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15.10.1998
 
 
   
 

Vocaler Cunnilingus
Dean Martins geballtes Cocktailschwenkertimbre im Werkstattkino und auf zwei CD-Sammlungen

 
Ein netter Mann
     
 
 
 
 

In der Egon-Bar hängt schon seit Monaten sein Postkartenbild mit der Unterschrift "Zechpreller des Monats". Leider hat Dean Martin nie wirklich dort gesoffen, obschon seine Stimme dort manchmal zu hören ist. Ein bißchen weiter südlich prangt er ab Freitag auf größerem Format. Das Werksattkino in der Fraunhoferstraße, geschmackssicher wie eh und je, widmet der alten Schnapsnase die längst verdiente Retrospektive. Neben den Buddy-Movies mit Frank Sinatra und Samy Davis jr. "Frankie und seine Spießgesellen" und "Sieben gegen Chicago", und einer Agentenklamotte mit unser aller Senta Berger sei hier besonders auf Vincente Minnellis "Verdammt sind sie alle" verwiesen. Auch darin leert Dino im Verbund mit Frankie-Boy so manches Glaserl, doch geht's dabei mitunter recht tragisch zu. Zelebrales Picheln hat Dean Martin auch ansonsten zu Schauspielerruhm verholfen, sein Delirium tremens aus "Rio Bravo" gehört zu den schönsten Zitterpartien der Filmgeschichte und ist der beste Grund, Martin als Darsteller gehörig ernst zu nehmen, selbst, wenn das Werk einmal gar zu klamottig werden sollte. Wenn sich da der Geist des jeweiligen Plots zum Reihern oder Ausnüchtern zurückzieht, dann rettet sich Dino ja manchmal mit seinen Gesängen, an denen es ja hoffentlich nichts zu mäkeln gibt. Falls aber doch, seien für die reicheren unter uns an dieser Stelle eindringlich und halbwegs ausführlich die jüngst erschienenen CD-Schachteln von Bear-Family empfohlen.

Man kann sich gar nicht vorstellen, daß der Mann jemals Gesangs-Unterricht nehmen oder Stimmübungen machen mußte, womöglich gar gurgelte oder Schals trug, um sein Schmalzinstrument zu pflegen. Stets wirkte Dean Martin, als wäre er vor und nach der Show ausschließlich beim Saufen. Im Grunde ist das ja das einzig Lässige an einem Mann, der begleitet von Gefiedel und Geflöte rabiate Sentimentalitäten zum Besten gibt. So mancher Verszeile hat er dabei durch gewagte Zungenbewungen einen anzüglichen Schlenzer mitgegeben, was vielen der minderwertigeren Songs wenigstens einen sündigen Touch verpaßte. Junge Mädchen jeden Jahrgangs und Geschlechts können sich jetzt vom sonoren Schmelz des alten Schleimis ausgiebig anfeuchten lassen: Bei Bear-Family-Records gibt’s seit Anfang des Jahres zwei Dean-Martin-Boxes, wodurch Dinos Kunst des vokalen Cunnilingus einen vorläufigen Revival-Höhepunkt erreicht haben dürfte.

Die erste Box „Memories are made of this“ enthält Schlagerstandards wie „All of me“ oder „That lucky old sun“, sowie den Superhit „That’s Amore“, aber auch zutiefst bedauerliches Songmaterial. Die achte und siebte CD bietet Dinos Duette mit Jerry Lewis aus deren frühen Filmen, vom Erstling „My Friend Irma“ bis zum abgefahrenen „Artists and Models“. Die späteren Partneraufnahmen sind in der zweiten Box versteckt. Daß dabei einer der Songs ausgerechnet „Pardners“ heißt, ist vertrackt, denn zum Zeitpunkt der Aufnahme waren die beiden längst keine Freunde mehr, noch nicht mal gute Kollegen. Der Titel der zweiten Compilation, welche die Jahre von ‘56 bis 61 umfasst, lautet „Return to me“, doch keiner der beiden sollte je zum anderen zurückkehren. Deans Sängerkarriere litt keineswegs darunter, die Sammlung enthält viele seiner besten und verkaufsträchtigsten Nummern. Wenn sich Martin da durch Rumbas, Tangos und Country-Songs schnurrt, durch Barber-Shop-Klassiker wie „Nevertheless“, deutsche Operetten-Lieder wie „Glühwürmchen“ oder italienische Pseudofolklore, dann scheint es, als ob die Fifties wirklich so künstlich und zugleich unverhohlen lüstern waren, wie es uns die Pin-Up-Kalender weismachen wollen.

