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Von Langeweile, Leidenschaft und Sinnfragen
Hochschul-Festival-Gedanken zum 3.ten

  12.12.1996
 
 
 
 

Es ist naß, kalt, regnet. Die Mädchen in ihrer leichten Bekleidung warten nun schon seit Stunden auf ihren Einsatz. Ein paar haben sich um Heizkörper geschart, andere rauchen in ihren Autos. Plötzlich verbreitet sich Unruhe: Haare werden zurechtgerückt, die Jacken abgelegt, Lippenstift nachgezogen. Man bezieht Position. Dann nähert sich langsam ein Wagen und die Damenliga verwandelt sich in eine Schar geschäftstüchtiger Nutten, die sich dem Vorbeifahrenden höchstprofessionell entgegenräkeln.

5:30, Sonntagmorgen. Die Szene, die sich gerade in einer Münchner Eisenbahnunterführung abgespielt hat, war keinesfalls echt. Natürlich ereignet sie sich so ähnlich tagtäglich in allen Großstädten der Welt - und doch mußte Florian Gallenberger sie für seinen Kurzfilm "Hure" bis ins kleinste Detail durchgeplant nachstellen, denn bei seinem Film handelt es sich um eine sog. "Plansequenz". Diese etwas rätselhafte Bezeichnung kommt aus dem Französischen und steht für eine/n Film/-Szene mit einer einzigen Einstellung aus subjektiver Sichtweise. Was sich in der Theorie gar nicht so kompliziert anhört, bedeutet in der Praxis ein Maximum an Organisation und Konzentration - schließlich muß alles auf Anhieb klappen, die Möglichkeit, an einer (beinah) x-beliebigen Stelle wieder neu einzusetzen, fällt weg.

Um diese Schwierigkeit wußte man auch bei arte, dem deutsch-französischen Kultursender. Man dachte sich, solch eine Plansequenz sei eine besonders hübsche Herausforderung, um den Einfallsreichtum des europäischen Filmnachwuchses zu testen. So wurde ein Drehbuchwettbewerb ins Leben gerufen, bei dem die Gewinner finanzielle Unterstützung für die Umsetzung ihres Projektes erhalten sowie einen Sendeplatz im Abendprogramm. Die ersten Ergebnisse (aus dem deutschsprachigen Raum) wurden bereits auf dem Festival der Filmhochschulen gezeigt, Florian Gallenbergers "Hure" war einer von ihnen. Durch die subjektive Sichtweise der Kamera in den 3-Minuten-Filmen werden dem Zuschauer ungewohnte Perspektiven eröffnet - die Welt sieht mit den Augen einer Superwindel, eines Guilloutine-Fallbeils oder eines Spiegels einfach ziemlich anders aus und ist voller Überraschungen.
Auch wenn diese teilweise etwas zuviel des Guten waren -es ist offenbar angesagt, dem verwöhnten Kinobesucher noch einen Gag nach dem Gag zu präsentieren, schließlich gehört eine unerwartete Wendung ja heutzutage schon zum Pflichtprogramm-, so war das arte -Special im Vergleich zu den anderen Festivalbeiträgen eine richtig unterhaltsame Ausnahme. Und das lag keinesfalls daran, daß hier die Finanzen gestimmt haben, im Gegenteil: der Großteil der Filmstudenten scheint sich in Ermangelung von wirklich Erzählenswertem auf aufwendige Szenarios zu verlassen. Es stimmt zwar, das solch liebevoll und vor allem teuer! ausgestatteten Filme wie z.B. "Der Steuermann" von Stefan Schneider und "Die lebende Bombe" von Walter Feistle erst einmal Appetit machen. Umso enttäuschender ist es aber dann, wenn man feststellen muß, daß dem Jungregisseur keine gescheite Auflösung zu seinem Jahrhundertanfang eingefallen ist.

Höchst bedenklich, daß dies bei der Mehrzahl der Beiträge der Fall war. Entweder wurde man mit gewollten Witzen und anderen Belanglosigkeiten gequält oder aber die Filmstudenten schienen die Filmemacherei mit einer Sitzung beim Therapeuten zu verwechseln: die Aufarbeitung von Kindheitserlebnissen mag für die persönliche Entwicklung ja ganz hilfreich sein, aber ist nicht notwendigerweise für den Kinobesucher spannend. Da fragt man sich doch wirklich: wozu das alles? Wieso will jeder zweite heute unbedingt Filme machen? Sollte man nicht lieber dafür plädieren, daß Psychoanalysen billiger und Drogen legaler werden, damit unsere Jungregisseure beschäftigt sind...und uns in Ruhe lassen?

Andererseits ist es doch immer wieder erstaunlich, welch Anstrengungen so mancher Filmaktivist auf sich nimmt. Man denke an besagten Sonntagmorgen im Regen. Wie ein Stromausfall die Dreharbeiten stundenlang lahmlegte und Wartezeit und Kälte unerträglich wurden. Und Florian Gallenberger seine völlig übermüdete Crew mit unerschütterlicher Ausdauer bei Laune gehalten hat. Solche Beispiele gibt es zur genüge. Woher kommt also dieser Idealismus, dieser Wunsch, Regisseur zu werden? Und vor allem: ist es sinnvoll, daß Hinz&Kunz heutzutage dieser Leidenschaft aktiv nachgeht und dabei massig Kohle raustut? Wie merkt man, ob man dazu berufen ist...?

Zur Erörterung dieser zutiefst weltbewegenden Fragen soll in Kürze an dieser Stelle ein Interviews mit einem HFF-Studenten erscheinen. Vielleicht weiß der ja, was er will. Und kennt die Antwort.

Nina Stuhldreher

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