts grundlegend Neues, wobei
der Film weniger genial sondern eher genital ist.
Die massenhafte Verbreitung von Videokameras, die nach Coppolas
Theorie auch Filmvisionäre hervorbringt, hat einen grundlegenden
Pferdefuß. Wir sind overfilmed. Als es noch schwierig war, laufende
Bilder festzuhalten, wurde eine genaue Auswahl getroffen, was
filmenswert ist und was nicht. Heute dagegen passiert scheinbar
nichts mehr, ohne das nicht irgendein Freizeitfilmer den Finger auf
der Record-Taste hat (man vgl. nur den Absturz der Concord und den
Brand der Bergbahn in Kaprun), um das Ereignis in verwackelten
Bildern festzuhalten. Dabei ist jedermann dieser Bilder längst
schon überdrüssig (die eben genannten Katastrophen bilden die
unrühmliche Ausnahme), weshalb junge Regisseur gut beraten sind,
wenn sie sich von diesem Berg des Trivialen abgrenzen und deshalb
Film anstatt Video als ihr Medium wählen.
Richtig eingesetzt hat die Videotechnik durchaus ihre
Berechtigung in der Filmkunst. Das haben auch sehr gute Regisseure
wie Lars von Trier bewiesen. Wer jedoch glaubt, diese relativ
leicht verfügbare Möglichkeit einen Film zu drehen sei ein guter
Nährboden für junge Filmkünstler, der täuscht sich. Da echte
Filmgenies von ihrer Profession besessen sind, werden sie immer
Filme drehen, egal wie schwierig oder wie teuer es ist. Wer diesen
Aufwand aber scheut und meint, er könnte en passant einen wirklich
guten Film machen, wird über das Stadium des aufgepeppten
Heimvideos nie hinauskommen.
Michael
Haberlander
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