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Der Filmfreund rät...

  09.03.2000
 
 
 
 

Sie gestatten: Diese Woche wollen wir ausnahmsweise einmal den rhetorischen Mantel des redaktionellen "wir"s lupfen und uns beim "ich" und Namen nennen. Meine Wenigkeit Thomas Willmann ist's, der hier zu Ihnen schreibt. Weshalb die unerwartete Demaskierung? Weil ich Ihnen unbedingt Neil Jordans THE END OF THE AFFAIR allerwärmstens ans Herz legen möchte und ich mich ausserstande sehe, es anonym und unpersönlich zu tun - es wäre sonst schlichtweg feige und an der Sache vorbei.
Ich sag's, wie's ist: Der Film hat mich umgehauen, hat mich getroffen wie schon lange kein Film mehr, hat mich an seinem Ende buchstäblich sprachlos und zitternd zurückgelassen. Und ich weiss genau - er wird das weder für alle Zuschauerinnen und Zuschauer leisten (das sowieso nie), noch für die meisten. Ich erlaube mir aber, das nicht für die Schuld des Films zu halten. Man hat dem Film vorgeworfen, nicht zeitgemäß zu sein - was großer und grober Unsinn ist. Der Film ist in vielerlei Hinsicht nicht modisch, entscheidet sich bewusst gegen manch vorherrschenden Trend - gerade das aber macht ihn zu einem herausragenden Film unserer und für unsere Zeit. Und oft zu einem Film von zeitloser Größe.
Es ist ein Film über die Ganz Großen Themen, die er wagt ganz ohne jede hippe Ironie, ohne besserwisserisches Augenzwinkern, selbstgefälliges Lächeln anzugehen. Es ist ein Film über die Liebe und Gott. (Was bei einer Graham Greene-Verfilmung jetzt so überraschend auch wieder nicht sein sollte.) Und obwohl THE END OF THE AFFAIR alles mögliche Unverfänglichere anböte, über das man auch interessante Dinge schreiben könnte - sein raffinierter Umgang mit der Chronologie beispielsweise, oder seine (Selbst-)Reflexionen über Kino und Literatur - will ich mich hier dem auch stellen.
Gibt es Liebe? DIE Liebe? Oder nur verkleidete Lust zwischen Lebensabschnittspartnern? THE END OF THE AFFAIR beginnt unzweifelhaft mit der Lust. Die in dem Film atemberaubend wie eine Urgewalt spürbar wird, weil sie unter der Oberfläche einer Welt schwelt, die nur Gediegenheit, Höflichkeit, Stabilität, Sauberkeit kennt. Die Sprache der Figuren ist gewählt, ihre Kleidung korrekt, ihr Leben geregelt. Es bedarf des Zweiten Weltkriegs, um in dieses upper-class-London die feinen Risse zu sprengen, durch die sich die Leidenschaft Bahn brechen kann. Ein Teil der Größe des Films ist, dass in dieser Welt so viel unausgesprochen bleiben muss. Und dass so kleine Gesten, wenige Worte bis zum Bersten gefüllt werden mit dem Unsagbaren: Eine Berührung der Hände. Ein ungeheuer gewagtes und doch so unscheinbares, halbgeflüstertes "I love you, you know?" - das ist der Beginn der Affäre.
Neil Jordan läßt die dunklen Bilder des Films von Innen heraus glühen, läßt sie eine unwahrscheinliche Hitze entwickeln, die unter dem Dekor, der starren, noblen Fassade herausstrahlt. Es sind Bilder von Körpern, die in ihrer Kleidung, in der Ausstattung der Räume gefangen sind - und die den Ausbruch wagen. Ja, der Krieg, der viel von dieser Kruste bersten läßt, ist auch Erlösung für diese Menschen. Die Liebesszenen in THE END OF THE AFFAIR haben eine irrsinnige Intensität. Sie handeln von der zunehmenden Entdeckung dieser Körper und sind die sinnlichsten (vielleicht die einzig wirklich sinnlichen), die ich seit langer Zeit im Kino gesehen habe. In manchen Sekunden habe ich geglaubt, dass der Film mich nicht nur sehen und hören macht sondern auch spüren, riechen, schmecken.
Und dann scheint Schluss zu sein mit der Lust, scheint sie sich verzehrt zu haben - zumindest auf Seiten der Geliebten. Es braucht einige Zeit bis man anfängt zu begreifen, dass das scheinbare Ende der Lust in Wirklichkeit die unwiderrufliche Entscheidung zur Liebe war. THE END OF THE AFFAIR handelt von der traurigen und schönen Wahrheit, dass Liebe zu jemandem anderen erst da wahrhaftig beginnt, wo etwas vom Selbst (auf)gegeben werden muss. Dass sie sich da beweist, wo kein return on investment zu holen ist. Dass Liebe nicht nur dann wehtun kann, wenn sie enttäuscht wird.