Alle Aufnahmen auf Box Nr.2 entstanden für Capitol, einer Firma, die auch die besten Arbeiten von Frank Sinatra produzierte. Die Geigen schluchzten für Dean meist ein bißchen trivialer und die Chöre süßelten ein bißchen doofer als beim Kumpel Frank, dessen Stimme Dino mit seinem Schäker-Timbre nie an Reichweite, aber leicht, was Charme und Stil betraf, einholen konnte. Gus Levene war Martins häufigster Orchesterleiter, für ein anspruchsvolleres Album wie das chorfreie „This time I’m swinging“ mußte erst der Big-Band-Meister Nelson Riddle her. Einmal griff sogar Sinatra persönlich zum Taktstock, nämlich für die Wiegenlieder-Platte „Sleep Warm“, die ebenso komplett in der Box zu finden ist wie „A Winter romance“, im weitesten Sinne ein Wintersportalbum, oder Deans letztes Capitol-Werk „Cha Cha D’Amour“. Verschiedenste Glanznummern gibt es in der Schachtel zu entdecken, etwa, wenn bei Cole Porters „True Love“ die bekanntere Bing-Crosby-Version ganz beiläufig niedergeswingt wird, oder sich vorsichtige R’n’B-Anklänge finden, wie bei „Just kiss me“. Die Duette mit der schrecklichen Judy Holiday aus „Bells are ringing“ sind ziemlich grenzwertig, deren Soli wären extrem entbehrlich gewesen. Erfreulich aber, daß die „Rio Bravo“-Songs endlich mal vollständig veröffenlicht sind, einschließlich „Cindy Cindy“ und vier Versionen von „My rifle, my pony and me“, einmal mit der Ansage von John Wayne und dreimal mit dem Gesangsintro. Die letzte CD bringt Mitschnitte aus den TV-Shows, wie sonst auch zartschmeichelnde Balladen oder - noch besser - swingende Cocktailschwenkermusik zum Fußwippen und smart Mitgrinsen.

Die edlen Hardcover-Bücher, die mit in den Schachteln stecken, bieten zur besseren Dino-Nachahmung reichlich Fotos, sowie einen Begleittext, durch den z. B. zu erfahren ist, daß Martin die Melodie von „Napoli“ selbst nie richtig kapiert hat. Die ausführliche Discography hat zugunsten der optischen Gestaltung zwar an praktischem Wert eingebüßt, aber als Trost wird eine appetitanregende Lobpreisung verabreicht von DJ, Sänger, und Musikfreak Billy Vera.

Jeder, der Dean Martin nicht mehr nachträgt, daß er einst an regnerischen Fernsehnachmittagen die Blödeleien von Jerry Lewis allzu oft von Gesängen unterbrochen wurden, und der sich mittlerweile mit fadenscheinigen Schlagern wie „You’d be surprised“ angefreundet hat, erwirbt mit diesen CD-Boxen die ideale Begleitmusik für abendliche Ausgehvorbereitungen: Man swingt dazu lässig durch’s Badezimmer, zwirbelt die Zahnbürste kunstvoll herum, schmiert sich die Pomade ins Haar, rückt die Fliege zurecht oder entfernt die letzten Fussel vom Abendkleid und entschwindet dezent aufgegeilt in die Nacht, voller Vorfreude auf obszöne Zungenbewegungen. „Ain’t that a kick in your head?“

Dean Martin
„Memories are made of these“
und „Return to me“
je 8 CDs
Bear-Family-Records

Dino-Retrospektivo
Werkstatt-Kino
ab Freitag 16.10.98

Richard Oehmann

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