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Die Schreibsklaven

  16.12.1999
 
 
 
 

Kürzlich erschien in der Wochenzeitung DIE ZEIT ein Gespräch zwischen Deutschlands Vorzeigeproduzenten Bernd Eichinger und dem BLAIR WITCH - Regisseure Daniel Myrick und beide waren darin sich einig, dass es in Hollywood kaum gute Drehbücher gibt. Diese selbstgefällige Übereinstimmung verwundert nun doch ein wenig, da es Eichinger schließlich immer wieder schafft, aus anspruchsvoller Literatur meist mittelmäßige Filme zu machen, während der Erfolg Myricks keineswegs auf einem großartigen Drehbuch, sondern auf einer cleveren (dazu nicht einmal so neuen) Idee und einer geschickten Werbekampagne beruht.
Auch das Bild, das Albert Brooks in seinem Film THE MUSE von der schreibenden Zunft zeichnet ist alles andere als schmeichelhaft, wobei gerade diese geistreiche Satire der perfekte Widerspruch gegen die angebliche Unfähigkeit der Drehbuchautoren ist.

Die Filmindustrie (inklusive vieler Regisseure) verweist mit Vorliebe auf die fehlenden "Stoffe" und die schwachen Drehbücher, wenn sie auf stetigen Niveauverlust oder Sequel- und Remakeorgien angesprochen wird.
Wie passt dieses negative Autorenimage aber zur Traumkarriere von Kevin ‘SCREAM’ Williamson ? Warum werden dann auch jetzt noch für manche vier- bis fünfseitigen Exposés Millionenbeträge gezahlt ? Und wodurch zeichnet sich überhaupt ein gutes Drehbuch aus ?

Im Grunde hat sich im Verhältnis zwischen den Filmstudios und ihren Autoren seit den Anfängen wenig geändert. Selbst in den 30er und 40er Jahren, als Literaten wie William Faulkner und Raymond Chandler für Hollywood schrieben, wurden diese mal wie Könige verehrt, um kurz darauf wie Sklaven behandelt zu werden; man vergleiche hierzu den stellenweise fast dokumentarischen BARTON FINK.
Wenn Barton Fink im Film schließlich die Menschen verzweifelt beschimpft "I’m a writer, you monsters! I create!", dann trifft er genau das Dilemma, in dem Drehbuchautoren noch heute stecken.
Drehbuchautoren sehen sich selber als Künstler, vergleichbar mit Romanautoren und regulären Schriftstellern. Filmproduzenten sehen in Drehbuchautoren jedoch Handwerker, die auf Anweisung eine Komödie, ein Drama oder, wie bei BARTON FINK, einen Wrestlingfilm schreiben müssen.

Auf der einen Seite wollen also die Produzenten ein konkretes Drehbuch, dass auf einen bestimmten Star zugeschnitten ist oder einem aktuellen Trend folgt oder nach einem vermeintlichen Erfolgsrezept gestrickt oder, oder, oder....
Auf der anderen Seite dagegen stehen die Autoren oder Möchtegernautoren (ob Totengräber aus Schottland in L.A. WITHOUT A MAP, indischer Buchhalter in BOWFINGER oder Fernsehstar Lorenzo Lamas in THE MUSE), die glauben, sie hätten DIE Geschichte, auf die die Welt noch wartet.
Manche dieser Autoren haben Glück und ihre Idee wird tatsächlich zum Erfolg. Doch zeigt sich bei vielen, dass sie leider immer nur die selben, irgendwann langweiligen Geschichten erzählen, so zu sehen beim bereits erwähnten Kevin Williamson mit seinen Teenagerhorrorfilmen oder bei Richard Curtis, dem nach VIER HOCHZEITEN UND EIN TODESFALL nichts besseres einfiel, als in NOTTING HILL Andie MacDowell gegen Julia Roberts auszutauschen.

Um im Geschäft zu bleiben, muss sich ein Drehbuchautor also ständig weiterentwickeln und gleichzeitig auf Bewährtes zurückgreifen, zudem einen eigenen Still etablieren ohne sich selbst zu kopieren und vor allem neue, ungewöhnliche und riskante Stoffe suchen, ohne dabei den Markt aus dem Auge zu verlieren. Willkommen bei der Quadratur des Kreises.

Es fehlt dabei nicht an Personen, die den Autoren "behilflich" sind, diesen mehrfachen Spagat zu vollführen. Im Film von Albert Brooks ist es die titelgebende Muse, die den Autoren den rechten Weg weist, im täglich Leben sind es dagegen ganz reale Regisseure, Produzenten, Geldgeber, Drehbuchberater, Schauspieler und sonstige aufdringliche Zeitgenossen wie sie wunderbar in Barry Primus MISTRESS von 1991 dargestellt werden.
Reicht dies immer noch nicht aus, um ein Drehbuch in die gewünschte Richtung zu lenken, ersetzt man einfach den Autoren durch einen anderen. Wehren kann sich der Autor dagegen kaum, denn schließlich gehören die Rechte an dem Drehbuch in der Regel nicht ihm, sondern dem Filmstudio.
Hält man sich im Gegensatz dazu vor Augen, dass normale Buchautoren mit ihren Lektoren sogar um einzelne Worte in ihren Werken streiten, dann kann man verstehen, warum Drehbuchautoren oft als neurotisch und verbittert dargestellt werden (z. B. in THE PLAYER).

Also nur Verzweiflung, Verfälschung, künstlerischer Müll und zerstörte Ideen bei den Drehbuchschreibern ?
"Dass dieser Zauber [der Worte] irgendwie dann doch, hin und wieder, aufgrund eines anderen und gar nicht so seltenen Zaubers, überlebt und mehr oder weniger unbeschädigt die Leinwand erreicht, ist das seltene Wunder, das die Handvoll guter Schriftsteller in Hollywood davon abhält, sich die Kehle durchzuschneiden." hat Raymond Chandler vor über 50 Jahren in seinem nach wie vor lesenswerten Essay "Schriftsteller in Hollywood" geschrieben.
Das selbe Wunder, von dem Chandler spricht, ist wohl auch mit dafür verantwortlich, dass die wahren Filmfans immer noch lieber ins Kino gehen, als sich selbst zu richten.

Michael Haberlander

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