16.04.2009
Cinema Moralia – Folge 20

Die Prinzessin und der »Immobilienbeauftragte des Vatikans«

So glücklich war ich noch nie
Verführung und Betrug
(Foto: Studiocanal)

Betrug, Glück und eine Erinnerung an Wouter Barendrecht

Von Rüdiger Suchsland

Den Betrüger gibt es in Wirk­lich­keit, aber er ist auch eine Kinofigur par excel­lence. Er ist so sympa­thisch wie unsym­pa­thisch, so moralisch, wie amora­lisch. Vor allem aber tut er genau das, was wir alle immer tun, er macht es nur ein bisschen dreister und mit höherem Risiko. »Die ganze Welt ist eine Bühne« weiß schon Shake­speare, und der ameri­ka­ni­sche Soziologe Ervin Goffman hat aus dieser Behaup­tung eine Theorie der zwischen­mensch­li­chen Verhält­nisse gemacht. »Wir alle spielen Theater«, lautet die Haupt­these, alle Menschen nehmen Rollen ein, bauen Fassaden und Kulissen, nicht nur vor anderen, sondern auch vor sich selbst.
Dass das alles auch heute noch ein Problem ist, oder zu sein scheint, hängt mit der tief in unserem Bewußt­sein veran­kerten Vorstel­lung von Wahrheit zusammen, die dem Geist des neuen Prag­ma­tismus wider­spricht, der mit der Post­mo­derne einkehrte. Ein Rest von kate­go­ri­schem Entweder-Oder und Wahr-Falsch, von der idea­lis­ti­schen Philo­so­phie des alten Europa blieb bis heute erhalten, ob in der Psycho­ana­lyse, die unsere Verdrän­gungen aus dem Dunkel ans Licht befördern und »heilen« will, ob im Begriff der Existenz, oder – nun post­mo­dern gewendet – im Iden­ti­tä­tärä, dem Spiel mit der Vorstel­lung einer irgendwie festen, defi­ni­tiven Identität. Die Dialektik, Hegel und Marx, Nietzsche und Foucault, waren da schon weiter, inzwi­schen wird wieder mora­li­siert, dass das Subjekt bitte­schön es selbst zu werden und zu bleiben habe.

+ + +

Wenn das nur immer so einfach wäre! Im vergan­genen Jahr geisterte irgend­wann im Früh­sommer die Nachricht durch die Klatsch­spalten, Holly­wood­star Anne Hathaway (PLötzlich Prin­zessin, Get Smart), bekannt als braves »All-American-Girl«, habe sich von ihrem lang­jäh­rigen Freund Raffaello Follieri getrennt. Kurz davor war bekannt geworden, dass es sich bei dem jungen Italiener, der zuvor durch die Öffent­lich­keit wahlweise als »Immo­bi­li­en­ma­gnat« (Süddeut­sche Zeitung) oder »Immo­bi­li­en­makler« (Gala) geisterte, um einen schlichten Betrüger handelte. Sich selbst hatte er in den USA gar als »Immo­bi­li­en­be­auf­tragter des Vatikans« ausge­geben, und als Beleg seiner engen Bezie­hungen zur Kirche seinen Besuchern eine Soutane vorge­führt, die er in seinem Klei­der­schrank hängen hatte; gemeinsam mit seiner Freundin – und unter Ausnut­zung ihres Promi­nen­ten­status –, hatte er die »Follieri-Stiftung« gegründet, und behauptet, mit dieser »weltweit Kinder gegen die sechs verbrei­tetsten Kinder­krank­heiten impfen« zu wollen. Im Juni 2008 dann war Follieri vom FBI verhaftet worden. In den verschie­denen Ankla­ge­punkten, in denen man ihm unter anderem Betrug, Verun­treuung in Mllio­nen­höhe und Geld­wä­sche vorwarf, hat er sich inzwi­schen schuldig bekannt. Kurz darauf zog das FBI unter anderem Hathaways persön­liche Tage­bücher ein, um sie auf Hinweise auf Follieris Verhalten und even­tu­elle Mitwis­ser­schaft der Schau­spie­lerin zu unter­su­chen. Die wiederum beteuerte glaubhaft, von alldem nichts gewusst zu haben. In den Jahren zuvor hatte sie in Inter­views immer gern von beider gemein­samer Wohl­tä­tig­keits­ar­beit erzählt.

+ + +

Wer Alexander Adolphs neuen Film So glücklich war ich noch nie (vgl. Kritik) gesehen hat, denn kann so ein Vorgang nicht mehr über­ra­schen, und er wird Anna Hathaway glauben, dass sie einfach getäuscht wurde. Allen­falls für ein wenig naiv wird man sie nun halten, und denken, dass sie über kein besonders gutes Sensorium für Vertrau­ens­wür­dig­keit verfügen muss. In Adolphs Film aller­dings gibt es auch nur eine einzige Person, der es anders geht: Tanja, die Prosti­tu­ierte, die auf offene Weise das macht, was auch der Betrüger tut: sich verkaufen.

+ + +

»Ich muss meinen Flieger kriegen.« sagt die Haupt­figur, der Betrüger Frank Knöpfel gerne. Oder: »In vier Stunden geht meine Maschine nach Kapstadt.« Irgend­wann erfährt der Zuschauer, das Knöpfel noch nie geflogen ist. Jeden­falls nie mit einem Flugzeug oder Hubschrauber. Aber abgehoben ist er schon oft, immer wieder­lässt er den Boden der Tatsachen unter sich, schafft schier unend­liche Distanz zwischen sich und die Erde. »Das ist ganz lustig fliegen. Du musst es halt probieren.« sagt Tanja. Ganz »theo­re­tisch. Theo­re­tisch schon« würde sie mitkommen mit ihm, ihm glauben, wenn er sagt, er würde »ein neues Leben anfangen. Was verkaufen.« Eine Liebes­er­klärung, in der sich das Paar nicht anschaut – eine atem­be­rau­bende Szene, einmalig im deutschen Kino. Jetzt weiß Knöpfel, und wir glauben ihm aufs Wort: »So glücklich war ich noch nie.«

+ + +

Eine überaus traurige Nachricht erreichte uns vergan­gene Woche: Am 5. April ist Wouter Baren­d­recht gestorben. Erst 43 Jahre alt, in Bangkok. Der Nieder­länder, der zunächst fürs Inter­na­tional Film Festival Rotterdam arbeitete, war bereits vor 19 Jahren der Gründer und bis zuletzt Gesell­schafter von »Fortis­simo«, einem der wich­tigsten Welt­ver­triebe für Kinofilme. Die Firma, die neben Amsterdam einen zweiten Sitz in Hongkong hat, hat sich vor allem als Anwalt von unab­hän­gigem Autoren­kino, und hier wieder mit asia­ti­schen Filmen einen Namen gemacht. »Fortis­simo« ist unter anderem der Welt­ver­trieb von Wong Kar-wai, Tsai Ming-liang, Pen-ek Ratana­ruang und Apichat­pong Weer­a­se­takhul, aber auch von Peter Greenaway. 2005 war er Mitglied der Berlinale-Jury. Ein Tod, der Folgen haben wird, der das Autoren­kino zum Schlech­teren verändern könnte.

Rüdiger Suchsland

(To be continued)

Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beob­ach­tungen, Kurz­kri­tiken, Klatsch und Film­po­litik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kino­ge­hers.