Gibt es Gott? THE END OF THE AFFAIR erlaubt sich den Affront, auf diese Frage mit "Ja" zu antworten. Dass hat man uns inzwischen beigebracht als kitschig, naiv, unaufgeklärt, gar peinlich zu empfinden. In Neil Jordans Film ist es nichts von alledem. Der Film macht sich die Antwort nicht leicht - und vor allem hat sie für ihn nicht einfach nur angenehme Konsequenzen. Wenn es THE END OF THE AFFAIR um Liebe geht, so geht es ihm letzendlich auch um Gottesliebe - in doppelter Hinsicht: Die Liebe zu Gott und Gottes Liebe.
Beides hat in der katholischen Graham Greene-Welt des Films nichts Kuscheliges, Schmusiges. Es ist kein Gott, der nur da ist, wenn man ihn gerade braucht, kein gutmütiger Kumpel. Was gilt, gilt bedingungslos. Und das macht einerseits Wunder möglich - fordert aber andererseits auch den vereinbarten Preis. Die beunruhigendste Botschaft des Films ist vielleicht, dass Gottes Liebe immer da ist, auch für die, die sie nicht wollen. Der letzte Satz in THE END OF THE AFFAIR ist von einer unendlichen Bitterkeit und möglicherweise von einer ebenso unendlichen Tröstlichkeit erfüllt. Vielleicht ist es mit Gott - in guter wie in schlechter Hinsicht - wie mit dem Fleischhauer Oskar in Horváths "Geschichten aus dem Wiener Wald", der sagt: "Du wirst meiner Liebe nicht entgehen."
(THE END OF THE AFFAIR (OF): Museum Lichtspiele, tgl. 17:35, So. auch 10:35)

So, und nun atmen wir alle tief durch, und ich verstecke mich wieder hinter dem redaktionellen "wir" und sage "Pay no attention to the man behind the curtain". Ein paar andere Filme wollte ich - ääh..., wollten wir zumindest nicht unerwähnt lassen. Als sie da wären: EKSPRES, EKSPRES - für den wir keinerlei Garantie übernehmen, aber was wir drüber gelesen haben klang sehr vielversprechend, und wir wollten Sie zumindest ausdrücklich drauf aufmerksam gemacht haben, dass der jetzt angelaufen ist. Dann PLAYTIME von Jacques Tati, für den wir jedwede gewünschte Garantie übernehmen, denn der ist schlichtweg großartig - vielleicht sowas wie das cineastische Äquivalent eines späten Beethoven-Scherzos, jedenfalls filmische Kompositionskunst und Humor vom Allerfeinsten und Tiefgründigsten und überhaupt... Kein anderer Regisseur hat so konsequent das komödiantische Potential von Rhythmus, Bewegung und Klang ausgereizt wie Tati, und selten hat jemand einen solch aussenstehenden, befremdeten Blick auf unsere Welt bewahrt, ohne dabei denunziatorisch oder zynisch zu werden. Chapeau, Monsieur Hulot!
Und schließlich wäre noch IRMA VEP zu empfehlen - wo wir Ihnen die Wahl lassen, warum: a) Weil der Film manch Interessantes zum Verhältnis europäisches und amerikanisches Kino und zum schweren Stand von Nicht-Mainstream Ästhetiken zu sagen hat; b) weil er eine recht schöne Hommage an Louis Feuillades äußerst schönes Stummfilm-Serial LES VAMPIRES ist; oder c) weil man darin lange dabei zugucken darf, wie die wunderbare Maggie Cheung im hautengen, schwarzen Latex-Outfit herumrennt. Gute Gründe allesamt.
(EXPRESS, EXPRESS: Maxim, tgl. 21:00; Lupe 2, tgl. 20:00;
PLAYTIME (OF): Filmmuseum, Fr./Sa. 20:30;
IRMA VEP (OmU): Filmmuseum, Fr./Sa. 23:00)

Und schließlich wollen wir auch diese Woche selbstverständlich jenen Herren zu Wort kommen lassen, der es hier noch nie für notwendig befand, sich hinter irgendwelchen Ersten Person-Plurals, Pseudonymen oder Palindromen zu verstecken. Der für seine Empfehlungen schon immer mit seinem guten Namen geradestand und auch allen Grund hat, das zu tun. Denn wer sollte nicht von Stolz erfüllt sein, wenn er als Quelle dieser zeitlosen Worte genannt wird:
"Samstags Fußball, Sonntag Lindenstraße."

Viel Spaß dabei wünscht Ihnen,

Die Artechock-Redaktion

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